EU einigt sich auf 55 Prozent weniger Treibhausgase

EU-Gipfel
Vor allem östliche EU-Staaten müssen ihre Industrie umbauen – Kohle wird dort noch besonders stark zur Energieerzeugung genutzt. (Quelle: imago images / Xinhua)

Die Europäische Union verschärft ihr Klimaziel für das Jahr 2030: Um mindestens 55 Prozent soll der Ausstoß von Treibhausgasen unter den Wert von 1990 sinken. Dies beschloss der EU-Gipfel in Brüssel am Freitagmorgen, wie Ratschef Charles Michel mitteilte. Bisher galt ein Ziel von minus 40 Prozent. Der Beschluss gelang erst nach Beratungen die ganze Nacht hindurch.

Mehrere EU-Staaten wollten finanzielle Hilfszusagen für die Energiewende. Zuletzt blockierte nach Angaben von Diplomaten Polen stundenlang den Gipfelbeschluss, weil es weitere Zusicherungen wollte.

Die Verschärfung soll helfen, das Klimaabkommen von Paris umzusetzen und die gefährliche Erwärmung der Erde zu bremsen. Das neue Ziel soll noch vor Jahresende an die Vereinten Nationen gemeldet werden.

Umbau der Kohlewirtschaft kostet Milliarden

Es ist eine erste Etappe auf dem Weg, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen, also alle Treibhausgase zu vermeiden oder zu speichern. Nötig sind unter anderem eine schnelle Abkehr von Kohle, Öl und Gas, ein rascher Umstieg auf Ökostrom und Fahrzeuge ohne Abgase sowie die energieeffiziente Sanierung von Häusern. Das benötigt Milliardeninvestitionen. Der Umbau der Wirtschaft birgt aber auch Chancen für neue Jobs und Wohlstand.

Dafür sind große Investitionstöpfe geplant: ein Modernisierungsfonds, der aus Einnahmen aus dem Emissionshandel gespeist wird; ein Fonds für gerechten Wandel, aber auch der 750 Milliarden schwere Corona-Aufbaufonds, der zu mindestens 30 Prozent zur Umsetzung der Klimaziele genutzt werden soll. Das Haushaltspaket war zuletzt wegen eines Vetos durch Ungarn und Polen blockiert. Eine Einigung im Haushaltsstreit bahnte beim Gipfel auch den Weg für den Klimabeschluss.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte für das neue 55-Prozent-Ziel geworben. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron machte sich dafür stark. “Wir müssen unsere Zusagen mit Blick auf 2030 erhöhen”, sagte Macron. “Das wird von Europa erwartet.”

Das Pariser Klimaabkommen von 2015 sieht vor, dass die Erderwärmung bei unter 2 Grad gestoppt wird, möglichst sogar bei 1,5 Grad, gemessen jeweils an der vorindustriellen Zeit. Dafür reichen die bisherigen Zusagen der rund 190 Mitgliedsstaaten aber nicht aus. Deshalb ist im Vertrag vorgesehen, dass alle fünf Jahre nachgebessert wird.

Neue Ziele weiter unzureichend

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace weist darauf hin, dass der EU-Beschluss nicht weit genug geht. “Um eine Begrenzung der Erderhitzung auf 1,5 Grad mit großer Wahrscheinlichkeit zu erreichen, wären 65 Prozent weniger Treibhausgase in der EU nötig”, sagte Deutschland-Chef Martin Kaiser. Zudem rechne sich die EU das neue Klimaziel schön, weil erstmals auch die Klimagase einberechnet werden sollen, die in Wäldern und anderen “Senken” gespeichert werden.

“Die Regierungen werden die Einigung zweifellos als historisch bezeichnen, aber die Beweise zeigen, dass sie nur eine kleine Verbesserung darstellt”, kommentierte Greenpeace-Klimaexperte Sebastian Mang am Freitag. Das neue Klimaschutzziel werde es Öl- und Gasunternehmen ermöglichen, zu überleben. Die meisten Politiker hätten noch immer Angst, sich die großen Umweltverschmutzer vorzunehmen.

Auch kritisierte Greenpeace, dass Staaten beim Gipfel darauf bestanden hätten, die Stromerzeugung zum Beispiel mit Erdgas als sogenannte Übergangstechnologie anzuerkennen. So kann es dafür Fördermittel geben, was aus Sicht der NGO katastrophal für das Klima wäre.

Der Grünen-Politiker Sven Giegold kritisierte darüber hinaus, dass sich die EU-Staaten das neue Ziel nur “kollektiv” vornehmen, aber keine nationalen Klimaziele festlegten und die Verantwortung somit auf die Staatengemeinschaft abwälzen könnten.

Der Präsident des Naturschutzbunds Nabu, Jörg-Andreas Krüger, sagte, damit gäben weiter Großbritannien, China und Japan mit ihren Ankündigungen zum Klimaschutz den Ton an. Auch die Berechnungsweise des neuen Ziels kritisierte er, ebenso wie andere Umweltschützer.

Die Organisation Germanwatch erkannte die Einigung zwar als “großen Schritt für die EU” an, dennoch reiche sie mit Blick auf die Ziele des UN-Klimaabkommens nicht aus. Deutschlands WWF-Vorstand Eberhard Brandes sagte, die Staats- und Regierungschefs “hätten kurz vor dem Klimagipfel zum fünfjährigen Jubiläum des Pariser Abkommens ein stärkeres Zeichen setzen müssen.”

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg äußerte sich Thunberg vorerst nicht; sie hatte das 55-Prozent-Ziel aber schon Anfang Oktober als unzureichend bezeichnet und der EU Schönrechnerei vorgeworfen. Da dieser Wert auf dem Vergleichsjahr 1990 basiere, würden dabei die Rückgänge beim CO2-Ausstoß ohne Flug- und Schiffverkehr der vergangenen 30 Jahre miteingerechnet, hatten sie, ihre deutsche Mitstreiterin Luisa Neubauer und die Belgierinnen Anuna de Wever und Adélaïde Charlier auf der Online-Plattform “Medium” geschrieben.

Damit sei das Ziel gemessen an den Werten von 2018 in Wirklichkeit eher ein 42-Prozent-Ziel. Hinzu komme, dass der internationale Flugverkehr, die Schifffahrt und die Herstellung von Gütern außerhalb der EU nicht dazugezählt werde. “Die EU mogelt mit den Zahlen – und klaut unsere Zukunft”, erklärten die vier Klimaaktivistinnen. (dpa / hcz)