Frankreich: Kritik an geplanter Überwachung während Olympia

Überwachungskamera in Paris
Französische Abgeordnete wollten während der Olympiade auch Gesichtserkennung einsetzen – der Vorschlag wurde jedoch abgelehnt. (Quelle: IMAGO / agefotostock)

Während der Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris sollen Algorithmen “verdächtige Situationen” erkennen. Die neuen Überwachungsbefugnisse sollen zeitlich begrenzt zugelassen werden – die entsprechenden Bestimmungen befinden sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren. 38 NGOs warnen nun, die geplante Regelung verstoße gegen internationale Menschenrechtsabkommen. Der Gesetzentwurf hat unterdessen eine weitere Hürde genommen.

In einem offenen Brief fordern die Organisationen die französische Nationalversammlung auf, das geplante Gesetz zu den Olympischen und Paralympischen Spielen zu entschärfen. Zu den Unterzeichnern zählen unter anderem Amnesty International, Human Rights Watch und die französische Fanvereinigung “L’Association Nationale des Supporters”. Sie warnen, durch die Bestimmungen würde ein besorgniserregender Präzedenzfall für unverhältnismäßige Überwachung im öffentlichen Raum geschaffen.

In der Kritik der NGOs steht Artikel 7 des Gesetzentwurfs: Er soll eine Rechtsgrundlage für die Auswertung von Kameraaufnahmen mithilfe von Algorithmen schaffen, um verdächtige Situationen im öffentlichen Raum zu erkennen. Dem Magazin Politico zufolge soll es dabei beispielsweise um Objekte wie unbeaufsichtigtes Gepäck, aber auch um Menschenansammlungen gehen. Die Organisationen kritisieren, Frankreich wäre der erste EU-Mitgliedsstaat, der solche Überwachungspraktiken ausdrücklich legalisieren würde.

Abschreckende Wirkung

Frederike Kaltheuner von Human Rights Watch kritisierte, die geplante Überwachung stelle “eine ernsthafte Bedrohung für die bürgerlichen Freiheiten und demokratischen Prinzipien” dar. So würde etwa das Risiko von Diskriminierung bei der Strafverfolgung erhöht werden. Außerdem handle es sich um einen weiteren Schritt zur Normalisierung “außergewöhnlicher Überwachungsbefugnisse unter dem Deckmantel der Sicherheit bei Großveranstaltungen”.

Laut den Organisationen würde das Gesetz zu biometrischer Massenüberwachung führen. Im Gesetzentwurf werde zwar behauptet, dass keine biometrischen Daten verarbeitet werden. Das laufe aber der Definition von biometrischen Daten aus der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zuwider: Um verdächtige Ereignisse zu erkennen, müssten zwangsläufig physiologische Merkmale und Verhaltensweisen von Personen erfasst und ausgewertet werden – beispielsweise ihre Körperhaltung oder ihr Gang. Mit dem geplanten System könnten Menschen eindeutig identifiziert werden.

Nach Ansicht der unterzeichnenden Organisationen könnte schon die bloße Existenz von algorithmischer Videoüberwachung eine abschreckende Wirkung haben. Der Europäische Datenschutzbeauftragte habe festgestellt, dass biometrische Überwachung die berechtigte Erwartung von Anonymität im öffentlichen Raum untergrabe. Dadurch könnten sie davon abgehalten werden, ihre Grundrechte wie beispielsweise die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auszuüben.

Obwohl das vorgeschlagene Gesetz eine große Gefahr für die Menschenrechte darstelle, hätte die Regierung nicht nachgewiesen, dass es den Grundsätzen der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit entspricht. Dabei sei belegt, dass Videoüberwachung nicht zur Verhinderung von Straftaten beitrage. Darüber hinaus habe es auch keinen Austausch mit der Zivilgesellschaft gegeben. Die geplanten Regelungen seien mit internationalen Menschenrechtsabkommen unvereinbar, weil sie die Grundsätze der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit missachten und inakzeptable Risiken für die Privatsphäre und weitere Grundrechte darstellen.

NGOs befürchten Beibehaltung des Gesetzes

Laut dem Gesetzentwurf sollen die Überwachungsbefugnisse für einen begrenzten Zeitraum gelten. Die Organisationen sind jedoch besorgt, dass sie verlängert und damit normalisiert werden könnten. Es gebe einen “besorgniserregenden Trend”, bei dem Regierungen Überwachungsmaßnahmen aufgrund eines Ereignisses ausweiten und anschließend beibehalten. Auch frühere Olympiaden hätten bereits dazu gedient, staatliche Befugnisse auszuweiten.

Mit dem französischen Gesetz würde auch ein “gefährlicher Präzedenzfall” für andere europäische Länder geschaffen, die bisher erfolglos versucht hätten, biometrische Überwachungspraktiken zu legalisieren.

Die französische Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net hatte bereits im Februar erklärt, sie rechne damit, dass die Bestimmungen auch nach der Olympiade beibehalten werden. Die Organisation warnt vor einer massiven polizeilichen Überwachung des öffentlichen Raums.

Medienberichten zufolge hat der Rechtsausschuss der französischen Nationalversammlung dem Gesetzentwurf am Mittwoch zugestimmt. Dabei wurde auch festgelegt, dass die Bestimmungen bis zum 24. Dezember 2024 gelten sollen – ursprünglich war eine Laufzeit bis Juni 2025 vorgesehen. Festgelegt wurde außerdem, dass die überwachten Bereiche gekennzeichnet werden müssen.

Ende März soll die Nationalversammlung endgültig über das Gesetz abstimmen. Der französische Senat hatte es bereits Ende Januar angenommen – und dabei Änderungsanträge abgelehnt, mit denen auch Gesichtserkennung eingeführt werden sollte.

Die Olympischen Sommerspiele 2024 finden vom 26. Juli bis zum 11. August 2024 in Paris statt. Vom 28. August bis zum 8. September 2024 ist die französische Hauptstadt Austragungsort der Paralympics. (js)