Indien: Hyderabad auf dem Weg zur Totalüberwachung
Die indische Stadt Hyderabad ist schon heute eine der meistüberwachten Städte der Welt – und die Behörden wollen den Einsatz von Gesichtserkennung weiter ausbauen. Die Organisationen Amnesty International, Article 19 und die Internet Freedom Foundation fordern einen Stopp der Massenüberwachung.
Die Stadt mit knapp sieben Millionen Einwohnern habe mit dem Bau eines neuen “Command and Control Centre” begonnen, schreiben die Organisationen in einem neuen Bericht. Dort sollen die Aufnahmen der vorhanden Überwachungskameras in Echtzeit von der Polizei verarbeitet werden. Die Einrichtung soll auf bis zu 600.000 Kameras zugreifen können. Die Organisationen kritisieren, in Kombination mit der von der Polizei verwendeten Gesichtserkennungssoftware ließen sich Menschen so im öffentlichen Raum identifizieren und verfolgen.
Amnesty International hat exemplarisch die Standorte von sichtbaren Kameras in zwei Stadtteilen dokumentiert: Im Stadtteil Kala Pathar werden demnach über 50 Prozent der Gesamtfläche überwacht. In Kishan Bagh sind es sogar mehr als 60 Prozent.
30 Kameras auf 1000 Einwohner
Bereits im vergangenen Jahr hatten indische Medien berichtet, dass Hyderabad eine der am meisten überwachten Städten der Welt ist. Damals hieß es, auf 1000 Einwohner kämen 30 Kameras.
Die Organisationen kritisieren, durch den Bau des zentralen Kontrollzentrums werde die Überwachung in der Stadt noch verstärkt – ohne dass die Privatsphäre der Bevölkerung durch Gesetze geschützt sei. Auch der Einsatz biometrischer Überwachung wie automatisierter Gesichtserkennung sei nicht gesetzlich geregelt. Die von der Technik ausgehenden Gefahren würden so noch verstärkt. Die Organisationen fordern, der Einsatz der Gesichtserkennung müsse gestoppt werden. Firmen, die solche Technik verkaufen, müssten zudem die Wahrung der Menschenrechte sicherstellen.
“Hyderabad ist auf dem besten Weg, eine totale Überwachungsstadt zu werden. Es ist fast unmöglich, die Straße entlang zu gehen, ohne zu riskieren, von Gesichtserkennung erfasst zu werden”, kritisierte Matt Mahmoudi, Forscher für künstliche Intelligenz bei Amnesty International.
Quinn McKew, Geschäftsführer von Article 19, erklärte: “Die Gesichtserkennungstechnologie kann erkennen wer du bist, wohin du gehst, was du tust und wen du kennst. Sie bedroht die Menschenrechte, darunter das Recht auf Privatsphäre, und gefährdet einige der Schwächsten in der Gesellschaft.” Der Bau des Kontrollzentrums könne eine abschreckende Wirkung mit Folgen für die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit haben.
Amnesty International zeigt sich außerdem besorgt darüber, dass die Polizei in Hyderabad sogar auf der Straße biometrische Daten sammelt: Videos belegten Dutzende Fälle, in denen Passanten zwischen November 2019 und Juli 2021 angehalten und fotografiert wurden. In einigen Fällen seien auch Fingerabdrücke genommen worden. Eine Erklärung für die Maßnahmen habe die Polizei nicht gegeben. Dabei sei es der Polizei gesetzlich nur dann erlaubt, Personen zu fotografieren, wenn diese verhaftet oder verurteilt werden. Die Fotos könnten für das Gesichtserkennungssystem genutzt werden, mahnte Matt Mahmoudi.
Gesichtserkennung bei Protesten und in Schulen
Biometrische Daten sind besonders sensibel, da sie sich nicht verändern lassen. Personen können so ein Leben lang über sie identifiziert werden. Zudem gelten Gesichtserkennungssysteme als unzuverlässig: Amnesty berichtet beispielsweise, das von der Polizei im indischen Delhi eingesetzte System arbeite nur in 2 Prozent der Fälle korrekt. Doch selbst wenn die Technik funktioniere, bestehe die Gefahr, dass diskriminierende Polizeimaßnahmen gegen benachteiligte Bevölkerungsgruppen verschärft werden.
Der Einsatz von Gesichtserkennung sei zudem nicht auf Hyderabad beschränkt: Die Internet Freedom Foundation hat landesweit 75 Gesichtserkennungssysteme gezählt. Die meisten davon werden im Bundesstaat Telangana verwendet, dessen Hauptstadt Hyderabad ist. Landesweit hätten die Behörden die umstrittene Technik bereits genutzt, um Beschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie zu kontrollieren, Personen bei Kommunalwahlen zu identifizieren und sogar um Proteste zu überwachen.
Die staatliche Eisenbahngesellschaft überwacht seit Mitte des Jahres Bahnhöfe in zwei Bundesstaaten mit Gesichtserkennung – auf den Strecken sind täglich Millionen Passagiere unterwegs. Auch staatliche Schulen nutzen die Technik. Die Organisationen warnen, es sei ein landesweites Gesichtserkennungssystem mit einer zentralen Biometriedatenbank geplant, mit der die Behörden jeden Schritt der Bevölkerung überwachen könnten.
Ein breites Bündnis von Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen – darunter auch Amnesty International – hatte erst im Sommer ein weltweites Verbot gefordert.
Anfang Oktober hatte zudem das Europaparlament eine Resolution gegen Massenüberwachung mittels automatisierter Gesichtserkennung und anderer biometrischer Erkennungsverfahren beschlossen. Rechtlich bindend ist diese allerdings nicht: Das Parlament, die EU-Kommission und der EU-Rat müssen den finalen Gesetzestext noch im sogenannten Trilog verhandeln. (js)