IEA fordert Ausstieg aus fossiler Energie

Ölpumpe
Ausgedient: Laut IEA sollen Öl, Gas und Kohle bis 2050 kaum noch eine Rolle spielen. Von den Verkäufen abhängige Volkswirtschaften müssen sich andere Einnahmequellen suchen. (Quelle: IMAGO / viennaslide)

Die Internationale Energieagentur (IEA) fordert einen sofortigen internationalen Investitionsstopp für neue Öl-, Gas- und Kohleprojekte. Um das Netto-Nullemissionsziel von Treibhausgasen bis 2050 zu erreichen, sei eine beispiellose Transformation im Energiesektor notwendig. Die bisherigen Klimazusagen der Regierungen reichten nicht aus, heißt es in einem in dieser Woche veröffentlichtem Bericht.

Die positive Botschaft: Es gebe einen Weg, das Nullemissionsziel bis 2050 zu erreichen – dieser sei aber schmal. Mit ihrem Bericht “Net Zero by 2050” legt die IEA auf 220 Seiten eine Roadmap für die Transformation des globalen Energiesektors vor und schildert, wie die Treibhausgasemissionen auf Null gedrückt werden sollen. Die Art und Weise, wie Energie weltweit produziert, transportiert und genutzt wird, müsse sich dafür fundamental ändern. Sonst würde das im Pariser Klimavertrag festgelegte Ziel, den weltweiten Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, unerreichbar werden.

Ansage mit Gewicht

Die IEA ging 1974 aus der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor und wurde als Reaktion auf die damalige Ölkrise gegründet. Mittlerweile kümmert sie sich auch um die Erforschung von Energietechnik und gibt Prognosen und Empfehlungen in Bezug auf die Energiepolitik und -wirtschaft ab.

In der Vergangenheit fiel die Agentur eher durch pessimistische Schätzungen zu Wachstumspotenzial und Kosten erneuerbarer Energien auf. Umso mehr überraschen die jetzigen Forderungen. Gegenüber der Financial Times äußerte der Analyst Dave Jones vom Klima-Think-Tank Ember seine Verwunderung: “Jetzt mit so einer Forderung zu kommen, ist schlicht erstaunlich. Das ist wie ein Messer in der Industrie der fossilen Brennstoffe.”

Fossile Brennstoffe nicht mehr akzeptabel

So empfiehlt die IEA beispielsweise, ab sofort keine weiteren Investitionsentscheidungen für neue Kohlekraftwerke mehr zu treffen. Die am wenigsten effizienten Kohlekraftwerke sollten bis 2030 abgeschaltet und die verbleibenden nachgerüstet werden. Die IEA rechnet bis zum Jahr 2050 mit einem um 90 Prozent niedrigeren Kohlebedarf. Dann würde der Brennstoff nur noch für 1 Prozent der erzeugten Energie sorgen.

Auch die Nachfrage nach Erdgas soll bis 2050 um 55 Prozent zurückgehen. Die Ölnachfrage werde bis 2050 um 75 Prozent fallen: auf 24 Millionen Barrel pro Tag (2020: 90 Barrel pro Tag). Vom Ölverkauf abhängige Staaten müssten sich bis dahin anpassen, da auch der Ölpreis sinken werde.

Bis zum Jahr 2050 müsse der Energiesektor weitgehend auf erneuerbaren Energien beruhen. Zwei Drittel der gesamten Energieversorgung im Jahr 2050 würden aus Wind, Sonne, Bioenergie, Geothermie und Wasserkraft stammen, schreiben die Expertinnen und Experten.

Bei der Stromerzeugung liegt das Ziel noch höher: “Im Jahr 2050 stammen fast 90 Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen.” Dafür sollten bis 2030 jährlich Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von 630 Gigawatt und Windkraftanlagen mit einer Leistung von 390 Gigawatt gebaut werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten Anlagen errichtet werden, die der Leistung des momentan größten Solarparks der Welt entsprächen – und zwar jeden Tag.

