Menschenrechte: In Katar entscheiden Männer, was Frauen dürfen
Die Menschenrechte stehen in Katar wegen der dort ausgetragenen Fußballweltmeisterschaft 2022 verstärkt im Fokus. Ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zeigt nun, wie Frauen in dem Land massiv diskriminiert werden: Das System der männlichen Vormundschaft verwehrt Frauen das Recht, zahlreiche Entscheidungen über ihr Leben selbst zu treffen. Dabei verstoßen einige der Einschränkungen sogar gegen die Verfassung Katars.
Zwar habe es in Katar bedeutende Fortschritte in Hinblick auf Frauenrechte gegeben, etwa im Bildungsbereich – es machten beispielsweise mittlerweile mehr Frauen als Männer einen Universitätsabschluss. Doch um zu heiraten oder in öffentlichen Berufen zu arbeiten, müssen Frauen die Erlaubnis ihres männlichen Vormunds einholen, berichtet HRW. Frauen können auch nicht als primärer Vormund ihrer Kinder handeln – selbst dann nicht, wenn sie geschieden sind und das Sorgerecht für die Kinder haben. Der männliche Vormund für Frauen ist in der Regel der Vater, Bruder, Onkel oder Großvater.
Die Organisation hat für ihren Bericht 27 Gesetze sowie diverse Verordnungen, Richtlinien und Formulare geprüft. Außerdem hat sie 73 Interviews geführt, darunter 50 mit betroffenen Frauen. Zahlreiche Erkenntnisse habe die Regierung bestätigt – andere aber bestritten, obwohl diese nach Angaben von HRW eindeutig belegt sind.
“Die männliche Vormundschaft stärkt die Macht und Kontrolle, die Männer über das Leben und die Entscheidungen von Frauen haben. Sie kann Gewalt fördern oder schüren und lässt Frauen nur wenige Möglichkeiten, dem Missbrauch durch ihre eigenen Familien und Ehemänner zu entkommen”, sagte Rothna Begum, leitende Frauenrechtsforscherin bei Human Rights Watch.
Erlaubnis zum Heiraten
Laut Bericht müssen Frauen unabhängig von ihrem Alter oder früheren Familienstand die Erlaubnis eines männlichen Vormunds zum Heiraten einholen. Verheiratete Frauen brauchen die Erlaubnis ihres Mannes, um zu arbeiten, zu verreisen oder auch nur um das Haus zu verlassen. Andernfalls können sie als “ungehorsam” angezeigt werden. Das gelte auch, wenn sich Frauen weigern, Sex mit ihrem Mann zu haben, ohne einen “legitimen” Grund zu nennen. Frauen die sich getrennt haben, berichteten HRW, dass ihre Männer mit dem Vorwurf des “Ungehorsams” vor Gericht gegangen seien. Dies könne beispielsweise dazu führen, dass die betroffenen Frauen den Anspruch auf finanzielle Unterstützung durch ihre ehemaligen Ehemänner verlieren.
Männern sei es hingegen erlaubt, mit bis zu vier Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein. Dafür brauchen sie keine Erlaubnis – auch nicht von ihren aktuellen Ehefrauen.
Vormundschaft von Kindern
Da die Frauen nicht als primärer Vormund ihrer eigenen Kinder auftreten dürfen, können sie auch keine unabhängigen Entscheidungen in Bezug auf die Dokumente, Finanzen und Reisen ihrer Kinder treffen. Die Regierung erklärte gegenüber HRW hingegen, Frauen könnten als Erziehungsberechtigte auftreten und Reisedokumente für ihre Kinder erhalten. Die Organisation belegt die Vorwürfe aber mit einschlägigen Dokumenten.
Frauen könnten auch keine Entscheidungen zur Schulbildung oder medizinischen Versorgung ihrer Kinder treffen. All dies gelte auch, wenn eine geschiedene Frau das Sorgerecht für ihre Kinder habe oder aber der Vater verstorben sei: Haben die Kinder keinen männlichen Vormund, übernimmt der Staat diese Rolle.
