Gutachten: Gesetz gegen Hassrede teilweise verfassungswidrig
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hält das am 18. Juni beschlossene Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität für teilweise verfassungswidrig. Das berichtet die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf ein von der Grünen-Fraktion im Bundestag beauftragtes Gutachten. Das Gesetz sieht vor, dass soziale Netzwerke Postings mit beispielsweise volksverhetzenden Inhalten nicht nur löschen, sondern dem Bundeskriminalamt (BKA) melden müssen. Dazu müssen sie auch die Daten der Nutzerinnen und Nutzer weitergeben.
Die Gutachter kommen aber zu dem Schluss, dass einige Befugnisse zur Übermittlung und zum Abruf sogenannter Bestandsdaten zu weit gehen. Denn sie seien an keinerlei nennenswerte Voraussetzungen geknüpft. Der Abruf von Informationen wie Name, Anschrift und Geburtsdatum bedeute jedoch einen Eingriff in die Grundrechte.
Das Gutachten stützt sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Bestandsdatenauskunft bei Telekommunikationsanbietern. Darin heißt es: “Auch Auskünfte über Daten, deren Aussagekraft und Verwendungsmöglichkeiten eng begrenzt sind, dürfen nicht ins Blaue hinein zugelassen werden.” Das Urteil wurde am 17. Juli veröffentlicht, also einen Monat nachdem das Gesetz im Bundestag verabschiedet wurde.
Nach Ansicht des Wissenschaftlichen Dienstes lässt sich das Urteil auf die Regeln des Gesetzes zum Hass im Internet übertragen. Einige der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Paragraphen im Telekommunikationsgesetz seien nahezu identisch mit denen im Gesetz gegen Hass im Netz.
Vorschrift unverhältnismäßig
So sei auch die Vorschrift zur Identifizierung von Nutzern mittels einer IP-Adresse unverhältnismäßig. Denn das Urteil fordert, “eine hinreichend präzise Umgrenzung des Verwendungszwecks der betroffenen Informationen sicherzustellen”. Diese sei in dem Gesetz jedoch nicht gegeben.
Auch spricht laut dem Gutachten viel dafür, dass die vorgesehene Übermittlung von Zugangsdaten verfassungswidrig ist. Hier seien zwar die Eingriffsschwellen höher, da beispielsweise eine richterliche Anordnung erforderlich ist. Das Gesetz sehe die Übermittlung von Zugangsdaten aber auch dann vor, “wenn die gesetzlichen Voraussetzungen ihrer Nutzung nicht vorliegen sollten”. Das aber widerspreche den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Darüber hinaus zweifeln die Gutachter den Nutzen von Zugangsdaten für Ermittlungsbehörden an, da Anbieter die Passwörter gemäß der gesetzlichen Vorgaben verschlüsselt speichern müssen.
Bei den Regeln zum Abruf von Nutzungsdaten hält der Wissenschaftliche Dienst das Gesetz hingegen für verfassungskonform. Mit diesen Daten ließen sich Persönlichkeitsprofile erstellen weshalb sie nicht einfach so an das BKA gelangen dürften. Laut Gesetz dürfen die Ermittler nur dann Zugriff auf Nutzungsdaten erhalten, wenn eine “erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder der Verdacht einer Straftat vorliegt”. Damit seien die Voraussetzungen präzisiert und stellten “eine wesentlich höhere Eingriffsschwelle dar”.
Grüne fordern Gesetzesänderung
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast schrieb auf Twitter, das Gesetz “muss geändert werden um verfassungskonform zu sein”. Der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz (Grüne) teilte mit, man habe stets auf die Zweifel an der Verfassungskonformität des Gesetzes hingewiesen und Alternativen vorgelegt. Der Änderungsantrag der Grünen wurde im Bundestag jedoch abgelehnt.
Das Gesetz gegen Hass und Hetze im Netz sieht deutlich härtere Strafen für Hetze und Drohungen im Internet vor. Unter das Gesetz fallen etwa Neonazi-Propaganda, die Vorbereitung einer Terrortat, Volksverhetzung, Gewaltdarstellungen, aber auch die Billigung von Straftaten. Für Gewaltandrohungen im Internet drohen Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren, bei öffentlichen Morddrohungen von bis zu drei Jahren.
Das Gesetz soll noch im Herbst in Kraft treten, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier muss es aber noch unterzeichnen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung haben Mitarbeiter des Bundespräsidenten allerdings bereits das Gespräch mit dem Justizministerium, dem Innenministerium und dem Kanzleramt gesucht, um ihre Vorbehalte gegenüber dem Gesetz zu erklären.
An dem Gesetz hatte es breite Kritik gegeben, bevor es verabschiedet wurde. So warnte etwa die EU-Kommission, dass das deutsche Gesetz teilweise nicht mit europäischem Recht wie der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vereinbar sei. Die Kommission hatte auch die möglichen schweren Eingriffe in die Grundrechte der Nutzer kritisiert. (js)