Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte prüft Massenüberwachung des BND

Bundesnachrichtendienst in Berlin
Wenn der BND digitale Kommunikation mitliest, erfahren Betroffene davon in der Regel nichts. (Quelle: imago images / photothek)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat eine Beschwerde der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) gegen die anlasslose Massenüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) angenommen. Der Auslandsgeheimdienst soll die Kommunikation deutscher Vertreter der Organisation mit ausländischen Journalistinnen und Journalisten in der Vergangenheit überwacht und damit die Menschenrechte der Beteiligten verletzt haben.

Reporter ohne Grenzen wertet bereits die Annahme der Beschwerde als Etappensieg: Denn nur zwei Prozent aller Beschwerden an den EGMR würden überhaupt von dem Gericht zugelassen. Der Berliner Rechtsanwalt Niko Härting führt die Beschwerde im eigenen Namen und als Prozessbevollmächtigter von ROG. Die Bundesregierung wird sich nun inhaltlich zu den Vorwürfen äußern müssen. Reporter ohne Grenzen hatte die Beschwerde bereits 2017 eingereicht.

Konkret sieht die Organisation ihr Recht auf Achtung der Korrespondenz und die Meinungs- und Informationsfreiheit nach den Artikeln 8 und 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt.

Überwachung nach dem G10-Gesetz

Die sogenannte strategische Fernmeldeaufklärung durch den BND ist im G10-Gesetz geregelt. Es erlaubt dem Geheimdienst internationale Telekommunikationsbeziehungen zu überwachen. Innerdeutsche Kommunikation darf der BND als Auslandsgeheimdienst nicht überwachen – deshalb soll diese automatisiert ausgefiltert werden. Experten wie der Chaos Computer Club bezweifeln allerdings schon lange, dass dies technisch möglich ist.

Reporter ohne Grenzen sieht im Vorgehen des BND eine unverhältnismäßige, anlasslose Massenüberwachung. Es gebe keine wirksame Beschränkung für den Zugriff auf Kommunikationsdaten durch den BND.

In der Beschwerde führt ROG an, mit Journalisten weltweit zu kommunizieren. Viele dieser Medienschaffenden stammen aus Krisenregionen und autoritären Staaten, zu denen auch der deutsche Auslandsgeheimdienst Informationen sammelt. Das lasse auf “eine erhöhte Gefährdung der Überwachung schließen”. Die Organisation hält es für wahrscheinlich, dass E-Mails aus der Kommunikation mit ROG in der Vergangenheit als “nachrichtendienstlich relevant” eingestuft wurden.

Die Überwachung durch den BND stelle den Quellenschutz als zentrales Element der Pressefreiheit in einer Demokratie in Frage. Außerdem untergrabe das Vorgehen die Glaubwürdigkeit deutscher Forderungen nach mehr Medienfreiheit in autoritären Regimen, so Reporter ohne Grenzen.

Keine Möglichkeit zur Beschwerde

Die Organisation hatte bereits zuvor Klage gegen die strategische Fernmeldeüberwachung vor dem Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Das Gericht hatte diese Klage 2016 mit der Begründung abgewiesen, dass ROG die Betroffenheit nicht nachweisen könne. Mit dieser Begründung hatte auch das Bundesverfassungsgericht 2017 eine Beschwerde der Organisation nicht zur Entscheidung angenommen. Dadurch sieht ROG außerdem das Recht auf wirksame Beschwerde nach Artikel 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt. Denn die meisten Betroffenen erfahren nie, dass ihre Kommunikation mitgelesen wurde und können die Überwachung daher nicht nachweisen.

Im vergangenen Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht nach einer Beschwerde durch ROG geurteilt, dass die anlasslose Überwachung im Ausland durch den BND gegen das Fernmeldegeheimnis und die Pressefreiheit verstößt. Bei dieser Entscheidung ging es jedoch um die im BND-Gesetz geregelte Überwachung von Nicht-Deutschen im Ausland. Der EGMR wird sich nun hingegen mit der Kommunikation zwischen In- und Ausland nach dem G10-Gesetz befassen.

“Die anlasslose Massenüberwachung des BND ist weder mit dem Menschenrecht auf Privatsphäre noch mit der Pressefreiheit vereinbar. Wenn dieses Prinzip für die reine Auslandsüberwachung gilt, wie vom Bundesverfassungsgericht anerkannt, muss es auch die digitale Kommunikation deutscher Bürgerinnen und Bürger schützen”, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. “Deutsche Gerichte haben Klagen gegen die BND-Massenüberwachung bislang stets mit dem absurden Argument abgewiesen, die Betroffenheit sei nicht nachgewiesen worden. Das Verfahren beim EGMR bietet die Chance, diesen rechtsstaatlich unhaltbaren Missstand endlich abzustellen.”

Sollte der Gerichtshof der Argumentation von Reporter ohne Grenzen folgen, so müsste der BND nach Ansicht von ROG künftig überwachte Personen informieren. Außerdem will die Organisation erreichen, dass die Internet-Überwachung durch den BND grundsätzlich eingeschränkt wird.

Der EGMR hat die Beschwerde bereits am 9. Dezember der Bundesregierung zugestellt. Am 4. März endet die Frist für eine gütliche Einigung, die bei Verfahren vor dem EGMR vorgesehen ist. Danach hat die Bundesregierung zwölf Wochen Zeit, um Stellung zu der Beschwerde zu nehmen. Ob der Gerichtshof eine mündliche Verhandlung ansetzt, entscheidet sich erst zu einem späteren Zeitpunkt. (js)