Jordanien plant weit auslegbares Zensurgesetz

Jordanien
Seit 2013 haben die jordanischen Behörden Hunderte Websites gesperrt.(Quelle:

Menschenrechtsorganisationen warnen vor einem geplanten Cybercrime-Gesetz in Jordanien, dessen Entwurf aktuell im Parlament diskutiert wird. Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF), die Bürgerrechtsorganisation Access Now und weitere gemeinnützige Gruppen befürchten, dass die geplanten Vorschriften die Presse- und Meinungsfreiheit im Internet massiv einschränken werden. Das Gesetz sei repressiv, mehrdeutig und stünde nicht im Einklang mit den internationalen Menschenrechten. Sie wandten sich am Montag in einem offenen Brief an die jordanischen Parlamentarier. Unterzeichner sind neben Access Now 23 weitere Organisationen, darunter Human Rights Watch, ARTICLE 19 und die Electronic Frontier Foundation (EFF).

Offiziell richtet sich das geplante “Cybercrime-Gesetz” gegen Straftaten im Internet. Die Regierung gibt an, es als Reaktion auf zunehmende Online-Kriminalität einführen zu wollen: Es richte sich gegen gefälschte Konten und Desinformationen auf Social-Media-Plattformen und solle die Privatsphäre von Online-Nutzern schützen. Der Entwurf wird seit dem 15. Juli im Parlament besprochen.

Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen warnt hingegen in einer eigenen Erklärung am Freitag, die geplanten Vorschriften würden potentiell die Nutzung des Internets durch jede Person kriminalisieren, inklusive Journalistinnen und Journalisten. “Dieser Gesetzentwurf ist symptomatisch für den gravierenden Rückgang der Pressefreiheit in Jordanien. Mit seiner ungenauen Sprache und seinem strafenden Ansatz ermöglicht es Staatsanwälten eine strengere Kontrolle über Online-Medien und fördert die Selbstzensur”, kritisierte RSF in einer eigenen Erklärung am Freitag.

Unter Strafe stünden dem Entwurf nach unter anderem die Verbreitung von “Falschnachrichten”, “Diffamierung”, “Rufschädigung” oder die Schädigung der “nationalen Einheit”. Artikel 17 verbietet laut RSF beispielsweise, Inhalte zu veröffentlichen, die Konflikte oder Hass schüren, Verachtung für Religionen zum Ausdruck bringen oder zu Gewalt aufrufen oder diese rechtfertigen. Es sind Geldstrafen zwischen 20.000 und 50.000 jordanischen Dinar (25.000 bis 63.000 Euro) vorgesehen und bis zu drei Jahre Gefängnisstrafe.

Der jordanische Journalistenverband forderte in einer Stellungnahme vom 16. Juli eine umfassende Überarbeitung des geplanten Gesetzes. Die Medienvertreter sprachen von einem “Angriff auf die Pressefreiheit”. Faisal al-Shboul, Minister für Regierungskommunikation, hielt dagegen und behauptete, die Mediengesetze Jordaniens schützten Journalisten.

Gummiparagraphen

Die Unterzeichner sehen durch das Gesetzesvorhaben unter anderem die Meinungsfreiheit, das Recht auf Privatsphäre und das Recht auf Informationen gefährdet. Gleichzeitig werde das Gesetz nicht dazu beitragen, die von der Regierung erklärten Ziele zu erreichen, Desinformation, Hassrede oder Online-Verleumdung zu bekämpfen.

Sie sehen aus verschiedenen Gründen die Menschenrechte verletzt: Dem Rechtstext fehle es an präzisen Formulierungen, wie sie das Völkerrecht vorschreibt. Stattdessen werde eine “vage und undefinierte Terminologie” verwendet. Begriffe wie “Fake News”, “Unmoral fördern, unterstützen oder dazu anstiften”, “Online-Attentat auf Persönlichkeit” (“Online Assassination of personality”) oder “provoziert Streit” ermöglichten es den Menschen nicht, ihr Verhalten entsprechend an die Gesetzesvorgaben anzupassen.

“Solche vagen Bestimmungen öffnen der jordanischen Exekutive die Tür, Einzelpersonen für die Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung zu bestrafen, und zwingen die Richter in den meisten Fällen dazu, Bürger zu verurteilen”, warnte Access Now am Montag.

