Iran verstärkt Unterdrückung von Frauen
Die iranischen Behörden gehen verstärkt gegen Frauen und Mädchen vor, die in der Öffentlichkeit kein Kopftuch tragen. Das geht aus einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International hervor. Auch Überwachungstechnik wie Gesichtserkennung kommt demnach zum Einsatz.
Wie die Organisation berichtet, hatten die iranischen Behörden bereits im April neue repressive Maßnahmen angekündigt, um Frauen zu bestrafen, die sich der Verschleierungspflicht im Land widersetzen. So werde etwa Überwachungstechnik eingesetzt, um Frauen zu identifizieren, die beim Autofahren kein Kopftuch tragen. Per SMS erhielten sie umgehend eine Warnung.
Im Wiederholungsfall bekämen Frauen eine weitere Textnachricht: Darin würden sie aufgefordert, ihr Fahrzeug 15 Tage lang stillzulegen – andernfalls könne es sogar beschlagnahmt werden. Angaben eines Polizeisprechers zufolge seien seit April fast eine Million solcher Warnungen versendet worden. Mehr als 133.000-mal habe die Polizei die Stilllegung von Autos angeordnet.
Eine 52-jährige Frau berichtete gegenüber Amnesty, ihre erste Verwarnung habe sie erhalten, als sie ohne Kopftuch Auto gefahren sei. Als sie das zweite Mal verwarnt wurde, habe sie gerade Einkäufe ins Auto gebracht, als ihr Kopftuch heruntergefallen sei – daraufhin sei sie in einer weiteren Nachricht angewiesen worden, ihr Fahrzeug vorübergehend stillzulegen.
Sie sagte: “Emotional und psychologisch haben all diese Drohungen, die [die Behörden] ausgesprochen haben, einen sehr negativen Einfluss auf uns gehabt und uns den Mut genommen.” Gegenüber der internationalen Gemeinschaft versuche der Iran den Eindruck zu erwecken, von der Gewalt abzurücken – “aber in Wirklichkeit führen sie diese Aktionen auf diskrete Weise durch. Sie erzeugen wirklich Existenzängste bei uns.”
Gesichtserkennung identifiziert Frauen
Unklar bleibt, ob die Behörden Autofahrerinnen beispielsweise mithilfe von Kennzeichenscannern oder automatischer Gesichtserkennungstechnologie identifizieren. Nach Angaben von Amnesty wird die Gesichtserkennung aber mindestens in Fußgängerzonen eingesetzt, um Frauen in der Öffentlichkeit identifizieren und der Justiz melden zu können.
Bereits Anfang September 2022 hatte die Regierung öffentlich erklärt, den Kopftuchzwang künftig in öffentlichen Verkehrsmitteln und an öffentlichen Plätzen mit Gesichtserkennung durchsetzen zu wollen. Wenig später war die die 22-jährige Mahsa Amini gestorben, nachdem sie von der Sittenpolizei verhaftet worden war. Der Tod der jungen Frau hatte eine große landesweite Protestwelle ausgelöst. Seitdem bewegen sich viele Frauen ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit und tragen Kleidung, die ebenfalls gegen die Vorschriften verstößt.
Amnesty International kritisiert den Einsatz von Gesichtserkennung scharf: Die Technik verstoße gegen die Rechte auf Privatsphäre, Gleichheit und Nichtdiskriminierung. Bei der Identifizierung von Frauen komme es zudem zu höheren Fehlerquoten. Darüber hinaus habe die Technologie eine abschreckende Wirkung, die die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlungen beeinträchtige, sodass Menschen davon abgehalten werden könnten zu protestieren.
Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International, erklärte: “Die aktuelle Unterdrückung wird durch Massenüberwachungstechnologien verschärft, mit denen unverschleierte Frauen in ihren Autos und in Fußgängerzonen identifiziert werden können.”
Sogenannte Sittenpolizei wieder auf den Straßen
Nach Angaben von Amnesty patrouilliert die sogenannte Sittenpolizei seit Mitte Juli wieder auf den Straßen des Landes. Im Dezember hatten iranische Medien noch berichtet, die Einheit würde aufgelöst. Auch wenn Kritiker dies angezweifelt hatten, war sie Berichten zufolge tatsächlich einige Monate lang von den Straßen verschwunden gewesen.
