Iran: Anhaltende Proteste, Tote und Misshandlungen

Iran
“Tod dem Diktator” und “Islamische Republik wollen wir nicht” skandieren die Protestierenden Medienberichten zufolge. (Quelle: IMAGO / ZUMA Wire)

Im Iran halten die Proteste gegen das islamische Regime weiter an. Seit 12 Tagen in Folge finden in zahlreichen Städten, einschließlich der Hauptstadt Teheran Proteste statt.

Medienvertreter sprechen von Demonstrantinnen und Demonstranten, die täglich nach Einbruch der Dunkelheit auf die Straßen von Teheran und anderer Städte zurückkehren. Auf den Veranstaltungen würden Slogans gegen die Regierung und gegen den Obersten Führer skandiert wie “Tod dem Diktator”. Frauen nehmen in verschiedenen Städten ihre Kopftücher ab – und protestieren so gegen die restriktiven Kleidervorschriften des Landes.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer organisierten sich trotz eines harten Vorgehens der Sicherheitskräfte, Massenverhaftungen und Internetsperren. Die Regierung blockiere gezielt den Zugang zu sozialen Netzwerken und Appstores wie WhatsApp oder Google Play. Dennoch gelangen vereinzelt Videos von Protesten und brutalem Vorgehen der Sicherheitskräfte auf die Plattformen.

Mittlerweile seien mindestens 76 Menschen getötet worden, heißt es aus Aktivistenkreisen. Der in Oslo ansässigen NGO Iran Human Rights (IHR) zufolge zählen auch sechs Frauen und vier Kinder zu den Toten. Staatliche Stellen sprechen von etwa 60 getöteten Personen. UN-Angaben zufolge sollen Sicherheitskräfte zeitweise mit scharfer Munition in die Versammelten geschossen haben.

Auch laut Amnesty International sollen sich Minderjährige unter den Getöteten befinden. Der Twitter-Kanal des iranischen Ablegers der Menschenrechtsorganisation berichtet von mehreren 15- und 16-Jährigen, die von den Sicherheitskräften erschossen worden seien.

“Das Risiko von Folter und Misshandlung von Demonstranten ist ernst und der Einsatz von scharfer Munition gegen Demonstranten ist ein internationales Verbrechen“, sagte IHR-Direktor, Mahmood Amiry-Moghaddam.

Medien berichteten zudem von mindestens 1200 festgenommenen Personen seit Beginn der Proteste. Nach Angaben von Aktivistinnen und Aktivisten soll die Anzahl der Verhaftungen aber weit höher liegen. Allein aus der Provinz Masandaran meldete der zuständige Generalstaatsanwalt 450 Festnahmen in den vergangenen Tagen.

Internet gesperrt

Westliche Medien und humanitäre Organisationen weisen darauf hin, dass es aufgrund der anhaltenden Internetsperren teils schwierig sei, gesicherte Informationen aus dem Land zu erhalten. So wurde beispielsweise in der westiranischen Provinz Kurdistan, der Heimat Aminis, das Internet vollständig abgeschaltet. Einschränkungen wurden auch aus Teheran und anderen Großstädten gemeldet. Festnetzanschlüsse würden in ihrer Geschwindigkeit stark gedrosselt, sodass die Nutzung nur noch eingeschränkt möglich sei.

In Bezug auf den Internetzugang via Mobilfunknetz sprach die Organisation Netblocks von einer “Art Internetsperrstunde” – die Regierung blockiere jeden Nachmittag den mobilen Internetzugang bei allen Providern. Erst am nächsten Morgen würden die Zugänge wieder freigegeben. 16 Uhr ist die Zeit, ab der sich die Demonstrierenden an vielen Orten versammeln. So können Bilder von Protesten nicht zeitnah verschickt werden. Das nehme den Demonstrationen etwas an “Durchschlagskraft”, sagte der IT-Sicherheitsexperte und Exil-Aktivist Amin Sabeti gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Für die Organisation der Proteste spiele das Internet aber keine große Rolle. Die sozialen Netzwerke dienten eher dazu, international auf die Geschehnisse im Iran aufmerksam zu machen.

Per Telegram kündigten Lehrer, Universitätsprofessoren und Studierende an, die Proteste mit Streiks zu unterstützen, berichtete die Nachrichtenseite Al Monitor. Mindestens 28 Universitäten schlossen sich einer landesweiten Kampagne zum Boykott des Unterrichts an.

Presse unterdrückt

Neben Internetabschaltungen setzt das Regime auch verstärkt Medienschaffende unter Druck, um Berichterstattung über die Proteste zu erschweren.
Die Journalistenorganisationen Reporter ohne Grenzen (RSF) und Comittee to Protect Journalists (CPJ) hatten am Freitag von über 20 festgenommenen Journalistinnen und Journalisten berichtet. Zusätzlich seien viele Medienvertreter in verschiedenen Städten zu Befragungen vorgeladen und von Beamten bedroht worden.

Quellen hätten den Organisationen von nächtlichen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen berichtet; unbekannte Sicherheitskräfte hätten Smartphones und Computer der Medienschaffenden beschlagnahmt. Die Beamten hätten sich nicht identifiziert und es sei unklar geblieben, welche Behörden sie vertraten. Die Journalisten hätten nicht erfahren, was ihnen vorgeworfen wird und es seien keine Haftbefehle vorgelegt worden.

