Textilabfälle werden als Altkleider in Afrika abgeladen

Mülldeponie
“Fast Fashion hat sich längst zu Ultra Fast Fashion entwickelt, trotz aller Nachhaltigkeits-Versprechen.” (Quelle: Greenpeace)

In Deutschland werden jährlich rund eine Million Tonnen Altkleider gesammelt. Die Sammlungen suggerieren, dass Textilien nicht im Müll landen, sondern ein zweites Leben erhalten. Dass dem in der Realität selten so ist, zeigt eine neue Greenpeace-Recherche.

Denn ein großer Teil der Gebrauchtware landet im globalen Süden – zwar als wiederverwendbare “Altkleider” deklariert, aber Schätzungen zufolge zu 40 Prozent kaputt, verschmutzt oder für das örtliche Klima ungeeignet, sodass die Textilien nicht mehr getragen werden können.

Greenpeace verdeutlicht am Beispiel ostafrikainischer Länder, wie Altkleiderexporte zur Entsorgung von Textilmüll missbraucht werden. Die Organisation hat die verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt in Afrika mit Fotos und Videos dokumentiert: riesige Müllberge, verschmutzte Flüsse, verunreinigte Luft.

Die Umweltschützer werfen den Exporteuren vor, sich ihrer Verantwortung für den Müll zu entziehen. “Sie lassen die Menschen in Ostafrika mit dem exportieren Plastik-Textilmüll allein – ohne jede Infrastruktur für die Entsorgung”, kritisiert Viola Wohlgemuth, Expertin für Ressourcenschutz bei Greenpeace.

“Der Export von Textilabfällen aus dem globalen Norden muss verboten werden”, fordern die Expertinnen und Experten. Auch müssten die Geschäftsmodelle der Kleidungsbranche weg von “Fast Fashion” – hin zu mehr Nachhaltigkeit.

Mehr Müll durch Fast Fashion

In Accra, der Hauptstadt von Ghana, würden beispielsweise jede Woche rund 15 Millionen gebrauchte Kleidungsstücke auf dem örtlichen Kleidungsmarkt ankommen. In Ostafrika ist Kenia mit rund 185.000 Tonnen im Jahr 2019 der größte Importeur von Secondhand-Kleidung. 55.500 bis 74.000 Tonnen davon sind laut Greenpeace Müll.

Dass solche Massen an Gebrauchttextilien nach Afrika gelangen, liege auch an dem weiter steigenden Konsum in den wohlhabenderen Staaten: Seit Mitte der 2000er Jahre hat sich die Zahl der Kleidungsstücke, die Durchschnittsverbraucherinnen und -verbraucher kaufen, laut dem Pulse Report der Global Fashion Agenda verdoppelt. Von der „Kreislaufwirtschaft“, die viele Firmen propagieren, ist die Branche laut Greenpeace wie kaum eine andere entfernt. Weniger als ein Prozent aller Kleidungsstücke würden aus recycelten Textilfasern neu hergestellt. Und das Produktionsvolumen steige jährlich immer noch um 2,7 Prozent. Fast Fashion habe sich längst zu Ultra Fast Fashion entwickelt, trotz aller Nachhaltigkeits-Versprechen.

Mülldeponie
Die Deponien wie in Dandora, Nairobi, sind bereits überfüllt und können die Textilien nicht mehr aufnehmen. (Quelle: Greenpeace)

“Das Geschäftsmodell der Fast Fashion-Industrie beruht auf einem unaufhörlichen Wachstum und dem immer schnelleren Konsum von ‘Wegwerfmode’, das sich darauf erlässt, dass der Globale Süden als Müllhalde für die wachsenden Berge von ausrangierter Kleidung dient”, kritisieren die Autorinnen und Autoren. Ökologische, gesundheitliche und wirtschaftliche Auswirkungen der Mülldeponien und in der Landschaft verstreuten Altkleider würden in dem Geschäftsmodell der heutigen Modebranche nicht berücksichtigt.

Ungewisse Müllmengen

Die tatsächliche Menge der als Müll endenden Kleidungsstücke ist nicht exakt zu ermitteln, so Greenpeace. Denn offizielle Daten gibt es nicht. Altkleiderhändler seien nicht dazu verpflichtet, zu berichten, was mit Altkleidern und Textilabfällen geschieht. Die Erkenntnisse des Berichts basieren daher auf den Daten, die freiwillig veröffentlicht werden.

Demnach werde nur 10 bis 30 Prozent der gesammelten Kleidung in den Herkunftsländern als Secondhand-Ware angeboten. Bis zu 90 Prozent kaufen Recycling-Unternehmen und Händler.

Von der aufgekauften Ware werde 5 bis 10 Prozent direkt als Abfall entsorgt, 25 bis 50 Prozent werde “downgecyclet” – beispielsweise als Wischtücher oder als Rohstoff für die Industrie. 45 bis 60 Prozent exportieren die Händler, unter anderem in ostafrikanische Häfen.

