Gerichtsurteile: Vorratsdatenspeicherung in Belgien und Frankreich gekippt

Europäischer Gerichtshof
Der Europäische Gerichtshof hat die Vorratsdatenspeicherung bereits mehrfach untersagt, mit möglichen Ausnahmen. (Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union)

Sowohl der belgische Verfassungsgerichtshof als auch das höchste Verwaltungsgericht in Frankreich haben in der vergangenen Woche Urteile zur Vorratsdatenspeicherung gefällt: Das belgische Gericht hat die Vorratsdatenspeicherung am Donnerstag vollständig untersagt. Auch in Frankreich wurde die bestehende Regelung für rechtswidrig befunden. Jedoch hat das vorerst keine Auswirkungen: Wegen der aktuellen Bedrohung der nationalen Sicherheit sei sie derzeit gerechtfertigt, erklärten die Richter des Staatsrats (“Conseil d’État”) am Mittwoch. Beiden Entscheidungen waren Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vorausgegangen.

In Frankreich sind Telekommunikationsunternehmen dazu verpflichtet, Verkehrsdaten ein Jahr lang für nachrichtendienstliche und strafrechtliche Ermittlungen aufzubewahren. Dagegen hatten verschiedene Verbände und Organisationen geklagt. Der Staatsrat hatte die Klage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) verwiesen: Dieser hatte im Oktober 2020 entschieden, dass die flächendeckende Speicherung von Internet- und Telefon-Verbindungsdaten nicht zulässig ist. Ausnahmen seien aber möglich, beispielsweise bei Bedrohungen der nationalen Sicherheit.

Genau auf diese Ausnahme beruft sich nun der französische Staatsrat. Er stellte aber auch fest, dass die pauschale Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung zu anderen Zwecken rechtswidrig ist. Ausgenommen davon sind jedoch “weniger sensible Daten” wie IP-Adressen, Bankkonten und Zahlungen. Die Regierung muss die Bedrohungslage nun regelmäßig neu beurteilen.

Geklagt hatte unter anderem die französische Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net. Sie kritisierte das Urteil scharf: Es sei die Illusion eines Sieges, die der Regierung letztlich aber erlaube, die Massenüberwachung aufrechtzuerhalten. Der Staatsrat habe den Begriff der nationalen Sicherheit so definiert, dass dieser beispielsweise auch Wirtschaftsspionage umfasse. Die Organisation befürchtet, dass somit eine dauerhafte Vorratsdatenspeicherung gerechtfertigt würde.

Gesetz muss angepasst werden

Bevor der Zugriff auf die Daten möglich ist, muss die Genehmigung der “Nationalen Kommission für die Überwachung nachrichtendienstlicher Techniken” (CNCTR) eingeholt werden. Allerdings hat der Premierminister aktuell die Möglichkeit, sich über deren Entscheidung hinwegzusetzen. Auch wenn das bisher noch nicht vorgekommen sei, müsse das Urteil der Kommission verbindlich sein, so das Gericht. Die Regierung hat nun sechs Monate Zeit, den Rechtsrahmen entsprechend anzupassen.

Frankreichs Regierung hatte das höchste Verwaltungsgericht vor seinem Urteil dazu aufgerufen, die Entscheidung des EuGH nicht umzusetzen, da diese nicht mit der französischen Verfassung vereinbar sei. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die nationale Sicherheit werden durch den europäischen Rechtsrahmen jedoch nicht gefährdet, urteilte das Gericht nun.

Belgien stoppt Vorratsdatenspeicherung

Der EuGH hatte im Oktober auch zur Vorratsdatenspeicherung in Belgien entschieden. Dieses Urteil zeige, dass die allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung gegen das Recht auf Privatsphäre verstößt und den Schutz personenbezogener Daten verletzt, teilte der belgische Verfassungsgerichtshof am vergangenen Donnerstag mit. Deshalb hat der Verfassungsgerichtshof das Gesetz aufgehoben. Der Gesetzgeber müsse nun eine neue Regelung schaffen, die klare Vorgaben enthält, um den Einsatz der Vorratsdatenspeicherung auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken.

Bei bereits erhobenen Daten muss nun ein Gericht entscheiden, ob diese jeweils als Beweismittel verwendet werden dürfen. Grundsätzlich sei das nicht verboten – solange das Recht einer beschuldigten Person auf ein faires Verfahren gewahrt bleibt.

Anlasslose Überwachung

Seit Jahren gibt es in mehreren EU-Ländern Streit um das Thema Vorratsdatenspeicherung zwischen Sicherheitsbehörden und -politikern auf der einen sowie Bürgerrechtlern und Verbraucherschützern auf der anderen Seite. Die Befürworter argumentieren, zum Schutz der nationalen Sicherheit und im Kampf gegen schwere Verbrechen müssten Ermittler die Möglichkeit haben, auf gespeicherte Telekommunikationsdaten zuzugreifen. Dagegen fürchten die Kritiker starke Eingriffe in die Grundrechte, wenn die Unternehmen massenhaft Verbindungsdaten ihrer Kunden sichern müssen – ohne dass ein konkreter Tatverdacht besteht. So würden mit der Vorratsdatenspeicherung Verbindungsdaten Millionen Unschuldiger gespeichert werden. Dies birgt großes Missbrauchspotenzial seitens der Behörden.

In Dänemark kam es 2019 durch die Vorratsdatenspeicherung als Beweismittel zu einer der größten Justizpannen des Landes. Falsch ausgewertete Verbindungs- und Bewegungsdaten waren über mehrere Jahre hinweg in Tausenden Gerichtsprozessen als Beweismittel angeführt worden. (js)