Frankreich: Parlament beschließt umstrittene Videoüberwachung zu Olympia

Nationalversammlung
Bürgerrechtsorganisationen befürchten, das französische Gesetz könnte als Präzedenzfall für Überwachungsgesetze weiterer EU-Staaten dienen. (Quelle: IMAGO / Le Pictorium)

Das französische Parlament hat am Donnerstag ein Gesetz verabschiedet, das zumindest zeitweise den Einsatz algorithmengestützter Videoüberwachung erlaubt. Demnach dürfen während der Olympischen Spiele im Juni 2024 und den Folgemonaten Videoaufnahmen des öffentlichen Raums mithilfe von Algorithmen ausgewertet werden – beispielsweise, um gefährliche Situationen zu erkennen.

Das System soll selbstständig Ereignisse wie Menschenansammlungen erfassen und auf eventuelle Gefahren hin analysieren. So soll dem Gesetzestext zufolge die Sicherheit von “Sport-, Freizeit- oder Kulturveranstaltungen” gewährleistet werden.

Kritiker sehen die Datenschutz-Grundverordnung der EU (DSGVO) verletzt und fürchten, dass das Gesetz künftiger Überwachung den Weg ebnet. Denn Frankreich ist das erste Land Europas, dass solche Überwachungsmethoden erlaubt.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International befürchtet einen “umfassenden Angriff auf die Rechte auf Privatsphäre, Protest und Versammlungs- und Meinungsfreiheit”. Mher Hakobyan, Rechtsberater der Organisation warnte: "Diese Entscheidung, die den Einsatz von KI-gestützter Überwachung zum ersten Mal in Frankreich und der EU legalisiert, riskiert, Frankreich dauerhaft in einen dystopischen Überwachungsstaat zu verwandeln und groß angelegte Menschenrechtsverletzungen an anderer Stelle in der Union zuzulaidentifizierunim öffentlichen Raum einschließt.

Vor der Verabschiedung hatten 38 zivilgesellschaftliche Gruppen in einem offenen Brief unter anderem davor gewarnt, die geplante Regelung verstoße gegen internationale Menschenrechtsabkommen. Zudem sei zu befürchten, dass die Überwachungstechnik weiter im Einsatz bleiben wird, sobald sie einmal installiert ist – so sei es auch nach den Olympischen Spielen 2012 in London und der Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland gewesen.

Breite Kritik verhallt

In dem Anfang März veröffentlichten Brief hatten die Organisationen die französische Nationalversammlung noch dazu aufgerufen, das Überwachungsgesetz zu entschärfen. Zu den Unterzeichnern zählten unter anderem Amnesty International, Human Rights Watch und die französische Fanvereinigung “L’Association Nationale des Supporters”.

In der Kritik der NGOs steht Artikel 7 des Gesetzentwurfs: Er soll eine Rechtsgrundlage für die Auswertung von Kameraaufnahmen mithilfe von Algorithmen schaffen, um verdächtige Situationen im öffentlichen Raum zu erkennen. Dem Magazin Politico zufolge soll es dabei beispielsweise um Objekte wie unbeaufsichtigtes Gepäck, aber auch um Menschenansammlungen gehen.

Die Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net wirft der französischen Regierung unter anderem vor, nicht wahrheitsgetreu über die technische Funktionsweise und die rechtlichen und politischen Konsequenzen informiert zu haben. Stattdessen seien “Strategien, Lügen und erfundene Darstellungen” eingesetzt worden, um Diskussionen über die geplante Massenüberwachung zu verhindern.

Im Gesetzentwurf werde zwar behauptet, dass keine biometrischen Daten verarbeitet werden. Das laufe aber der Definition von biometrischen Daten aus der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zuwider: Um verdächtige Ereignisse zu erkennen, müssten zwangsläufig physiologische Merkmale und Verhaltensweisen von Personen erfasst und ausgewertet werden – beispielsweise ihre Körperhaltung oder ihr Gang. Mit dem geplanten System könnten Menschen eindeutig identifiziert werden.

Zivilgesellschaft abgelenkt

Schon die bloße Existenz von algorithmischer Videoüberwachung habe eine abschreckende Wirkung. Auch der Europäische Datenschutzbeauftragte habe festgestellt, dass biometrische Überwachung Bürgerinnen und Bürger davon abhalten könnte, ihre Grundrechte wie beispielsweise die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auszuüben. Die Überwachung untergrabe die Erwartung von Anonymität im öffentlichen Raum.

La Quadrature du Net kritisiert auch, dass das Gesetz ausgerechnet jetzt beschlossen wurde – während das gesamte Land mit der Rentenreform und den Protesten dagegen beschäftigt ist. “Im Schatten des Trubels um die Rentenreform und dank eines wie üblich extrem schnellen Verfahrens gelang es der Regierung, eine der gefährlichsten Technologien, die je eingesetzt wurden, durchzusetzen”, schrieb die Organisation.

Senat ebenfalls zugestimmt

Anfang März hatte bereits der Rechtsausschuss der französischen Nationalversammlung dem Gesetzentwurf zugestimmt. Festgelegt wurde, dass die überwachten Bereiche gekennzeichnet werden müssen. Der französische Senat hatte das Gesetz bereits Ende Januar angenommen – und dabei Änderungsanträge abgelehnt, mit denen auch Gesichtserkennung eingeführt werden sollte.

Die Olympischen Sommerspiele 2024 finden vom 26. Juli bis zum 11. August 2024 in Paris statt. Vom 28. August bis zum 8. September 2024 ist die französische Hauptstadt Austragungsort der Paralympics. (js / hcz)