Inhaftierte Reporter und Blogger berichteten von Misshandlungen und unmenschlichen Haftbedingungen: Dem Blogger Seyed Hossein Ronaghi Maleki hätten die Sicherheitskräfte in der Haft ein Bein gebrochen.

Auch die Fotojournalistin Yalda Moaiery sei mit Schlägen malträtiert worden, als sie am 19. September bei Protesten in Teheran festgenommen wurde. Gegenüber der Exilnachrichtenseite IranWire bezeichnete sie die Bedingungen im Qarchak-Frauengefängnis in der Stadt Varamin als “schrecklich”. Dort seien mehr als 100 Frauen auf engstem Raum zusammengepfercht. “Es gibt nur drei Badezimmer für sie und die Gefängnisbehörden verschreiben den Gefangenen viele Beruhigungsmittel”, berichtete sie.

Auch die Reporterin Niloofar Hamedi wurde verhaftet. Sie hatte laut IranWire als eine der ersten über den Tod von Mahsa Amini berichtet. Ihr Anwalt erklärte am Sonntag via Twitter, dass sie sich in Einzelhaft befinde und verhört werde. Was ihr vorgeworfen wird, hätten ihr die Beamten nicht mitgeteilt.

Repressiv gegen Pressefreiheit

CPJ bat iranische Vertretungen in Genf und am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York um Stellungnahme zu den Festnahmen der Medienvertreter. Antworten seien nicht erfolgt.

“Die iranischen Behörden müssen unverzüglich alle Journalisten freilassen, die wegen ihrer Berichterstattung über Mahsa Aminis Tod und die darauf folgenden Proteste verhaftet wurden”, sagte Sherif Mansour, CPJ-Programmkoordinator für den Nahen Osten. Die iranischen Sicherheitskräfte müssten ihre repressiven Maßnahmen gegen die Journalisten einstellen. Internetzugänge sollten wiederhergestellt werden, da sie für die Information der Öffentlichkeit unerlässlich seien.

RSF forderte ebenfalls die sofortige Freilassung der inhaftierten Journalisten und eine Aufhebung aller Beschränkungen des Rechts auf Information im Iran. Die Organisation führt den Iran auf dem Index für Pressefreiheit auf Platz 178 von 180. RSF bezeichnet den Staat als “eines der zehn Länder mit der weltweit schlechtesten Pressefreiheit”. Es bleibe eines der repressivsten Länder für Journalisten.

UN bezieht Stellung

Auslöser der Proteste war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini. Sie war am 13. September bei einem Besuch in Teheran von der Sittenpolizei verhaftet worden, weil sie angeblich gegen die Kleidervorschriften für Frauen in dem Land verstoßen hatte – unter ihrem Kopftuch sollen Haare zu sehen gewesen sein.

Die genauen Umstände ihres Todes sind bisher unklar: Nach Darstellung der Polizei soll sie infolge eines Herzversagens ins Koma gefallen sein. Kritiker werfen der Sittenpolizei vor, Gewalt angewendet zu haben. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach von einer “willkürlichen Festnahme” und berichtete, es gebe Vorwürfe von Folter während Mahsa Aminis Untersuchungshaft. Der Vorfall müsse von den Behörden untersucht werden.

Die UN-Frauenorganisation bekundete in einer Stellungnahme ihre Unterstützung für die Forderungen der Demonstrierenden. "Wir fordern die zuständigen Behörden auf, die Ausübung ihrer [der Frauen im Iran] vollen Menschenrechte in einer sicheren Umgebung ohne Angst vor Gewalt, Strafverfolgung oder Verfolgung zu unterstützen und zu ermöglichen.

Die kommissarische UN-Menschenrechtskommissarin Nada Al-Nashif forderte die Aufhebung der diskriminierenden Gesetze im Iran. In den vergangenen Monaten habe die Sittenpolizei vermehrt Frauen verbal und körperlich belästigt, die einen losen Hidschab trugen. Das UN-Menschenrechtsbüro habe zahlreiche verifizierte Videos gesichtet, in denen Gewalt gegen Frauen zu sehen sei. Der Iran müsse zudem die Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit achten. Die den Berichten zufolge übermäßige Gewalt gegen Demonstranten verurteilte die Menschenrechtskommissarin.

Auch UN-Generalsekretär Guterres ist laut einer UN-Mitteilung vom Dienstag “zunehmend besorgt” über die steigende Zahl der Todesopfer, “einschließlich Frauen und Kinder”. Er forderte die staatlichen Sicherheitskräfte auf, auf unverhältnismäßige Gewalt gegen Demonstrantinnen und Demonstranten zu verzichten. Diesen Appell habe auch er auch bei einem Treffen mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi vergangene Woche zum Ausdruck gebracht.

EU-Außenbeauftragter Josep Borrell sagte: “Für die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten ist der weitverbreitete und unverhältnismäßige Einsatz von Gewalt gegen gewaltlose Demonstranten nicht zu rechtfertigen und nicht hinnehmbar.” Die iranische Führung wies die Kritik als “Einmischung in die internen Angelegenheiten des Irans und Unterstützung von Krawallmachern” zurück. (hcz)