Griechenland: Kritik an Gesetz zu Fake News

Griechisches Parlament in Athen
Reporter ohne Grenzen berichtet, die Regierung habe versucht, die Corona-Berichterstattung zu beeinflussen. (Quelle: IMAGO / agefotostock)

Das griechische Parlament hat in der vergangenen Woche eine Änderung des Strafgesetzbuches beschlossen, mit der das Verbreiten von “Fake News” unter Strafe gestellt wird. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kritisiert die vage Formulierung des Gesetzes. So bleibe ein breiter Auslegungsspielraum. Die Regierung müsse die Änderung zurücknehmen – sie sei nicht mit der Meinungs- und Pressefreiheit vereinbar.

Nach Angaben von HRW ist die Gesetzesänderung bereits am 12. November in Kraft getreten – einen Tag, nachdem sie vom Parlament beschlossen wurde. Dort hält die konservative Partei Nea Demokratia die Mehrheit. Die Verbreitung von Falschinformationen, die “geeignet sind, die Öffentlichkeit zu beunruhigen oder zu verängstigen oder das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Volkswirtschaft, die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die öffentliche Gesundheit zu untergraben” steht damit unter Strafe.

Verstöße sollen mit mindestens drei Monaten Haft und einer Geldstrafe geahndet werden. Bei wiederholter Verbreitung “durch die Presse oder das Internet” sind laut HRW mindestens sechs Monate Gefängnis und eine Geldstrafe vorgesehen. Die Höchststrafe beträgt fünf Jahre Haft. Auch Herausgeber oder Eigentümer von Medienunternehmen sollen bestraft werden können.

Einschränkung der Meinungsfreiheit befürchtet

Human Rights Watch bemängelt die fehlende Definition von “Fake News” im Gesetz. Unklar sei auch, nach welchen Maßstäben festgestellt werden soll, ob es sich um Falschinformationen handelt. Außerdem nehme das Gesetz keinen Bezug auf die Notwendigkeit, die Meinungsfreiheit zu respektieren. Nach der EU-Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention sei Griechenland dazu verpflichtet, dieses Recht zu schützen. Regierungen dürften die Meinungsfreiheit nur einschränken, wenn dies unbedingt notwendig und verhältnismäßig ist – beispielsweise zum Schutz der nationalen Sicherheit. Dann müssten die Einschränkungen aber klar formuliert sein. Der neue Artikel erfülle diese Anforderungen nicht. Human Rights Watch forderte auch die EU auf, Druck auf Griechenland auszuüben.

Die Organisation befürchtet, dass die neuen Bestimmungen gegen Kritiker der Regierungspolitik eingesetzt werden könnten – wie etwa Journalistinnen und Journalisten. Dies könne eine abschreckende Wirkung haben und somit die Meinungs- und Medienfreiheit einschränken.

Eva Cossé, Griechenland-Expertin bei HRW, kritisierte: “In Griechenland riskiert man nun eine Gefängnisstrafe, wenn man sich zu wichtigen Themen von öffentlichem Interesse äußert und die Regierung behauptet, dies sei falsch.” Alle Bürgerinnen und Bürger müssten nun Angst haben, wichtige Themen wie die Wirtschaftspolitik zu diskutieren oder darüber zu berichten.

Journalistenorganisationen kritisieren Gesetzesänderung

Bereits im Oktober hatten die Internationale Journalisten-Föderation, die Menschenrechtsorganisation Article 19 und vier weitere Gruppen das griechische Justizministerium aufgefordert, den Änderungsvorschlag zurückzuziehen. Sie hatten geschrieben, Desinformationen seien eine Bedrohung für die Gesellschaft und würden die Demokratie untergraben. Strengere Gesetze seien jedoch nicht die richtige Antwort. Es habe sich bereits in anderen Ländern gezeigt, dass solch vage formulierte Gesetze die Zensur legitimer Berichterstattung ermöglichen.

Die Regierung mache einen großen Schritt zurück. Um gegen die Verbreitung von Falschinformationen vorzugehen, solle sie Medienschaffende schützen, die Medienkompetenz fördern und einen lebendigen Medienmarkt gewährleisten.

Auch der Journalistenverband der Athener Tageszeitungen (ESIEA) hatte im November gewarnt, die Änderung sei zu vage formuliert.

Reporter ohne Grenzen erwägt Beschwerde gegen Gesetzesänderung

“Die griechische Regierung sollte aufhören, Journalisten, der Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit Zensur aufzudrängen”, sagte Eva Cossé von HRW. “Wenn es ihr ernst ist mit der Bekämpfung der Verbreitung von Fehlinformationen, sollte sie ihr Engagement für die Meinungs- und Medienfreiheit unter Beweis stellen und ihre Kritiker nicht durch die Androhung von Strafverfolgung zum Schweigen bringen.”

Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) steht Griechenland auf Platz 70 von 180 Staaten – und damit fünf Plätze niedriger als noch im Vorjahr. Die Organisation kritisiert, dass Medienschaffende bei Demonstrationen häufig angegriffen werden, auch von der Polizei. Diese behindere auch die Berichterstattung über Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln. Die Regierung habe zudem versucht, die Berichtserstattung zur Corona-Pandemie zu beeinflussen. Nach dem Wahlsieg der konservativen Partei Nea Demokratia im Jahr 2019 wurden der öffentliche Rundfunk ERT und die staatliche Nachrichtenagentur ANA-MPA direkt dem Ministerpräsidenten unterstellt.

RSF bezeichnete die Gesetzesänderung auf Twitter als “Gefahr für die Pressefreiheit”. Die Organisation erwägt, eine Beschwerde bei der EU einzureichen.

Eine Sprecherin von Reporter ohne Grenzen in Deutschland kommentierte auf Anfrage von Posteo: “Die Änderungen im griechischen Strafgesetz, die die Verbreitung sogenannter Fake News unter Strafe stellen, sind eine Gefahr für die Pressefreiheit. Der Straftatbestand der Verbreitung von Falschnachrichten wurde auf alle Informationen ausgedehnt, die öffentliche Besorgnis erregen oder das öffentliche Vertrauen untergraben könnten, insbesondere in Bezug auf die öffentliche Gesundheit.” Dies schränke das Recht von Journalistinnen und Journalisten, Informationen im öffentlichen Interesse zu veröffentlichen, ernsthaft ein.

Update vom 18. November: Kommentar von Reporter ohne Grenzen Deutschland hinzugefügt. (js)