Kritik an Forderungen nach Telegram-Blockade

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Telegram steht in der Kritik, weil sich Hassrede und Gewaltaufrufe über den Dienst verbreiten.(Quelle: IMAGO / photothek)

Nach dem Willen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sollen Apple und Google den Messenger Telegram aus ihren Appstores verbannen. In der vergangenen Woche hatte sie der Plattform sogar mit einer Abschaltung gedroht. Doch ihre Pläne stoßen auf Kritik von Bürgerrechtlern und Medienschaffenden.

Der Moskau-Korrespondent der ARD, Demian von Osten, schrieb auf Twitter, sein Team könne ohne Telegram überhaupt nicht mit Oppositionellen in Belarus kommunizieren – wegen der Kontrolle durch den Geheimdienst. Ähnlich sehe es in Russland aus.

Er reagierte damit auf Faesers Aussage, solange Apple und Google Apps wie Telegram in ihren Appstores anbieten würden, seien sie “auch eine Form von Brandbeschleuniger” für Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien.

Würden Apple und Google die App nicht weiter anbieten, würde dies ohnehin nur neue Downloads aus den Appstores verhindern. Bestehende Nutzerinnen und Nutzer könnten Telegram weiter nutzen – unter Android kann die App auch direkt heruntergeladen und installiert werden.

Warnung vor “Kollateralschäden”

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erklärte am Donnerstag, ein Verbot von Telegram in den Appstores behindere die Meinungsfreiheit. Joschka Selinger, Jurist bei der GFF, kritisierte einen solchen Schritt als unverhältnismäßig. Eine Blockade stelle keine Lösung dar – zumal Android-Nutzer die App auch direkt beim Anbieter herunterladen könnten. Er mahnte: “Die Kollateralschäden sind auch viel zu weitreichend, weil Aktivitäten behindert werden, die völlig legitim sind.” Der Druck auf Apple und Google sei offenbar der einzige Weg, um Telegram zur Kooperation zu bewegen. Es sei ein großes Problem, den großen Konzernen die Entscheidung aufzuerlegen, welche App angeboten werden darf und welche nicht. “Gleichzeitig schöpfen die Sicherheitsbehörden nicht alle Mittel aus, um gegen Hassrede und Drohungen vorzugehen.”

Auch der Sprecher des Digitalvereins D64, Henning Tillmann, erklärte, eine Entfernung aus den Appstores werde “das Kernproblem nicht lösen”. Er forderte die Sicherheitsbehörden auf, mehr Personal für die Fahndung im Netz einzusetzen. In den Kanälen, denen jeder beitreten könne, werde teilweise Hass offen mit Klarnamen zur Schau gestellt.

Insbesondere in autoritären Staaten gilt Telegram als wichtiger Kommunikationskanal für Aktivisten – und wird deshalb beispielsweise im Zuge von Protesten immer wieder blockiert. Die ARD-Journalistin Natalie Amiri schrieb auf Twitter anlässlich der aktuellen Debatte: “In Demokratien sind Messengerdienste wie Telegram eine Schwächung fürs System, in totalitären Regimen oft der einzige Weg der einigermaßen freien Kommunikation der Zivilbevölkerung… was für eine Crux.”

Lisa Dittmer von Reporter ohne Grenzen schrieb, Telegram und andere Plattformen schafften “vielerorts Freiheitsräume”, die Regime “allzu gerne” mit Verweis auf Deutschland und die EU “abdrehen würden”.

Faeser brachte Abschaltung ins Spiel

In der vergangenen Woche hatte Faeser sogar Netzsperren ins Spiel gebracht: In einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit sagte sie, ein “Abschalten” des Dienstes könne nicht per se ausgeschlossen werden. Es wäre “sehr schwerwiegend und ganz klar Ultima Ratio. Vorher müssen alle anderen Optionen erfolglos gewesen sein”. Faeser sagte der Zeitung, sie strebe eine europäische Lösung an, um Telegram zur Kooperation zu zwingen: “Heute sitzt Telegram in Dubai, morgen vielleicht auf den Cayman Islands. Wir werden bei der Durchsetzung des Rechts viel Stärke brauchen. Als deutscher Nationalstaat alleine schaffen wir das nicht.”

Technische oder rechtliche Details ihres Vorhabens nannte sie nicht. Netzsperren lassen sich jedoch umgehen, beispielsweise mit VPN-Programmen.

Scharfe Kritik an den Plänen der Ministerin formulierte auch Simone Rafael, Leiterin des Digitalbereichs der Amadeu-Antonio-Stiftung: Eine Sperre sei der falsche Weg – es handle sich um eine “fragwürdige Zensur”, die technisch “ohnehin umgangen” werden könne.

Telegram soll illegale Inhalte löschen

Nach Einschätzung des Bundesjustizministeriums handelt es sich bei Telegram um ein soziales Netzwerk – das unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) fällt und damit illegale Beiträge löschen muss. Telegram arbeitet aber nur in wenigen Fällen mit Behörden zusammen.

Viele Menschen weltweit nutzen Telegram vorwiegend zur direkten Kommunikation im privaten oder beruflichen Kontext, so wie Signal, WhatsApp, Threema oder andere Messenger-Dienste. Für einige Nutzer, die bei YouTube, Twitter, Facebook oder anderen sozialen Netzwerken wegen extremistischer Inhalte gesperrt worden sind, ist Telegram allerdings eine Ausweichplattform.

Apple wollte zu der Forderung der Innenministerin gegenüber der dpa keine Stellung nehmen. Eine Google-Sprecherin erklärte, generell äußere sich das Unternehmen nicht zu einzelnen Apps. “Wenn wir jedoch über eine App informiert werden, die möglicherweise gegen unsere Google Play-Richtlinien verstößt oder wir eine behördliche Löschungsanfrage erhalten, prüfen wir sie und ergreifen gegebenenfalls Maßnahmen, zu denen auch die Sperrung der App gehören kann.” Mit dem Bundesinnenministerium sei Google im Austausch. (dpa / js)