Hongkong: Polizei geht gegen Demokratiebewegung vor
Bei den massenhaften Festnahmen von Mitgliedern der Demokratiebewegung am 6.Januar hat die Hongkonger Polizei auch mehr als 200 Telefone und Notebooks beschlagnahmt. Nach Informationen der Washington Post wurden die Geräte anschließend nach Festland-China geschickt, um sie dort zu analysieren und Daten auszulesen.
Unter den Anfang Januar Festgenommen sind frühere Abgeordnete, Verfechter von Minderheitenrechten und Gewerkschafter. Sie alle hatten sich bei den Vorwahlen zur Parlamentswahl engagiert, die eigentlich im September 2020 stattfinden sollten. Die dem Festland-Regime nahestehende Hongkonger Regierung hat die Wahl aber verschoben – offiziell wegen der Corona-Pandemie. Dem demokratischen Spektrum waren gute Chancen auf einen Sieg prognostiziert worden.
Laut Washington Post beschlagnahmten die Behörden auch Computer von Ehepartnern der Betroffenen, die selbst nicht politisch aktiv waren. Die Polizei habe bei den Festnahmen vereinzelt Listen mit Telefonnummern ihrer Zielperson dabei gehabt. Der ebenfalls festgenommene 23 Jahre alte Owen Chow berichtete der Zeitung, die Polizei habe während der Festnahme die notierten Telefonnummern nacheinander angerufen, um anhand der Klingeltöne die Geräte in seinem Heim ausfindig zu machen.
Staatliche Zugriffsversuche
Bis auf zwei der Festgenommenen sind inzwischen alle Betroffenen nach Kautionszahlungen wieder frei – angeklagt wurde bislang niemand. Angehörige und Bekannte berichteten, es habe unmittelbar nach den Festnahmen außergewöhnliche Aktivitäten auf den Social-Media- und Kommunikationskanälen gegeben: Über Telegram-Accounts seien Nachrichten verschickt und Bestätigungs-Codes zur Überprüfung der Nutzeridentität angefordert worden. Telegram gilt als einer der wichtigsten Kommunikationswege für die Demokratiebewegung.
Zwei ehemalige Abgeordnete erhielten von Google Mail den Hinweis, staatliche Eindringlinge (“State sponsored hackers”) hätten versucht, Zugriff auf ihren Account zu erlangen.
Oppositionelle Webseite blockiert
Nach den Festnahmen war zudem die Internetseite HKChronicles in Hongkong nicht mehr erreichbar – solange man nicht via VPN darauf zugriff. Die Seite berichtet über die Proteste gegen die Regierung. Über seinen Telegram-Kanal teilte der Chefredakteur in der letzten Woche mit, dass die Besucherzahlen drastisch eingebrochen seien. Internet-Provider in Hongkong liessen Anfragen der Washington Post zu den Sperrungen unbeantwortet.
Glacier Kwong, Gründerin der Bürgerrechtsorganistion Keyboard Frontline, warf der Regierung vor, gegen einen der letzten freien Orte für abweichende Meinungen vorzugehen. “Die Regierung hat tatsächlich einen Präzedenzfall geschaffen”, sagte Kwong. “Sobald sie dem Regime nicht gefällt, kann eine Website nach dem nationalen Sicherheitsgesetz ohne Grund gesperrt werden. Dies ist ein klarer Schlag gegen die Freiheit des Internets, der Informationsfreiheit und der Meinungsfreiheit.”
Aus Sicht von Lokman Tsui, einem auf Online-Kommunikation spezialisierten Assistenzprofessor an der chinesischen Universität von Hongkong, zeigen die Vorfälle, dass die Behörden ihre neuen Befugnisse im Rahmen des im letzten Sommer eingeführten nationalen Sicherheitsgesetzes deutlich weitreichender ausüben, als Regierungschefin Carrie Lam versprochen hatte. “Es ist eine Wiederholung der Great Firewall”, sagte Lokman Tsui. Es sei nur die Frage der Zeit, bis die Behörden solche Kontrollen ausweiten.
Die Polizei weigerte sich die Geschehnisse gegenüber der Washington Post zu kommentieren. Sie wies aber darauf hin, das nationale Sicherheitsgesetz erlaube der Polizei, den Zugang zu Online-Inhalten zu deaktivieren.
Laut Washington Post schätzen Experten die technischen Versuche, Online-Inhalte in Hongkong zu blockieren, bislang als ungeschickt und weniger ausgefeilt ein als die auf dem chinesischen Festland. (hcz)