Hinrichtungen 2023 auf neuem Höchststand
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat im Jahr 2023 mindestens 1153 Hinrichtungen in 16 Ländern dokumentiert. Hinzu kommt vermutlich eine hohe Dunkelziffer, weil aus einigen Ländern keine Informationen vorliegen – darunter China, wo wahrscheinlich mehr Menschen als in jedem anderen Land hingerichtet werden.
Die Zahl der weltweit dokumentierten Exekutionen ist laut Bericht um 31 Prozent gegenüber dem Jahr 2022 gestiegen, als Amnesty 883 Hinrichtungen dokumentiert hatte. Zudem sei die Zahl der Hinrichtungen im vergangenen Jahr so hoch gewesen, wie seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr: Im Jahr 2015 wurden 1634 Hinrichtungen registriert.
Für den Anstieg sind laut dem Bericht vor allem einige wenige Länder verantwortlich. So fanden nahezu drei Viertel aller registrierten Exekutionen im Iran statt: Dort wurden mindestens 853 Menschen getötet.
Amnesty wirft den iranischen Behörden vor, die Todesstrafe verstärkt einzusetzen, um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen und ihre Macht zu festigen. Mehr als die Hälfte der Hinrichtungen seien zudem für Taten vollstreckt worden, die nach internationalem Recht nicht mit der Todesstrafe geahndet werden dürften – vor allem für Drogendelikte. Auch öffentliche Hinrichtungen habe es in dem Land gegeben – ebenfalls ein Verstoß gegen internationales Recht. Weiterhin kritisiert die Organisation, dass die ethnische Minderheit der Belutschen unverhältnismäßig oft von der Todesstrafe betroffen sei. Obwohl sie nur etwa fünf Prozent der iranischen Bevölkerung ausmache, entfielen 20 Prozent aller Exekutionen im Iran auf sie.
Mit 172 Exekutionen ist auch Saudi-Arabien für einen bedeutenden Teil der von Amnesty erfassten Zahlen verantwortlich – wenngleich es hier einen leichten Rückgang gegenüber den 196 vollstreckten Todesurteilen im Vorjahr gab. Amnesty kritisiert, in dem Land würden Menschen ebenfalls für Taten zum Tode verurteilt, die so nach internationalem Recht nicht bestraft werden dürften. Todesurteile würden nach unfairen Verfahren mit erpressten Geständnissen verhängt.
Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, kritisierte: “Die iranischen Behörden legten 2023 eine grobe Missachtung menschlichen Lebens an den Tag. Saudi-Arabien, das sich selbst für seine Reformbemühungen immer wieder rühmt, fällt Todesurteile teils aufgrund nichtiger Taten wie dem Absetzen von regierungskritischen Social-Media-Posts.”
Anstieg in Somalia und den USA
Auch in Somalia verzeichnete die Menschenrechtsorganisation einen dramatischen Anstieg: Die Zahl der Exekutionen versechsfachte sich von sechs im Jahr 2022 auf mindestens 38 im Jahr 2023. Kein anderes Land in Subsahara-Afrika hat Todesurteile vollstreckt – die Zahl der verhängten Urteile in der Region ist allerdings von 298 im Jahr 2022 auf 494 im Jahr 2023 gestiegen.
Und auch die USA haben im Jahr 2023 mehr Todesurteile (24) vollstreckt als im Vorjahr. In Florida wurde dabei die erste Hinrichtung seit vier Jahren vollzogen. In den US-Bundesstaaten Idaho und Tennessee wurden Gesetzentwürfe eingebracht, die Exekutionen durch Erschießungskommandos erlauben sollen. 23 US-Bundesstaaten hingegen haben die Todesstrafe für alle Verbrechen abgeschafft.
Im 15. Jahr in Folge bleibt das Land damit das einzige in der Region, das Hinrichtungen vollstreckt. Guyana sowie Trinidad und Tobago verhängen ebenfalls Todesurteile – haben sie aber nicht vollstreckt.
Staatsgeheimnis Todesstrafe
In den von Amnesty International veröffentlichten Zahlen fehlt allerdings China, weil die dortige Regierung Angaben zur Todesstrafe als Staatsgeheimnis behandelt. Die Organisation geht aber davon aus, dass in dem Land weltweit die meisten Menschen exekutiert werden – es handle sich vermutlich um tausende Menschen. Amnesty spricht deshalb von einem “Henkerstaat” und fordert die Behörden auf, Angaben über den Einsatz der Todesstrafe im Land zu veröffentlichen.
Aus ähnlichen Gründen sind auch keine Zahlen aus Nordkorea und Vietnam verfügbar. Von beiden Ländern nimmt die Organisation aber ebenfalls an, dass dort in großem Umfang Menschen auf staatliche Anordnung getötet werden. Der Bericht beschreibe das tatsächliche Ausmaß der weltweit durchgeführten Hinrichtungen daher nur teilweise, merkt die Organisation an.
Unter den 1153 Getöteten waren auch mindestens 31 Frauen: 24 wurden im Iran hingerichtet, sechs in Saudi-Arabien und eine in Singapur. Aber auch in China seien Frauen getötet worden – die Anzahl ist jedoch unbekannt.
In Belarus, Japan, Myanmar und im Südsudan hat Amnesty International im Jahr 2023 keine Hinrichtungen registriert. Diese Länder hatten im Jahr 2022 noch Menschen töten lassen.
Weniger Länder vollstrecken Todesstrafe
Insgesamt haben laut dem Bericht 16 Länder Hinrichtungen vollzogen – 2022 waren es noch 20. Es handle sich damit um die niedrigste Anzahl von Ländern, seit Amnesty die weltweiten Hinrichtungszahlen erfasse.
52 Länder haben im vergangenen Jahr insgesamt 2428 neue Todesurteile verhängt. Dabei handle es sich um die höchste Zahl seit dem Jahr 2018 (damals 2531). Besonders in einigen Ländern seien deutlich mehr Urteile als im Vorjahr verhängt worden: So hat Ägypten 590 Menschen zum Tode verurteilt und in Bangladesch wurden mindestens 248 neue Urteile gefällt. Auch im Irak (mindestens 138) und Kenia (131) gab es einen Anstieg.
Ende 2023 waren weltweit mindestens 27.687 Menschen zum Tode verurteilt.
Amnesty International lehnt die Todesstrafe grundsätzlich und ohne Ausnahme ab und fordert ihre weltweite Abschaffung.
Julia Duchrow erklärte: “Immer mehr Länder verabschieden sich von der grausamen Praxis der Todesstrafe. Für Amnesty International ist der Einsatz für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe jedoch erst beendet, wenn kein Mensch mehr Opfer staatlicher Exekutionen wird.”
Ende 2023 hatten Angaben von Amnesty zufolge 144 Länder die Todesstrafe per Gesetz (112 Länder) oder in der Praxis (32 Länder) abgeschafft. (js)