Keine Kritik an Strafverfolgern

Weitere Bedenken äußern die Unterzeichner bezüglich einzelner Artikel des Gesetzentwurfes. Artikel 24 sehe vor, Personen, die Namen, Fotos oder Informationen von Strafverfolgerinnen und Strafverfolgern veröffentlichen mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten und einer Geldstrafe zwischen umgerechnet 6300 Euro und 32.000 Euro zu belegen – wenn die Veröffentlichungen als beleidigend oder schädlich angesehen werden.

“Diese Bestimmungen kriminalisieren faktisch jede Äußerung, die Strafverfolgungsbeamte beleidigen könnte”, so Access Now. Der breiten Öffentlichkeit werde verboten, die Strafverfolgungsbehörden zu kritisieren; Selbstzensur und Zensur werde verstärkt. Der Artikel könne sogar verhindern, dass Beamte und Behörden für ihre Entscheidungen zur Rechenschaft gezogen werden.

Artikel 33 gebe Staatsanwaltschaften und Gerichten die Befugnis, Webseiten, Social-Media-Plattformen oder Einzelpersonen anzuweisen, Inhalte zu entfernen oder zu sperren, wenn gegen Gesetze verstoßen wird. Auch könnten Nutzer auf Anweisung der Justiz gesperrt oder deren persönliche Daten angefordert werden. Bei Nichtbefolgen sind Netzsperren für die Inhalte und Plattformen vorgesehen.

Zudem sollen Nutzerinnen oder Nutzer, die ihre tatsächliche IP-Adresse verschleiern, mit der Absicht eine (geringfügige) Straftat zu begehen, mit mindestens sechs Monaten Haft und Geldstrafen belegt werden.

Social-Media-Plattformen mit mehr als 100.000 Nutzerinnen in Jordanien sollen per Gesetz dazu verpflichtet werden, eine Niederlassung in dem Land zu eröffnen. So soll für die Behörden stets ein Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Sollten die Unternehmen dem nicht Folge leisten, können Werbeverbote verhängt oder der Zugang zu den Diensten eingeschränkt werden.

Alles ist Social Media

Die gemeinnützige Organisation Jordan Open Source Association (JOSA) machte via Twitter auf weitere problematische Punkte aufmerksam: So soll künftig niemand mehr ohne staatliche Genehmigung online nach finanzieller Unterstützung fragen dürfen, beispielsweise für Open-Source-Software-Projekte.

JOSA zufolge würde das Gesetz auch den Begriff Social Media neu definieren und unter ihn nicht nur große Plattformen fassen, sondern jegliche Apps und Webseiten, die nutzergenerierte Inhalte enthalten. “Dazu gehört auch das vergessene Message Board, das Sie in den 90er Jahren erstellt haben und für das jetzt die gleiche Haftung gilt wie bei Facebook”, erklärte die Organisation. In Folge dieses Schritts könnten Betreiber kleiner Internetseiten und Apps genauso für bestimmte Straftaten (ihrer Nutzer) verantwortlich gemacht werden wie die Betreiber der größten Plattformen.

Parlament in der Verantwortung

RSF zufolge wurde in Jordanien im Jahr 2015 erstmals ein Entwurf für ein Gesetz gegen Computerkriminalität präsentiert. Zahlreiche Proteste waren die Folge; Kritiker befürchten seitdem weitere Einschnitte bei Presse- und Meinungsfreiheit. In der Folge sei das Gesetz wiederholt abgelehnt worden.

RSF fordert das jordanische Parlament deswegen auf, den Gesetzesvorschlag abzulehnen: “Er sollte durch ein Gesetz ersetzt werden, das das Recht der Öffentlichkeit auf Information schützt und die Pressefreiheit nicht gefährdet.”

Access Now appelliert ebenso an die Gesetzgeber: “Aufgrund des repressiven, mehrdeutigen und komplexen Charakters des vorgeschlagenen Gesetzes müssen sich jordanische Gesetzgeber mit Gruppen der Zivilgesellschaft beraten, um alternative, die Rechte respektierende Wege zu entwickeln und um berechtigten Bedenken im Zusammenhang mit Hassreden und Desinformation Rechnung zu tragen, die nicht nur in Jordanien vorhanden sind.”

Wann die Parlamentsabstimmung über das Gesetz geplant ist, ist noch nicht bekannt.

Jordanien steht auf der von RSF geführten “Rangliste der Pressefreiheit” auf Platz 146 von 180 Staaten. Die konstitutionelle Monarchie rutschte im Jahr 2023 um 26 Plätze in der Liste ab, denn “Zensur und Knebelanordnungen” hatten zuletzt laut RSF in den letzten Monaten zugenommen. (hcz)