Frankreichs Atomstrategie in der Kritik

Radioaktiver Müll
Wohin mit den verstrahlten Abfällen? Eine Frage, auf die auch die Befürworter der Atomkraft keine Antwort kennen. (Quelle: IMAGO / Panthermedia)

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat den Bau neuer Atomkraftwerke (AKW) angekündigt. In einer Fernsehansprache begründete Macron dies am Dienstagabend unter anderem mit zuverlässiger Energieversorgung und dem Ziel Frankreichs, im Jahr 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Zu Details wie Anzahl der Neubauten, Zeitplan oder verwendeter Technik äußerte sich der Präsident nicht.

Umweltschutzorganisationen wie WWF kritisierten Macrons Pläne scharf. Sie warnen unter anderem vor Umweltfolgen durch den radioaktiven Müll. Der geplante Ausbau der Atomkraft sei “völlig von der Realität abgekoppelt”, stellte Greenpeace Frankreich fest.

Eigentlich hatte sich Frankreich dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2035 den Anteil der Stromenergie aus Atomkraft von heute rund 70 Prozent auf 50 Prozent zu reduzieren. Wie dieses Ziel mit den neuen Ankündigungen vereinbar sein soll, blieb offen. Greenpeace stellte fest: “Mit der einseitigen Bekanntgabe dieser Entscheidung tritt der ‘Präsidenten-Kandidat’ Macron von seiner Zusage zurück, vor der Inbetriebnahme des [Atomkraftwerks] Flamanville EPR keine neuen Reaktoren in Betrieb zu nehmen.”

EU gespalten

Frankreich gehört zu den Staaten, die seit langem auf Atomenergie setzen und auch dabei bleiben wollen. Zugleich solle die Entwicklung erneuerbarer Energien fortgesetzt werden. Hintergrund der Bemühungen Macrons ist die Debatte innerhalb der EU darüber, ob Atomkraft Teil der EU-Klimapolitik, des sogenannten Green Deal, werden sollte – und ob sie als klimafreundlich anerkannt wird. Als Folge könnten beispielsweise öffentliche Fördergelder auch für neue Atomkraftwerke genutzt werden und private Investitionen in als nachhaltig gekennzeichnete Fonds auch bei Atomkraftkraftbetreibern landen. Für diese Änderung in der Taxonomie setzt sich Frankreich zusammen mit osteuropäischen Staaten ein. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen scheint auf diesen Kurs einzuschwenken und nannte Atomenergie wie Erdgas nach dem letzten EU-Gipfel Ende Oktober “stabile”, also zuverlässig. Eine Entscheidung könnte schon im November fallen.

“Das wäre der Super-GAU für Europas Energie­wende”, bewertete Sven Giegold, Europa­abgeordneter der Grünen, die mögliche Anerkennung der Atomenergie. Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze bezog in einem Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland Stellung gegen die Pläne: “Wir setzen uns dafür ein, dass die Atom­energie nicht als nachhaltig eingestuft wird.”

Einen Tag nach den Äußerungen Macrons meldeten sich die Umweltministerinnen und -minister der EU-Mitglieder Deutschland, Dänemark, Luxemburg, Österreich und Portugal gemeinsam zu Wort und sprachen sich geschlossen gegen die Aufnahme der Atomkraft in die Kategorie der klimaschonenden Energieerzeuger aus. “Die Taxonomie soll als ‘Kompass’ für Investoren dienen”, warnte Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler, "Alles, was den Beigeschmack von “Greenwashing” hat, könnte das Vertrauen in diesen Kompass gefährden.". Joao Pedro Matos Fernandes, Umweltminister Portugals erklärte, Gelder, die in Atomkraft investiert würden, stünden nicht mehr für Investitionen in erneuerbare Energiegewinnung zur Verfügung.

Wunschtraum SMR

Bereits vor einigen Wochen hatte Macron die Absicht bekundet, bis 2030 kleinere Reaktoren (SMR – small modular reactor) schaffen zu wollen.

Doch vieles spricht aus technischer Sicht dagegen, dass die Technologie die Grundprobleme der Atomkraft löst: Im März dieses Jahres veröffentlichte das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) ein aktuelles Gutachten zu SMR. Die beauftragten Autoren des Freiburger Öko-Instituts kamen darin zu dem Schluss, dass SMR weder ausgereift noch sicher genug seien. Die Technologie könne “weder die Altlasten der Atomenergie-Nutzung beseitigen noch die jetzt anstehenden Zukunftsfragen des Klimawandels beantworten”.

Zudem seien die Technologien gar nicht am Markt verfügbar, sondern noch in der Entwicklung. “Gleichzeitig werden sie verbunden mit Versprechen, die oftmals stark denen ähneln, die bereits mit der ersten Generation von Reaktoren in den 1950ern und 1960er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gemacht worden waren”, schrieben die Experten. Fragen zu Sicherheit, Transport, Rückbau sowie zur Zwischen- und Endlagerung seien ungeklärt.

Katastrophen ignoriert

Derzeit sind in Frankreich 56 Reaktoren in Betrieb. Damit liegt das Land auf Platz zwei der weltgrößten Produzenten von Atomstrom – hinter den USA mit 94 Reaktoren und vor China mit 48. Frankreich bezog im Jahr 2020 seine Gesamtenergie zu rund 45 Prozent aus Atomkraftwerken.

Anders als Deutschland setzt Frankreich auch nach der Katastrophe im japanischen Fukushima 2011 und zahlreichen anderen Zwischenfällen weltweit weiter auf Atomenergie. Das älteste AKW des Landes im elsässischen Fessenheim wurde im vergangenen Jahr abgeschaltet, und bis 2035 sollen weitere Reaktorblöcke vom Netz gehen. Die meisten französischen Meiler wurden überwiegend im vergangenen Jahrhundert gebaut, sind technisch veraltet und müssten in den kommenden Jahren abgeschaltet werden.

Ausufernde Kosten und technische Probleme hatten den Ausbau der Atomkraft in Frankreich in den vergangenen Jahren immer wieder behindert. Für einen umstrittenen EPR-Atomreaktor der dritten Generation in Flamanville am Ärmelkanal, dessen Bau bereits 2007 begann, wurde kürzlich die Betriebsgenehmigung erteilt. Die Inbetriebnahme war zuletzt auf Ende 2022 verschoben worden – auch, weil undichte Schweißnähte in der Stahlhülle entdeckten wurden. Die Kosten liegen statt ursprünglich veranschlagter 3,3 Milliarden nun wohl bei mehr als zwölf Milliarden Euro. Der Bau sollte eigentlich 2012 beendet sein. (dpa / hcz)