Greenpeace-Bericht: Nachhaltigkeits-Labels in der Mode nur Greenwashing
Diese Woche jährte sich der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh zum zehnten Mal. Damals wurden mehr als 1100 Textilarbeiterinnen getötet. Eine zum Jahrestag veröffentlichte Untersuchung von Greenpeace kommt zu dem Schluss, dass Nachhaltigkeitsversprechen der Modeindustrie nach wie vor oft nur Versuche des Greenwashings sind. Auch die Arbeitsbedingungen in der Branche seien weiterhin “katastrophal”.
Die Katastrophe hatte weltweit die Aufmerksamkeit auf die negativen Folgen der trendgetriebenen Modeindustrie gelenkt – sowohl soziale als auch ökologische. Heute wirbt die sogenannte Fast-Fashion-Industrie zunehmend mit Begriffen wie “nachhaltig”, “eco” oder “Fair” für ihre Kleidung. Die Schlagwörter finden sich auf Labels, die die Marken an ihre Kleidungsstücke hängen. Sie versuchen den Kundinnen und Kunden zu vermitteln, die Kleidung werde unter umwelt- und klimaschonenden Bedingungen hergestellt oder Arbeiterinnen und Arbeiter würden gerecht entlohnt und unter sicheren Bedingungen arbeiten.
Dass dem oft nicht so ist, deckt nun der Bericht "Die Label-Masche" auf. “Nachhaltigkeitsversprechen der Marken werden als Ausreden benutzt, um ein kaputtes System aufrechtzuerhalten”, kritisiert Greenpeace. Die Maßnahmen der Modemarken für mehr Umweltschutz reichten nicht aus, um die negativen Umweltfolgen der Fast Fashion zu kompensieren. Denn die grundlegende Ursache der Probleme bliebe auch nach Jahren der Kritik bestehen: das Geschäftsmodell, “das auf Überproduktion und dem andauernden Überkonsum von ‘Wegwerfkleidung’ basiert”.
Die meisten Labels (ent)täuschen
Greenpeace spricht von einem “ganzen Dschungel” an Labeln, Anhängern, Piktogrammen, Abkürzungen und Nachhaltigkeits-Versprechen, von denen die Kundinnen und Kunden auf der Suche nach nachhaltiger Kleidung überflutet würden. Die Organisation hat geprüft, welchen dieser markeneigenen Labels die Kunden vertrauen können.
Von 14 untersuchten markeneigenen Labels zeigte sich Greenpeace nur mit dreien (einigermaßen) zufrieden: Nur “Vaude Green Shape” und “Coop Naturaline” halten aus Sicht von Greenpeace die gemachten Versprechen. “Tchibo Gut Gemacht” schaffte es immerhin auf eine mittelmäßige Gesamtbewertung. Der Rest fiel bei vielen der Nachhaltigkeitskriterien durch. Nachhaltigkeitslabels wie “Zara Join Life” und “Primark Cares” stuft Greenpeace als Augenwischerei ein. Die Umweltschutzorganisation spricht von “besorgniserregenden wiederkehrenden Mustern”: Unter anderem werden verwirrende Produktanhänger kritisiert, die Zertifizierungen vorgaukeln. Denn oftmals fehlten unabhängige Kontrollen zur Einhaltung der Standards durch unabhängige Dritte und Lieferketten seien intransparent und nicht rückverfolgbar.
“Auch zehn Jahre nach Rana Plaza beutet die Fashion-Industrie weiterhin Menschen aus und zerstört die Umwelt. Mit Nachhaltigkeit auf einem Label zu werben, aber unter katastrophalen Arbeitsbedingungen immer mehr Plastik-Wegwerftextilien zu produzieren, ist Greenwashing”, erklärte Viola Wohlgemuth von Greenpeace. Die Organisation fordert die Marken auf, Verantwortung zu übernehmen, Warenströme zu “entschleunigen” und den Materialkreislauf zu schließen hin zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft.
Billiglöhne und Einwegplastik
Im Rahmen der Untersuchung hat Greenpeace geprüft, auf welcher Basis die Behauptungen der Nachhaltigkeit aufgestellt werden, wie zuverlässig die Informationen sind und welche Bereiche der Produktion sie abdecken.
Hierfür wertete die Organisation unter anderem gemeldete und gemessene Fabrik-Abwasserdaten aus, um hinsichtlich des Einsatzes von umwelt- und gesundheitsgefährdenden Chemikalien aus. Zudem wurde geprüft, ob die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Produktionsstätten existenzsichernde Löhne erhalten und ob Daten über Zulieferbetriebe und Lieferketten öffentlich zugänglich sind. Insgesamt wurden 14 Kriterien bewertet.
Lieferketten konnten demnach bei keinem Label vollständig auf dem Label selbst oder im Onlineshop nachvollzogen werden. Das gleiche Bild ergibt sich bei der Verwendung des Kunststoffes Polyethylen aus recycelten PET-Flaschen zur Herstellung von Polyesterfasern – bis auf Coop konnte hier keine Marke überzeugen. Greenpeace kritisiert an dem Verfahren, dass bei der Herstellung und beim Waschen der Fasern Mikroplastik in Flüsse und Meere gelangt. Das Recycling beschleunige die Zersetzung in immer kleinere Teile sogar noch. Zudem sind die Fasern nicht erneut recyclebar.
