Brasilien: Gericht ordnet landesweite Telegram-Sperre an
Ein Gericht in Brasilien hat am Mittwoch eine landesweite Sperre des Messenger-Dienstes Telegram angeordnet. Der Anbieter soll einer Anordnung zur Herausgabe von Nutzerdaten bisher nicht Folge geleistet haben – Telegram soll deswegen auch eine tägliche Strafe in Höhe von umgerechnet etwa 180.000 Euro zahlen.
Medienberichten zufolge hat ein Bundesgericht im Bundesstaat Espírito Santo verfügt, dass Provider den Dienst blockieren müssen. Außerdem sollen Apple und Google die Software aus ihren Appstores entfernen.
Zuvor hatte ein Gericht Telegram dazu verpflichtet, der Bundespolizei Daten von Mitgliedern aus Neonazi-Chatgruppen zu übermitteln. Dem sei der Betreiber aber nicht nachgekommen. Das Bundesgericht stellte fest, Telegram habe nicht vollständig mit den polizeilichen Ermittlungen kooperiert.
Die Organisation NetBlocks bestätigte am Donnerstag, dass die größten Provider Claro und Vivo die Anordnung bereits umgesetzt hätten – Telegram sei in ihren Netzen nicht mehr erreichbar. Über einige kleinere Anbieter ließe sich jedoch weiterhin auf den Dienst zugreifen. Auch könnten Nutzerinnen und Nutzer die Blockade mithilfe sogenannter VPN-Dienste umgehen. Die Organisation kritisierte die unverhältnismäßigen Auswirkungen solcher Sperren auf die Bevölkerung.
Ermittlungen wegen Schulgewalt
Die Anordnung steht in Verbindung mit Ermittlungen der brasilianischen Bundespolizei gegen Mitglieder von Chatgruppen, die über Telegram zu Gewalt in Schulen aufgerufen haben sollen.
In Brasilien war es in den vergangenen Monaten zu tödlichen Angriffen an Schulen und Kindergärten gekommen: So hatte ein 25-Jähriger Anfang April im südbrasilianischen Blumenau vier Kinder in einer Kinderkrippe getötet. Ende März hatte ein 13-Jähriger in einer Schule in der Millionen-Metropole São Paulo mehrere Lehrkräfte und einen Schüler mit einem Messer angegriffen – eine 71-jährige Lehrerin wurde schwer verletzt und starb später. Und im November 2022 hatte ein Bewaffneter in zwei Schulen im Ort Aracruz in Espírito Santo drei Menschen erschossen.
Die Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva kündigte nach dem Vorfall in Blumenau die Freigabe finanzieller Mittel für die Ausweitung der polizeilichen Schulpatrouillen in ganz Brasilien an. Eine Arbeitsgruppe zur Vermeidung und Bekämpfung von Gewalt an Schulen tagte daraufhin erstmals.
Berichten zufolge, hatte Justiz- und Sicherheitsminister Flávio Dino Mitte April außerdem eine Verordnung erlassen, um Plattformen in die Verantwortung zu nehmen. Demnach müssen die Plattformbetreiber von der Polizei gemeldete Profile oder Beiträge, die Hass verbreiten oder zu Gewalt an Schulen aufrufen, innerhalb von zwei Stunden entfernen. Bei Missachtung drohen hohe Geldstrafen und in letzter Instanz die Blockade der Plattform im Land.
Telegram- und WhatsApp-Blockaden
Bereits Anfang 2022 hatte Brasiliens Oberster Gerichtshof eine landesweite Telegram-Sperre angeordnet. Auch damals ging die Entscheidung auf ein Gesuch der brasilianischen Bundespolizei zurück. Sie hatte gegen einen Blogger ermittelt, dem die Verbreitung von Desinformationen vorgeworfen wurde. Nachdem Telegram das Konto des Bloggers gesperrt hatte, hob der Gerichtshof die Sperranordnung wieder auf.
Laut New York Times wurde auch WhatsApp in den Jahren 2015 und 2016 insgesamt viermal blockiert. In diesen Fällen ging es ebenfalls um die Herausgabe von Nutzerdaten im Rahmen von Ermittlungen.
Weil WhatsApp der Anordnung damals nicht nachgekommen war, hatte die brasilianische Bundespolizei im Jahr 2016 auch einen leitenden Angestellten des WhatsApp-Mutterkonzerns Facebook kurzzeitig verhaftet.
Telegram steht seit längerem international in der Kritik, weil sich Desinformationen und Hassrede über den Dienst verbreiten. Im Januar 2022 hatte auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eine Telegram-Sperre ins Spiel gebracht – später aber erklärt, sie habe damit nur den Druck auf den Dienst erhöhen wollen. Bürgerrechtler und Journalisten hatten nach Faesers ursprünglichen Äußerungen vor einer Einschränkung der Meinungsfreiheit gewarnt. (dpa / js)