Kasachstan schaltet Internet während Massenprotesten ab
Seit Donnerstagmorgen ist das Internet in Kasachstan erneut abgeschaltet. Das berichtet die Organisation NetBlocks, die seit Dienstag größere Internetstörungen in dem autoritär regierten Land beobachtet. Dort kommt es seit dem vergangenen Wochenende zu großen Protesten – in der Nacht zu Donnerstag wurden viele Menschen getötet oder verletzt.
NetBlocks berichtet von einer landesweiten Internetsperre. Die Einschränkungen lassen sich demnach nicht immer zuverlässig mithilfe von VPN-Verbindungen umgehen. Auch der Zugriff auf kasachische Internetseiten aus dem Ausland sei teilweise nicht mehr möglich – aus Deutschland war beispielsweise am Donnerstag die Seite der staatlichen Nachrichtenagentur Kazinform nicht erreichbar. Mehrere Fernsehsender stellten den Betrieb ein.
Schon am Sonntag wurden der Bürgerrechtsorganisation Access Now zufolge die Messaging-Dienste WhatsApp, Signal und Telegram in Kasachstan blockiert. Am Dienstag hatte NetBlocks dann “erhebliche” Internetstörungen festgestellt. Anfangs seien vor allem die Mobilfunkanbieter Kcell, Beeline und Tele2 sowie einige Festnetzanschlüsse betroffen gewesen – am Mittwochabend hätten nahezu alle Internetverbindungen in Kasachstan nicht mehr funktioniert. Kurzzeitig habe das Internet während einer Fernsehansprache von Präsident Kassym-Schomart Tokajew am frühen Donnerstagmorgen wieder funktioniert – doch seitdem seien die Verbindungen wieder blockiert.
NetBlocks mahnte, für Menschen in dem zentralasiatischen Land sei es nun schwierig, “politische Unzufriedenheit zu äußern und frei zu kommunizieren”. Access Now forderte die Behörden auf, “unverzüglich den uneingeschränkten Internetzugang für alle” wiederherzustellen.
Größte Protestwelle seit Jahren
Tausende Menschen demonstrieren seit dem 2. Januar in Kasachstan. Auslöser waren gestiegene Treibstoffpreise zum Jahreswechsel, zumal die Menschen ohnehin schon unter Misswirtschaft und Armut leiden. Am Mittwoch hatte das Kabinett geschlossen seinen Rücktritt bei Präsident Tokajew eingereicht. Der Präsident hatte die Rücktritte akzeptiert und dem bisherigen stellvertretenden Ministerpräsidenten kommissarisch die Regierungsgeschäfte übertragen. Im ganzen Land gilt nun der Ausnahmezustand. In einer Rede hatte Tokajew angekündigt, es werde “so hart wie möglich” gegen die Proteste vorgegangen.
Vor allem in Almaty, der größten Stadt des Landes, kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen: In der vergangenen Nacht kamen nach Behördenangaben “Dutzende” Demonstrierende und mindestens 13 Sicherheitskräfte zu Tode; mehr als 1000 Menschen seien verletzt worden. Medienberichten zufolge handelt es sich um die größte Protestwelle seit Jahren. Mittlerweile hat Russland Soldaten nach Kasachstan verlegt – Präsident Tokajew hatte zuvor das von Russland geführte Militärbündnis “Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit” um Hilfe gebeten.
Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien bei Amnesty International, kritisierte: “Die in Gewalt umgeschlagenen Proteste in Kasachstan, sind eine direkte Folge der weit verbreiteten Unterdrückung grundlegender Menschenrechte durch die Behörden. Seit Jahren verfolgt die Regierung unerbittlich friedliche Dissidenten und lässt das kasachische Volk in einem Zustand der Unruhe und Verzweiflung zurück.” Sie appellierte an die Behörden, die Situation friedlich zu lösen.
Nach Angaben von Human Rights Watch (HRW) lösen kasachische Behörden selbst friedliche Proteste routinemäßig auf oder verhindern sie. Laut Amnesty International ist im Mai 2020 ein Gesetz in Kasachstan in Kraft getreten, das Versammlungen nur an bestimmten Orten erlaubt. Auch das Recht auf freie Meinungsäußerung sei “stark eingeschränkt”; Oppositionsparteien sind verboten.
Zensur und Überwachung
Bereits in der Vergangenheit hatte Kasachstan den Zugang zum Internet eingeschränkt: Beispielsweise während der Präsidentschaftswahlen im Jahr 2019. Damals wurde der Nachfolger des jahrzehntelangen Machthabers Nursultan Nasarbajew gewählt und es war ebenfalls zu Protesten gekommen. Am “Tag des Sieges” im selben Jahr wurden soziale Medien und Nachrichtenseiten blockiert.
Im Jahr 2020 hatte die Regierung versucht, Internetnutzer zur Installation eines unsicheren, staatlichen Browser-Zertifikates zu zwingen. Dadurch hätte die Regierung Nutzerinnen und Nutzer überwachen und verschlüsselte Verbindungen mitlesen können. Die vier großen Browser-Hersteller hatten das Zertifikat blockiert. Bereits ein Jahr zuvor hatte die kasachische Regierung zur Installation eines solchen Zertifikates aufgefordert. Forscher der Universität Michigan hatten damals festgestellt, dass in Kasachstan Datenverkehr mithilfe des Zertifikates tatsächlich umgeleitet wurde. (dpa / js)