Ebenfalls ein Kritikpunkt bei den meisten Labels: “existenzsichernde Löhne für Arbeiter:innen in der Lieferkette”. Unter anderem fielen hier “Benetton Green Bee”, “Calzedonia Group” und “Decathlon Ecodesign” komplett durch. Nur “Vaude Green Shape” schnitt hier gut ab.
Turbokomsun
Als Fast Fashion wird das Geschäftsmodell großer Teile der Bekleidungsindustrie bezeichnet, bei dem Kleidungskollektionen trendgetrieben entworfen, preiswert produziert und verkauft und nach kürzester Zeit durch neue Kollektionen ersetzt werden. Die Produktionsstätten finden sich größtenteils in südostasiatischen Ländern mit niedrigen Löhnen und Arbeitsschutzstandards. Greenpeace kritisiert, das Geschäftsmodell basiere auf Ausbeutung der Beschäftigten und Ressourcen.
Die Produkte werden oftmals als “Wegwerfkleidung” bezeichnet. Während 2014 weltweit bereits 100 Milliarden Kleidungsstücke pro Jahr produziert wurden, besagen Prognosen laut Bericht, dass es im Jahr 2030 bereits über 200 Milliarden Stücke sein könnten.
Davon würden aktuell weniger als ein Prozent aus recycelten Textilfasern hergestellt. Die – meist nach kurzer Tragezeit – entsorgten nicht recycelfähigen Textilien landeten in Massen in Ländern des globalen Südens, vornehmlich in Afrika. Dort bilden sie Berge aus Müll und kontaminieren ganze Landstriche. Im Rahmen einer Recherche hatte die Umweltschutzorganisation 2022 beispielsweise die verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt in Afrika mit Fotos und Videos dokumentiert.
Die Umweltschutzorganisation warnt davor, dass sich die extremen Auswüchse der Modebranche weiter steigern – durch die aufkommende “Ultra Fast Fashion”. Inbegriff dieses Phänomens sei die chinesische Online-Modemarke SHEIN, die aggressives Marketing mithilfe von Influencern betreibt und in sozialen Netzwerken wie TikTok so präsent ist wie keine anderen Modemarke. Das Angebot von SHEIN erneuert sich laufend und der Shop biete bis zu 9000 neue Designs an – pro Tag. Die Preise liegen teils noch unter denen anderer Billig-Anbieter wie H&M, Zara und Primark.
Echte Nachhaltigkeit gefordert
Zur Lösung der Probleme fordert Greenpeace, die Warenströme zu entschleunigen und auf zirkuläre Geschäftsmodelle umzustellen. “Die schlichte Wahrheit ist […], dass Fast Fashion niemals nachhaltig sein wird”, so die Organisation.
Grundsätzlich müsse auf langlebiges Design gesetzt werden, also weniger Kleidung in besserer Qualität produziert werden. Die Produktlebensdauer müsse verlängert werden, indem Stücke reparierbar und wiederverwendbar werden und auch eine Mehrfachnutzung möglich wird. Die Materialkreisläufe müssten geschlossen werden, indem unter anderem Rücknahmesysteme eingerichtet und Recycling betrieben werden.
“Verbraucher:innen brauchen statt neu produzierter Plastik-Klamotten endlich Textil-Leih-Modelle, Second Hand und Reparaturen – echte Nachhaltigkeit muss Standard werden”, forderte Greenpeace-Expertin Wohlgemuth. Globale Modemarken sollten sich nicht mehr nur als Produzierende verstehen, sondern müssten vielmehr Textil-Dienstleistende werden, so Greenpeace.
Von der Politik und Entscheidungsträgerinnen und -trägern fordert Greenpeace, “lineare Geschäftsmodelle zu transformieren und zu verhindern, durch welche ein Verharren in derzeitigen Routinen und zerstörerischen Modellen geschützt oder gar gefördert wird.” Strenge Regulierungsmaßnahmen seien nötig, die die Hersteller in die Pflicht nehmen. Auf EU-Ebene gäbe es bereits entsprechende Vorschläge wie das neue Lieferkettengesetz. Nun müssten diese umgesetzt werden – ohne Schlupflöcher wie es in der Vergangenheit der Fall gewesen sei. Bislang fehlten in der EU-Textilstrategie Pläne zur Entgiftung der Textil-Lieferketten, der Verzicht auf synthetische Fasern sowie verbindliche Anforderungen an Haltbarkeit und Ökodesign.
In der Zwischenzeit müssten Verbraucherinnen und Verbraucher wahrheitsgemäße Informationen über die Produkte erhalten. Zertifizierungssysteme für Textilien und Produktionsketten müssten solide und glaubwürdig sein. Dazu sollten Begriffe wie “öko”, “grün” und “natürlich” nur dann im Marketing Verwendung finden dürfen, wenn die Herkunft des Produkts unabhängig überprüft werden kann. Greenpeace plädiert für ein Verbot von Nachhaltigkeitsbehauptungen, die sich nur auf Einhaltung gesetzlicher Vorgaben beschränken und zudem nicht unabhängig überprüft werden können. (hcz)