Selbsterklärtes Ziel der IEA sei, mit dem Bericht aufzuzeigen, wie der Energiesektor das Nullemissionsziel erreichen kann und gleichzeitig die Versorgung stabil und bezahlbar bleibt. Auch ein stabiles Wirtschaftswachstum solle sichergestellt werden. Laut Fahrplan der IEA sollte die Hälfte aller Gebäude weltweit bis 2040 auf CO2-neutralen Betrieb umgerüstet sein.

Keine neuen Verbrenner mehr

Es brauche außerdem eine Politik, die den Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor bis 2035 beende, schreiben die Fachleute. Derzeit werden nur 5 Prozent der weltweit verkauften Neuwagen elektrisch angetrieben. Bis zum Jahr 2030 müsse dieser Anteil 60 Prozent betragen. Neu verkaufte Lastwagen sollten bis zum Jahr 2035 zu 50 Prozent elektrisch angetrieben werden. Im Jahr 2050 sollen fast 100 Prozent der verkauften LKW elektrisch oder mit Brennstoffzelle fahren.

Die Fahrzeuge brauchen auch deutlich mehr öffentlich zugängliche Ladestationen. Für den Bau müssten jährlich 90 Milliarden US-Dollar bis 2030 ausgegeben werden. Gleichzeitig müssten bis zu diesem Zeitpunkt jährlich 820 Milliarden US-Dollar in die Stromnetze investiert werden. Momentan betragen diese Ausgaben rund 260 Milliarden US-Dollar pro Jahr.

Alternative Kraftstoffe mit geringen CO2-Emissionen sollten nur dort eingesetzt werden, wo der Energiebedarf nicht rein elektrisch gedeckt werden kann. Als Beispiele nennt die IEA die Luftfahrt und den Schiffsverkehr. Wobei sogenannte Agrokraftstoffe teils noch schädlicher für das Klima sind als fossile Brennstoffe – und synthetische Kraftstoffe bislang eine sehr schlechte Energieausbeute liefern. Bis zum Jahr 2040 sollte die Hälfte aller verbrauchten Flugzeugkraftstoffe nur geringe Emissionen erzeugen.

Die IEA fordert außerdem einen Baustopp für mit fossilen Brennstoffen betriebene Gebäudeheizungen bis 2025. Im Jahr 2045 sollen elektrische Wärmepumpen bereits 50 Prozent der Wärme produzieren. Die meisten alten Gebäude und alle neuen brächten die Voraussetzungen mit, CO2-neutral betrieben zu werden. Sie könnten also mit erneuerbaren Energien versorgt werden oder von Energiequellen, die bis 2050 CO2-neutral arbeiten.

Größte Herausforderung der Menschheitsgeschichte

Die Politik müsse auf einen massiven Einsatz aller verfügbaren sauberen und effizienten Energietechnologien setzen und Innovationen gleichzeitig global beschleunigen. Es handele sich bei dieser Transformation um die vielleicht größte Herausforderung, der sich die Menschheit jemals gestellt habe, so Fatih Birol, der Direktor der IEA. Die Regierungen müssten ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung sauberer Energietechnologien schnell erhöhen und in den Mittelpunkt der Energie- und Klimapolitik stellen. Der Übergang müsse auch fair und inklusiv sein.

Umweltverbände zeigten sich erfreut über die unerwarteten Äußerungen der IEA. “Endlich fängt die IEA an, es zu begreifen: Wenn wir eine reelle Chance haben wollen, die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen, muss die Welt aus den fossilen Brennstoffen aussteigen. Wir können nicht einmal alle Reserven verbrennen – oder es uns leisten, sie zu verbrennen -, die wir derzeit haben”, sagte Jennifer Morgan, Executive Director of Greenpeace International laut Pressemitteilung, “Um die Klimakatastrophe und die Zerstörung der Artenvielfalt abzuwenden […], müssen Regierungen und Regulierungsbehörden handeln, und das bedeutet ein Ende der Lizenzvergabe für neues Öl und Gas jetzt.” Die IEA habe es ein für alle Mal klar gemacht: Wenn du in einem Loch steckst, hör auf zu graben. (dpa / hcz)