Kabinett beschließt schnelleren Ökostrom-Ausbau

Klimaschutzminister Robert Habeck
Für die klimatechnisch problematischen Sektoren Verkehr und Gebäude hält das Gesetzespaket von Klimaschutzminister Robert Habeck kaum Lösungen bereit.(Quelle: IMAGO / Jürgen Heinrich)

Das Bundeskabinett hat am heutigen Mittwoch ein umfassendes Gesetzespaket für einen schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien auf den Weg gebracht. Es soll Deutschland beim Erreichen seiner Klimaziele helfen – und das Land möglichst schnell unabhängiger von russischen Gas-, Öl- und Kohlelieferungen machen.

Die erneuerbaren Energien seien zu einer Frage der nationalen Sicherheit geworden, hieß es aus Regierungskreisen. Beim sogenannten Osterpaket handle es sich um die größte energiepolitische Novelle seit Jahrzehnten.

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) hatte die Vorhaben bereits im Januar angekündigt. Das Gesetzespaket umfasst insgesamt mehr als 500 Seiten und soll mehrere Gesetze und zahlreiche Verordnungen anpassen.

Im Kern geht es vor allem um eine Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Die erneuerbaren Energien sollen künftig im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen. Das soll Genehmigungsverfahren beschleunigen und Gerichtsverfahren erleichtern. Gegen neue Windräder wird aktuell oft geklagt.

Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Sascha Müller-Kraenner, sprach in Hinblick auf die Pläne für erneuerbare Energien von einem “großen Sprung nach vorn”. Er kritisierte aber, dass keine gesetzliche Regelung für Landflächen für Windenergie vorgesehen ist.

Auch Greenpeace-Expertin Reenie Vietheer äußerte sich ambivalent: “Werden in dem Entwurf noch wesentliche Punkte ergänzt, kann der Ausbau der Erneuerbaren die notwendige Geschwindigkeit aufnehmen.” Das Gesetzespaket vernachlässige aber die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern beim Ausbau – anders als Habeck versprochen habe.

Verdoppelung der erneuerbaren Energien

Die Ausbaumengen für Windkraft an Land und auf See sowie für Solarenergie sollen mithilfe der neuen Regelungen deutlich angehoben werden. So soll die Stromversorgung in Deutschland bereits im Jahr 2035 nahezu vollständig auf erneuerbaren Energien beruhen.

Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent des deutschen Bruttostromverbrauchs aus Erneuerbaren kommen. 2021 lag dieser Anteil nach Branchenangaben bei rund 42 Prozent. Habeck hatte im Januar bei der Vorstellung seiner Eröffnungsbilanz gesagt, die Geschwindigkeit der CO2-Emissionsminderung müsse verdreifacht werden, sonst würden Klimaziele etwa 2030 verfehlt.

Dafür soll unter anderem die Förderung für Solardächer verbessert werden, mehr Flächen für Windkraftanlagen auf See freigegeben werden und neue höhere Windräder an Land gebaut werden.

Schutz für Verbraucher

Das Gesetzespaket sieht ferner vor, dass Stromkunden über eine frühere Abschaffung der EEG-Umlage über die Stromrechnung ab Sommer entlastet werden. Stattdessen ist die Finanzierung der erneuerbaren Energien über das Sondervermögen “Energie- und Klimafonds” vorgesehen. Der Bau neuer Stromleitungen soll beschleunigt werden; darüber hinaus sind neue Projekte geplant.

Stromkunden sollen künftig auch besser vor Pleiten von Versorgern sowie Preissprüngen geschützt werden. Zudem soll die finanzielle Beteiligung der Kommunen, in denen Windparks stehen, verstärkt werden. Damit soll die Akzeptanz vor Ort erhöht werden.

Deutschland steigt bis Ende 2022 aus der Atomkraft aus und in den kommenden Jahren schrittweise aus der Kohle. Die Ampel-Koalition strebt einen Kohleausstieg “idealerweise” bereits 2030 an – das hängt aber davon ab, ob ein schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien gelingt.

Der Deutsche Naturschutzring (DNR) sieht mit dem Maßnahmenpaket noch nicht alle Blockaden für den Ausbau der erneuerbaren Energien beseitigt. “Wir brauchen unter anderem die Einführung einer Solarpflicht auf allen Dächern, die Abschaffung willkürlicher Abstandsvorgaben zur Wohnbebauung und die damit einhergehende Bereitstellung von ausreichend Flächen für die Windenergie an Land”, kommentierte DNR-Präsident Kai Niebert.

Abstandsregeln blockieren Wende

Nicht im Osterpaket enthalten ist das geplante Ziel, zwei Prozent der Landfläche für Windenergie zu reservieren. Dies soll erst ein zweites Maßnahmenpaket im Sommer festlegen. Die Bundesregierung befindet sich dazu in Verhandlungen mit den Ländern.

Vor allem in Bayern gibt es strenge Regeln zum Abstand von Windrädern zu Wohnhäusern. Offen ist, ob die Bundesregierung das Zwei-Prozent-Ziel über Änderungen im Baugesetzbuch verpflichtend vorschreiben wird.

Die Koalition arbeitet außerdem an einem Klimaschutz-Sofortprogramm. Dieses soll Maßnahmen für das Erreichen von Klimazielen bei Gebäuden und Verkehr enthalten.

Diskussionsbedarf

Der Kabinettsvorlage zufolge, besteht innerhalb der Bundesregierung Einvernehmen, dass im weiteren Gesetzgebungsverfahren etwa die Frage des Zeitplans der Klimaneutralität im Stromsektor “ergebnisoffen” diskutiert wird.

Die FDP hält “erhebliche” Nachbesserungen für nötig an den Plänen Habecks – unter anderem daran, dass die Stromversorgung in Deutschland bereits 2035 nahezu vollständig auf erneuerbaren Energien beruhen soll.

Nachbesserungsbedarf sieht auch die Deutsche Umwelthilfe – unter anderem im FDP-geführten Verkehrssektor. DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch kritisierte: “Die Ampelregierung versagt im Verkehrsbereich. Die für den Klimaschutz verheerende und einseitig aufs Auto ausgerichtete Verkehrspolitik der Merkel-Regierungen wird fortgesetzt. Es fehlen sämtliche Regelungen und Anreize für eine unmittelbar wirksame Einsparung fossiler Energien und damit die kurzfristige Reduktion der Klimagasemissionen im Verkehrssektor.”

Allein die Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen, außerorts und in der Stadt auf 100, 80 beziehungsweise 30 Kilometer pro Stunde würde jährlich 3,7 Milliarden Liter Diesel und Benzin und 9,2 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Auch sei es eine “klaffende Fehlstelle”, dass von der Regierung keine Maßnahmen im Gebäudesektor vorgesehen sind. Sowohl Gebäude- als auch Verkehrssektor haben im vergangenen Jahr ihre Klimaziele verpasst.

Das Gesetzespaket wird nun im Bundestag diskutiert werden, bevor es dort verabschiedet werden kann. Sollte dann auch der Bundesrat zustimmen, könnten die Änderungen wie geplant zum 1. Juli in Kraft treten. (dpa / hcz)