Iran: Behörden setzen Kleidervorschriften verstärkt durch

Befahrene Straßen in Teheran
Wenn Iranerinnen sich ohne Kopftuch zeigen, riskieren sie auch strafrechtliche Verfolgung. (Quelle: IMAGO / ZUMA Wire)

In einer “groß angelegten Kampagne” setzen die iranischen Behörden ihre repressiven Verschleierungsvorschriften durch. Laut Amnesty International werden Frauen und Mädchen im öffentlichen Raum umfassend überwacht und es gibt massenhafte Polizeikontrollen.

Wie die Organisation berichtet, wurden die Autos von Zehntausenden Frauen beschlagnahmt, weil diese sich den Kleidungsvorschriften widersetzt hatten. In anderen Fällen seien Frauen strafrechtlich verfolgt und beispielsweise zu Peitschenhieben oder Haftstrafen verurteilt worden.

Eigenen Angaben zufolge hat Amnesty International im Februar die Aussagen von 41 Frauen im Iran gesammelt – die NGO hat diese in Auszügen veröffentlicht. Auch offizielle Dokumente wie Gerichtsurteile wurden ausgewertet. Diese würden zeigen, dass eine Vielzahl staatlicher Stellen an der Verfolgung von Frauen und Mädchen beteiligt ist – darunter die sogenannte Sittenpolizei, aber auch die Verkehrspolizei, Staatsanwaltschaften, die Revolutionsgarden und paramilitärische Basidsch-Milizen.

Dieter Karg, Iran-Experte bei Amnesty International in Deutschland, erklärte: “Die iranischen Behörden versuchen, den Widerstand der Protestbewegung ‘Frau Leben Freiheit’ gegen die Zwangsverschleierung zu brechen. Sie terrorisieren Frauen und Mädchen, indem sie sie ständig überwachen und polizeilich kontrollieren, ihre täglichen Routinen stören und versuchen, sie psychisch zu zermürben.”

Überwachungskameras und Melde-App

Laut Amnesty ordnet die sogenannte Sittenpolizei die Beschlagnahmung von Fahrzeugen an, wenn sich darin Frauen oder Mädchen ohne oder mit angeblich “unangemessenem” Kopftuch befinden. Die Behörden würden Frauen zum einen mit Überwachungskameras aufspüren. Zum anderen würden Zivilbeamte auf den Straßen patrouillieren – und Fahrzeuge mit unverschleierten Fahrerinnen oder Passagierinnen über eine spezielle App melden.

Im Sommer 2023 hatte Amnesty International auch berichtet, mindestens in den Fußgängerzonen würden die iranischen Behörden Technik zur Gesichtserkennung einsetzen. Damals hieß es, ob damit auch Fahrzeuginsassen identifiziert würden, sei aber unklar.

Betroffene Frauen und ihre Angehörigen erhalten SMS-Nachrichten und Anrufe, in denen sie aufgefordert werden, ihre Fahrzeuge bei der Sittenpolizei abzugeben.

Warn-SMS

Eine Betroffene berichtete gegenüber Amnesty: “Kürzlich erhielt ich eine SMS bezüglich meines Autos, in der mir mitgeteilt wurde, dass ich zum elften Mal gegen die Verschleierungspflicht verstoßen habe.” Man habe ihr gesagt, sie sei von Überwachungskameras gefilmt worden.

Eine andere Frau berichtete, sie habe eine Nachricht erhalten, dass sie ohne Kopftuch beobachtet wurde – in der SMS seien auch Angaben zu Zeit und Ort enthalten gewesen.

In den vergangenen Monaten haben die Behörden zudem begonnen, massenhaft Autos anzuhalten und zu kontrollieren, so Amnesty. Sei ein Fahrzeug zur Beschlagnahmung ausgeschrieben, würden Frauen gezwungen, die nächste Polizeiwache aufzusuchen – dort werde ihr Auto konfisziert. Eine Frau aus der Provinz Teheran erzählte: “Beamte der lokalen Polizeistation halten jeden Morgen Autos in unserem Viertel an und kontrollieren sie.”

Betroffene berichteten gegenüber Amnesty sogar von Verfolgungsjagden. In einigen Fällen habe die Polizei Fahrzeuge beschlagnahmt und die Frauen einfach zurückgelassen – beispielsweise auf der Autobahn.

Eine Frau erklärte, in manchen Regionen des Landes gebe es weder U-Bahn noch Bus und manchmal auch keine Taxis. Werde man auf der Autobahn gezwungen, das Auto zu verlassen, gebe es fast keine Möglichkeit mehr, dort wegzukommen.

In vielen Fällen gebe die Sittenpolizei beschlagnahmte Fahrzeuge nach 15 bis 30 Tagen wieder frei. Dafür müssten jedoch “willkürliche Gebühren” beglichen werden und Frauen müssten sich schriftlich zur Einhaltung der Kopftuchpflicht verpflichten.

Iranerinnen haben Amnesty außerdem geschildert, wie ihnen der Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Flughäfen und auch Banken verweigert und vom Tragen eines Kopftuchs abhängig gemacht werde. Häufig würden sie von den Behörden beschimpft.

Strafrechtliche Verfolgung

Die Behörden würden Frauen auch strafrechtlich verfolgen, weil sie in Fahrzeugen oder an öffentlichen Orten kein oder ein “unangemessenes” Kopftuch getragen haben. Auch wegen entsprechender Fotos in sozialen Medien würden Frauen belangt.

So erzählte eine Frau, ihre Tochter habe sich auf Fotos unverschleiert gezeigt – eines Morgens seien maskierte Geheimdienstmitarbeiter zu ihrem Haus gekommen und hätten Laptop und Handy konfisziert. Die Staatsanwaltschaft habe gedroht, dass einige der Fotos zur Todesstrafe führen könnten. Aktuell werde sie angeklagt, weil sie sich unverschleiert gezeigt habe. In einem zweiten Verfahren sei sie wegen angeblicher Vergehen wie “Verbreitung von Propaganda gegen das System” zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Verhandlung habe nur etwa eine Stunde gedauert – einen Anwalt hatte sie nicht.

Die Menschenrechtsorganisation berichtet außerdem von Frauen, die zu Geldstrafen verurteilt wurden. Eine andere Frau habe einen Brief schreiben und darin ihre Reue ausdrücken müssen.

Laut Amnesty steht das iranische Parlament kurz vor der Verabschiedung eines neuen Gesetzes, das die Strafen für Frauen weiter verschärfen soll, die sich den Kleidervorschriften widersetzen.

Die Organisation fordert eine Reaktion der internationalen Gemeinschaft. Dieter Karg erklärte: “Die Mitgliedsstaaten des UN-Menschenrechtsrates müssen der Straflosigkeit der Angriffe auf Frauen und Mädchen Einhalt gebieten, indem sie sicherstellen, dass ein unabhängiges internationales Gremium weiterhin Beweise für Menschenrechtsverletzungen sammelt, die dann später zur Anklage gebracht werden können.”

Am Dienstag haben zudem die Organisationen Iran Human Rights (IHRNGO) und Together Against the Death Penalty (ECPM) berichtet, dass die iranischen Behörden im vergangenen Jahr vermehrt die Todesstrafe vollstreckt haben, um Angst in der Gesellschaft zu verbreiten. Mindestens 834 Menschen seien im Jahr 2023 hingerichtet worden – ein Anstieg von mehr als 40 Prozent. Acht Menschen seien im Zusammenhang mit den im Herbst 2022 ausgebrochenen Protesten gegen das Regime hingerichtet worden. (js)