30 bis 40 Prozent der exportierten Ware könne nicht verkauft werden, da sie in zu schlechtem Zustand ist. Entweder findet dann Downcycling statt oder die Abfälle würden in den Empfängerländern “beseitigt”, so Greenpeace – mangels Entsorgungssystem oftmals unkontrolliert in der Umwelt. “Statt auf Müllhalden oder in Verbrennungsanlagen im Westen zu landen, liegt die Kleidung jetzt auf Deponien in Afrika”, schreibt Greenpeace.

Wie viel Ware zusätzlich bei den Verkäufern in den Importländern nicht verkauft werden kann und dann ebenfalls als Abfall entsorgt wird, sei unbekannt.

Plastikklamotten

In den Empfängerländern sei keine Infrastruktur für die Entsorgung der Textilabfälle vorhanden. Da offizielle Deponien überfüllt seien, würde der Müll unter anderem an Siedlungsgrenzen und in Flüssen wild entsorgt. Ein Teil davon werde verbrannt.

Die unsachgemäß entsorgten Kleidungsabfälle schaffen langfristige Umweltprobleme, die “nur schwer bis gar nicht mehr” zu beseitigen seien. Da sie bis zu 69 Prozent aus Kunststoff, vornehmlich Polyester, bestehen, sind sie nicht biologisch abbaubar. Sie verrotten nicht und geben Mikroplastik an die Umgebung ab, beispielsweise an Fließgewässer. Sie verstopfen Gewässer und Abflüsse und können so Überschwemmungen verursachen.

Verdreckter Fluss
Über Gewässer wie den Nairobi River nahe des Gikomba Markts gelangt Mikroplastik aus der Kleidung bis in die Nahrung der Menschen. (Quelle: Greenpeace)

Werden die Altkleider verbrannt, werden Mikroplastikfasern in die Luft freigesetzt. Solche seien bei aktuellen Studien auch in den Lungen von Menschen gefunden worden. Die Prognose der Experten lautet: “Die Abfälle aus Plastikkleidung werden sich vor Ort in der Umwelt ansammeln und die bereits bestehende Plastikmüllkrise in diesen Ländern weiter verschärfen.”

Während der mehrere Jahrhunderte dauernden Zersetzung der Plastik-Textilien werde zudem das Treibhausgas Methan freigesetzt, das beträchtlich zum Klimawandel beiträgt.

Interessenkonflikte

Um den Strom an Altkleidern nach Afrika zu regulieren, hatte sich die Ostafrikanische Staatengemeinschaft 2016 eigentlich auf ein Importverbot von Altkleidern bis 2019 geeinigt. Es sollte der ortsansässigen Textilindustrie Luft verschaffen, den Markt mit lokal hergestellter Kleidung zu bedienen und die Wirtschaft anzukurbeln.

Nachdem die USA auf den Vorstoß mit Handelsstrafen gedroht hatten, zog sich Kenia aus dem Abkommen zurück. Uganda, Ruanda und Tansania versuchten die Schwierigkeiten mit den USA zu umgehen und gleichzeitig die lokale Wirtschaft zu schützen, indem sie die Steuern auf importierte Kleidung erhöhten. Da daraufhin Importeure nicht mehr ihre Ware im Hafen abholten, lockerten auch diese Länder wieder ihre Einfuhrbeschränkungen.

Internationales Handeln gefordert

Greenpeace fordert von der Modebranche, die “Fast-Fashion-Industrie” zu verlangsamen und ihre Geschäftsmodelle anzupassen. Kleidung sollte hochwertiger, langlebiger, und besser reparierbar sein.

Die Organisation sieht internationale Verträge, ähnlich dem Pariser Klimaabkommen, als Lösungsansatz. Orientieren könne man sich an den Zielen der kürzlich verabschiedeten EU-Textilstrategie.

Demnach soll Textilware bis 2030 recyclebar sein und größtenteils aus wiederverwendeten Fasern bestehen, frei von gefährlichen Stoffen. Hersteller sollen zu Haltbarkeit und Reparatur ihrer Produkte verpflichtet werden. Damit keine Textilabfälle mehr unter dem Vorwand der wiederverwertbaren Gebrauchtware exportiert werden, sollen spezifische Kriterien für die Unterscheidung festgeschrieben werden. Die EU will Unternehmen außerdem dazu verpflichten, öffentlich bekannt zu geben, wie viel Ware sie weggeworfen und zerstört haben.

Zusätzlich schlägt Greenpeace die Entwicklung einer Strategie “zur Entgiftung der Textilversorgungskette und zur Verhinderung der chemischen Verschmutzung der Wasserwege im Globalen Süden” vor. Für die Herstellung von Textilien sollten keine synthetischen Fasern mehr verwendet werden, sondern nur noch biologisch abbaubare und kompostierbare Stoffe.

Für die Importländer fordert Greenpeace eine Garantie, dass sie alle unbrauchbar importierten Altkleider wieder in die Herkunftsländer zurückschicken können. Nur der Export von tatsächlich noch tragbaren Altkleidern solle erlaubt bleiben. (hcz)