Belarus: Behörden sperren unabhängiges Nachrichtenportal

Tut.by-Büro
Im vergangenen Jahr wurden in Belarus mehr als 400 Journalisten festgenommen. (Quelle: IMAGO / ITAR-TASS)

Die wichtigste unabhängige Nachrichtenseite in Belarus Tut.by ist offline: Am Dienstag haben Behörden die Seite abgeschaltet. Beamte durchsuchten die Redaktionsräume in Minsk, zwei Lokalbüros sowie die Wohnungen von Journalisten. Dabei beschlagnahmten sie Computer und Handys. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt das Vorgehen als Schlag gegen die Pressefreiheit.

Das Informationsministerium begründete die Sperre offiziell mit Verstößen gegen das Massenmediengesetz. Dabei gehe es um die Veröffentlichung verbotener Inhalte, wie Informationen über den nichtstaatlichen Solidaritätsfonds Bysol. Dieser hilft Regimekritikern und Oppositionellen, wenn sie Opfer staatlicher Repressionen wurden. Zudem werde gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Nachrichtenseite wegen angeblicher Steuerhinterziehung ermittelt.

Nach Angaben von ROG waren am Mittwoch noch mindestens elf Beschäftigte der Nachrichtenseite inhaftiert – darunter auch Chefredakteurin Marina Solotowa sowie die Generaldirektorin Lyudmila Chekina. Die restlichen Journalisten von Tut.by wollen trotz der Schikanen weiter berichten und ihre Artikel über soziale Medien veröffentlichen.

Angriff auf die Pressefreiheit

Der deutsche ROG-Geschäftsführer Christian Mihr kritisierte das Vorgehen scharf: “Es zeigt vor allem eines: Das Lukaschenko-Regime betrachtet eine freie Presse als Hindernis, das es zu beseitigen gilt. Wir verurteilen dieses Vorgehen aufs Schärfste, auch wenn es uns leider nicht überrascht. Vor allem Tut.by als größtes noch verbliebenes unabhängiges Medium soll unter fadenscheinigen Argumenten und mit fingierten Vorwürfen mundtot gemacht werden.”

Aisha Jung von Amnesty International bezeichnete die Sperre als “umfassenden Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und Medienfreiheit”.

Die Bürgerrechtlerin und frühere Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja sprach von der “vorsätzlichen Tötung eines Massenmediums”. Die Verantwortlichen von Repressionen gegen Medien müssten mit Sanktionen bestraft werden, forderte die Oppositionelle.

Tut.by berichtete über Demonstrationen

Tut.by wurde im Jahr 2000 gegründet. International bekannt wurde das unabhängige Medium während der Massenproteste gegen Machthaber Alexander Lukaschenko im vergangenen Jahr. Auch nachdem immer mehr ausländische Journalisten des Landes verwiesen worden waren, berichtete das Portal weiter über die Demonstrationen und verbreitete Bilder von dem brutalen Vorgehen der Sicherheitskräfte. Nach eigenen Angaben erreichte die Seite rund 70 Prozent aller Internetnutzerinnen und -nutzer in Belarus.

ROG berichtet, dass der Staat bereits in der Vergangenheit Druck auf die Redaktion ausgeübt hatte: Im Dezember 2020 hatten die Behörden der Nachrichtenseite den Status als Massenmedium endgültig entzogen. Journalistinnen und Journalisten registrierter Massenmedien haben in Belarus besondere Rechte bei der Berichterstattung, etwa von Großveranstaltungen und Demonstrationen – “zumindest auf dem Papier”, merkt ROG an. Tut.by hatte diesen Status erstmals im Januar 2019 erhalten.

Anfang März verurteilte ein Gericht die Tut.by-Journalistin Kazjaryna Barysewitsch zu sechs Monaten Haft und einer Geldstrafe von umgerechnet etwa 940 Euro. Sie hatte zu dem Tod eines Oppositionellen recherchiert, der in Polizeigewahrsam unter ungeklärten Umständen gestorben war. Am Mittwoch wurde Barysewitsch aus dem Gefängnis entlassen. Die Tut.by-Reporterin Ljubou Kaspjarowitsch wurde am 14. Mai festgenommen, als sie über eine Gerichtsverhandlung gegen Studierende berichtete. Wegen angeblicher Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration wurde sie daraufhin zu 15 Tagen Arrest verurteilt.

Mitarbeiter der Deutschen Welle verhaftet

Auch gegen andere Medienschaffende geht die Regierung laut ROG mit Härte vor: So wurde Alexander Burakow, ein freier Mitarbeiter der Deutschen Welle, am 15. Mai zu 20 Tagen Arrest verurteilt. Ihm wurde die “wiederholte Teilnahme an einer nicht genehmigten Veranstaltung” vorgeworfen. Die Lokalzeitung “Intex-press” musste Anfang Mai eine Geldstrafe von über 1400 Euro bezahlen, nachdem sie ein Interview mit Swetlana Tichanowskaja abgedruckt hatte. Seitdem ist die Zeitung nicht mehr erschienen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Belarus auf Platz 158 von 180. Nach der Präsidentenwahl im vergangenen Jahr ließ die Regierung Dutzende unabhängige Nachrichtenseiten sperren. Bis zum Jahresende wurden mehr als 400 Journalisten festgenommen – die meisten von ihnen vorübergehend, weil sie über die Massenproteste im Land berichtet hatten. Derzeit sollen mindestens 16 Journalisten in Belarus inhaftiert sein. (dpa / js)