Deutschland nutzt wieder mehr Strom aus Kohle
Kohle spielt eine zunehmend wichtige Rolle bei der Stromerzeugung in Deutschland: Im dritten Quartal 2022 stammte mehr als ein Drittel (36,3 Prozent) der gesamten hierzulande erzeugten Strommenge aus dem fossilen Brennstoff. Die Menge an Kohlestrom habe im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 13,3 Prozent zugenommen, teilte das Statistische Bundesamt am Mittwoch mit.
Damit ist das Niveau der Kohleverstromung wieder auf dem Stand von Januar 2019. Auch Erdgas wurde demnach trotz hoher Gaspreise mehr für die Stromerzeugung eingesetzt als im Jahr zuvor: Hier erhöhte sich der Anteil um 4,5 Prozent auf 9,2 Prozent des eingespeisten Stroms. Die gesamte hierzulande erzeugte Strommenge betrug im dritten Quartal 118,1 Milliarden Kilowattstunden und somit 0,5 Prozent weniger als vor einem Jahr.
Erneuerbare Energien wie Windkraft, Photovoltaik und Biogas steuerten nach Angaben der Statistiker im dritten Quartal 44,4 Prozent zur Stromerzeugung bei. Ein Jahr zuvor war der Anteil mit 43 Prozent noch etwas geringer. Nicht der Ausbau der erneuerbaren Energien, sondern viele Sonnenstunden hätten im laufenden Jahr für einen starken Anstieg bei Strom aus Photovoltaik-Anlagen gesorgt, wie das Bundesamt erklärte. Sie verzeichneten ein Plus von über 20 Prozent auf einen Anteil von 16 Prozent.
Atomausstieg zeigt Wirkung
Trotz des Anstiegs bei Kohle und Erdgas ging die aus konventionellen Energieträgern insgesamt erzeugte Strommenge im Zeitraum Juli bis einschließlich September 2022 zurück. Sie verringerte sich zum Vorjahresquartal um 3,0 Prozent auf 55,6 Prozent der eingespeisten Strommenge.
Das Bundesamt erklärte dies damit, dass nur noch gut halb so viel Atomstrom erzeugt wurde wie ein Jahr zuvor. Wegen des beschlossenen Atomausstiegs waren zum Jahresende 2021 drei von sechs bis dahin noch laufende Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz genommen worden.
Reaktivierte Kohlekraftwerke
Auch im vierten Quartal dürfte der Kohle-Anteil an der Stromerzeugung hoch sein. Grund ist die inzwischen erfolgte Rückkehr von Kohlekraftwerken aus der Versorgungsreserve und der Netzreserve. “Der zusätzliche Einsatz von Kohle im Stromsektor soll den Gasverbrauch im Stromsektor senken und so insgesamt Gas einsparen”, begründet die Bundesregierung die entsprechenden Regelungen.
Im dritten Quartal waren bereits zwei Steinkohlekraftwerke wieder an den Markt gegangen. Bis zum 21. November kamen laut Bundesnetzagentur weitere 14 Steinkohle- und Braunkohleblöcke hinzu, die sonst in die Reserve gegangen beziehungsweise in der Reserve geblieben wären. Diese insgesamt 16 Blöcke haben eine Kapazität von rund 6900 Megawatt. Dies entspricht der Leistung von rund sieben Atomkraftwerken.
Frankreichs Atomproblem
Wie das Statistische Bundesamt weiter mitteilte, ging im dritten Quartal die importierte Strommenge gegenüber dem Vorjahresquartal zurück, während die Stromexporte zulegten. Besonders deutlich war demnach der Rückgang um 88 Prozent bei den Stromimporten aus Frankreich. “Diese Entwicklung lässt sich vor allem auf technische Probleme in den französischen Kernkraftwerken zurückführen”, hieß es. Im Sommer mussten dort mehrere Atomkraftwerke ihre Leistung reduzieren, weil sie aufgrund hoher Temperaturen in den Flüssen kein Kühlwasser mehr einleiten durften. Und auch aktuell werden zahlreiche französische Atomkraftwerke gewartet; deswegen wird im Januar sogar mit Versorgungsengpässen gerechnet.
Laut Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen wurden in den ersten neun Monaten 2022 bereits 4,4 Terawattstunden Strom mehr nach Frankreich exportiert als von dort bezogen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hält dennoch an dem Bau neuer Atomkraftwerke fest und begründet dies mit dem Wunsch nach zuverlässiger Energieversorgung.
Deutschland verliert den Anschluss
Die Internationale Energieagentur IEA erwartet hingegen einen stark wachsenden Anteil erneuerbarer Energien am Strommix weltweit. In ihrem am Mittwoch veröffentlichten Bericht “Renewables 2022” prognostiziert sie eine Verdoppelung der Stromerzeugungskapazität aus erneuerbaren Energien bereits bis 2027. Damit würden die Erneuerbaren Kohle international als größte Stromerzeugungsquelle ablösen. Der Anstieg soll demzufolge 2400 Gigawatt betragen, was der gesamten Stromerzeugungskapazität Chinas entspräche.
Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agentur, sagte: “Die IEA sieht den Durchbruch der erneuerbaren Energien in kurzer Zeit voraus. Bedingt durch den beschleunigten Umbau des Energiesystems durch die Energiekrise sind das sehr gute Nachrichten für den Klimaschutz.”
Gleichzeitig warnte die IEA in dem Bericht davor, Deutschland und Europa könnten bei der Transformation den Anschluss verlieren. Grund seien “verkrustete überregulierte Strukturen und die überbordende Bürokratie”. In Zeiten gewaltiger Dynamik reiche es nicht aus, Weltmeister bei ambitionierten Klimazielen zu sein. “Es müssen auch viel dringlicher als viele es gegenwärtig noch angehen, die Rahmenbedingungen verbessert werden”, forderte die Organisation. (dpa / hcz)