Es gebe nun Berichte aus verschiedenen Städten, in denen die Einheiten wieder patrouillieren und unverschleierte Frauen und Mädchen konfrontieren, verwarnen oder verhaften, heißt es von Amnesty. Nach Augenzeugenberichten seien die Fahrzeuge der Sittenpolizei an öffentlichen Plätzen stationiert – im Unterschied zu früher sind sie jedoch nicht mehr gekennzeichnet, sodass sie nicht als Fahrzeuge der Einheit erkannt werden können. Auch seien die Beamten teils ohne Uniform unterwegs.
Die spezielle Polizeieinheit wurde nach Angaben von Amnesty im Jahr 2005 gegründet, um Frauen zu verhaften, die gegen die strikte Kleiderordnung im Iran verstoßen. Zuvor habe es bereits ähnliche Einheiten im Iran gegeben.
Demütigende Zusatzstrafen
Iranische Frauen, die sich ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit zeigen, werden laut Bericht auf unterschiedliche Weise bestraft: So sei Frauen und Mädchen beispielsweise der Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln verwehrt worden und Studentinnen wurden von den Abschlussprüfungen ausgeschlossen oder der Universität verwiesen.
Auch würden Gerichte Frauen verurteilen, weil sie gegen den Kopftuchzwang verstoßen haben. Nach den im Iran geltenden Gesetzen seien als Bestrafung Freiheitsstrafen zwischen zehn Tagen und zwei Monaten oder Geldstrafen vorgesehen. Wie Amnesty berichtet, verhängen Gerichte teils aber auch “alternative oder zusätzliche Strafen”. Die Organisation wertet dies als “offensichtlichen Versuch, die Frauen weiter zu demütigen”.
So habe etwa ein Gericht in Teheran eine Frau im Juni zu zwei Monaten Haft verurteilt – aber entschieden, dass sie stattdessen 270 Stunden lang als Reinigungskraft im Innenministerium arbeiten müsse.
In einem anderen Fall habe ein Gericht in der Stadt Waramin eine Frau zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Richter hätten zusätzlich angeordnet, dass sie einen Monat lang in einer Leichenhalle Leichen waschen muss.
Gerichte hätten zudem Reiseverbote verhängt, die Nutzung sozialer Medien untersagt oder angeordnet, an Zwangsberatungen wegen einer angeblichen “antisozialen Persönlichkeitsstörung” teilzunehmen. Amnesty konnte sechs Fälle dokumentieren, in denen alternative oder zusätzliche Strafen verhängt wurden – die Organisation geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus.
Zusätzlich seien Hunderte Geschäfte geschlossen worden, weil sie die Kopftuchpflicht nicht durchgesetzt hatten.
Callamard sagte: “Das verschärfte Vorgehen gegen Frauen, die sich der Zwangsverschleierung widersetzen, zeigt, dass die iranischen Behörden die Menschenwürde und die Rechte von Frauen und Mädchen auf Selbstbestimmung, Privatsphäre und freie Meinungsäußerung sowie Religions- und Weltanschauungsfreiheit missachten. Es macht auch den verzweifelten Versuch der Behörden deutlich, ihre Vorherrschaft und Macht über diejenigen zu behaupten, die es wagten, sich während des ‘Frau. Leben. Freiheit.’-Aufstands gegen die jahrzehntelange Unterdrückung und Ungleichheit zu wehren.”
Amnesty fordert zum Handeln auf
Aktuell sind laut Bericht sogar weitere Gesetzesverschärfungen geplant, die beispielsweise längere Haftstrafen als bisher vorsehen würden. Auch wer sich im Internet gegen die Verschleierungspflicht ausspricht, soll demnach mit Geld- und Gefängnisstrafen belegt werden können. Zusätzlich sollen Betroffenen zwei Jahre lang alle Online-Aktivitäten verboten werden können.
Amnesty International appelliert an die internationale Gemeinschaft, die iranischen Behörden zur Abschaffung der Kleidervorschriften aufzufordern. Auch für die Freilassung von Frauen, die wegen Verstoßes gegen die Vorschriften inhaftiert sind, sollte sich die internationale Gemeinschaft einsetzen; entsprechende Urteile müssten aufgehoben werden.
Die Menschenrechtsorganisation erklärte auch, die Reaktion von Staaten auf die Situation im Iran solle sich nicht auf diplomatische Interventionen beschränken – es müssten auch juristische Mittel ergriffen werden, um Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen im Iran zur Verantwortung zu ziehen. Menschen, die vor Menschenrechtsverletzungen aus dem Iran fliehen, müssten Zugang zu fairen Asylverfahren erhalten. (js)