Iran richtet ersten Demonstranten hin
Der Iran hat den 23-jährigen Mohsen Shekari im Zusammenhang mit den seit Monaten anhaltenden Protesten hingerichtet. Das gaben staatliche Medien am Donnerstag bekannt. Er sei Ende September in Teheran verhaftet worden.
Medienberichten zufolge wurde der Mann von einem Revolutionsgericht in Teheran wegen “Kriegsführung gegen Gott” verurteilt – der Oberste Gerichtshof habe das Urteil im Berufungsverfahren aufrecht erhalten. Der Verurteilte soll im September den Sattar-Khan-Boulevard in Teheran blockiert und einem Mitglied der paramilitärischen Basidsch-Miliz in die Schulter gestochen haben.
Die in Oslo ansässige NGO Iran Human Rights verurteilte die Hinrichtung “aufs Schärfste”. Mohsen Shekari sei in einem unfairen Gerichtsverfahren verurteilt worden. Weder während des Verfahrens noch während seines Verhörs habe er Zugang zu einem Anwalt gehabt. Sein erzwungenes Geständnis sei Stunden nach der Hinrichtung von Staatsmedien ausgestrahlt worden. Laut Iran Human Rights ist in den Videos zu sehen, dass sein Gesicht verletzt ist.
Weitere Menschen zum Tode verurteilt
Nach Angaben von Iran Human Rights handelt es sich um die erste offiziell gemeldete Hinrichtung eines Demonstranten. Mindestens elf weitere Personen seien im Zusammenhang mit den Protesten ebenfalls zum Tode verurteilt worden.
Mahmood Amiry-Moghaddam, Direktor der NGO, forderte die internationale Gemeinschaft auf, “sofort und mit Nachdruck” auf die Exekution zu reagieren – andernfalls sei mit Massenhinrichtungen von Demonstrierenden zu rechnen.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte im November berichtet, die iranischen Behörden forderten für mindestens 21 Menschen die Todesstrafe. Damit sollten unter anderem weitere Demonstrierende eingeschüchtert und von den Protesten abgehalten werden.
Diana Eltahawy, bei Amnesty für den Nahen Osten und Nordafrika zuständig, forderte: “Die iranischen Behörden müssen unverzüglich alle Todesurteile aufheben, von der Verhängung der Todesstrafe absehen und alle Anklagen gegen diejenigen fallen lassen, die im Zusammenhang mit ihrer friedlichen Teilnahme an den Protesten festgenommen wurden.”
Die Organisation teilte mit, sie sei “entsetzt” über das jetzt vollstreckte Todesurteil und sprach von einem Schauprozess. Die Hinrichtung entlarve “die Unmenschlichkeit des sogenannten iranischen Justizsystems”.
Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg, schrieb, die “Skrupellosigkeit” mit der das Regime seit Wochen gegen friedlich Demonstrierende vorgeht, habe mit der Exekution “eine neue Stufe erreicht”.
Gewalt gegen Demonstrierende
Auslöser der seit Monaten anhaltenden Demonstrationen gegen das iranische Regime war der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini. Sie starb im Polizeigewahrsam, nachdem sie wegen angeblichen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verhaftet worden war.
Vielerorts gehen die Sicherheitskräfte mit Gewalt gegen die Demonstrierenden vor. Wie die britische Zeitung The Guardian am Donnerstag unter Berufung auf iranische Ärzte berichtete, greifen sie auch gezielt Frauen bei den Protesten an: Aus nächster Nähe würden die Sicherheitskräfte mit für die Vogeljagd gedachter Schrotmunition Demonstrantinnen ins Gesicht und den Genitalbereich schießen.
In der Hauptstadt Teheran gingen Sicherheitskräfte Augenzeugen zufolge am Mittwoch erneut mit Gewalt gegen Studierende vor. Bei Studentenprotesten wurden einige Menschen verletzt und weitere festgenommen, wie Augenzeugen von der Amirkabir-Universität für Technologie berichteten. Videos in den sozialen Medien zeigten Proteste auch in anderen Teilen der Hauptstadt. Polizei, Milizen und Sicherheitskräfte waren mit einem massiven Aufgebot auf den Straßen.
Menschenrechtlern zufolge wurden bei den Protesten inzwischen mehr als 470 Personen getötet; rund 18.000 Demonstrierende wurden verhaftet.
Am Mittwoch hatten zahlreiche Ladenbesitzer am dritten Tag in Folge ihre Geschäfte aus Protest nicht geöffnet. Das berichteten unter anderem Bewohner der Provinz Kurdistan. Mit dem dreitägigen Generalstreik sollte wirtschaftlicher Druck auf das Regime ausgeübt werden.
Unterdessen zeigte sich Präsident Ebrahim Raisi bei einem Treffen mit systemtreuen Studenten kämpferisch: Er erneuerte seine Behauptung, dass die USA die Proteste anheizten und den Iran zerstören wollten. Beobachter sehen darin ein Manöver, um von den eigentlichen Ursachen der Proteste abzulenken.
Am Dienstag war Irans Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei mit dem Obersten Rat der Kulturrevolution zusammengekommen. Bei dem Treffen mit Raisi, Parlamentspräsident Bagher Ghalibaf und Justizchef Gholam-Hussein Mohseni-Edschehi soll es Berichten zufolge um eine mögliche Entscheidung über die Zukunft der Sittenpolizei gegangen sein.
Nach Einschätzung von Experten könnte der Kopftuchzwang auch bei einer Abschaffung der berüchtigten Einheit weiter verfolgt werden, etwa durch Videoüberwachung. Erst Anfang September hatte es Berichte gegeben, wonach der Iran den Einsatz von Gesichtserkennung zur Durchsetzung des Kopftuchzwangs plant. (dpa / js)