Diese gesetzliche Diskriminierung führe dazu, dass viele Frauen in Beziehungen mit gewalttätigen Partnern gefangen seien. Geschiedene Frauen blieben häufig von ihren ehemaligen Ehemännern abhängig, da diese weiterhin die Vormundschaft für die Kinder innehaben.
Betroffene Frauen haben Human Rights Watch außerdem berichtet, dass ihr Vormund ihnen verboten hat, im Ausland oder an gemischtgeschlechtlichen Universitäten in Katar zu studieren. Das schränke die Wahl der Studiengänge ebenso wie die berufliche Zukunft der Frauen ein. Selbst Studentinnen der staatlichen, nach Geschlechtern getrennten, Universität in Katar bräuchten eine Erlaubnis, um an Studienexkursionen teilzunehmen. Auch in diesem Punkt widersprach die Regierung der Menschenrechtsorganisation.
Keine Auslandsreisen ohne Erlaubnis
Um in Ministerien oder staatlichen Schulen zu arbeiten, benötigen Frauen laut Bericht de facto ebenfalls eine Genehmigung. Zwar sei diese nicht gesetzlich vorgeschrieben, allerdings gebe es kein Gesetz, das die Diskriminierung von Frauen im Einstellungsprozess verbietet.
HRW kritisiert auch, dass unverheiratete katarische Frauen unter 25 Jahren nur mit Erlaubnis ins Ausland reisen dürfen. Frauen jeden Alters können außerdem von ihrem Ehemann oder Vater ein Reiseverbot auferlegt bekommen. Im Jahr 2020 soll es zu einem Vorfall gekommen sein, bei dem Flughafenbeamte mehrere Frauen festhielten, die ohne einen männlichen Angehörigen reisten. Die Beamten wollten den Vormund anrufen, um sich zu vergewissern, dass die Frauen nicht “auf der Flucht” waren. Dabei wurden sowohl Frauen unter 25 Jahren festgehalten, die gültige Ausreisegenehmigungen hatten, als auch Frauen über 25 Jahren, die offiziell keine solche Genehmigung brauchen.
Selbst zur Schwangerschaftsvorsorge oder für gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen müssen Frauen einen Heiratsnachweis vorlegen. Für eine Sterilisation oder Abtreibung müssen die Ehemänner zustimmen.
Frauen ist es auch verboten, Veranstaltungen oder Bars zu besuchen, wenn dort Alkohol ausgeschenkt wird.
Ähnliche Regeln betreffen sogar ausländische Frauen, deren Visum von ihrem Ehemann oder Vater abhängig ist: Ohne Erlaubnis dürfen diese keinen Führerschein machen, nicht arbeiten und auch kein staatliches Stipendium für ein Studium erhalten.
Psychische Folgen
Frauen berichteten der Menschenrechtsorganisation, dass die zahlreichen Vorgaben sie stark dabei einschränken, ein unabhängiges Leben zu führen. Einige Betroffene berichteten von psychischen Folgen, die zu Selbstverletzungen, Depressionen, Stress und Suizidgedanken führten.
Human Rights Watch weist darauf hin, dass die Regelungen zur männlichen Vormundschaft einigen von Katars eigenen Gesetzen widersprechen – denn demnach endet die Vormundschaft mit dem 18. Lebensjahr. Sie verstoßen außerdem gegen die Verfassung des Landes und gegen Verpflichtungen Katars nach internationalen Menschenrechtsnormen. Darunter die UN-Frauenrechtskonvention, die das Land bereits im Jahr 2007 ratifiziert hatte. Die Vormundschaftsregeln erschweren zudem, dass Katar seine “Nationale Vision 2030” erreichen kann: Zu den Zielen zählt eine diversifizierte arbeitende Bevölkerung mit Karrieremöglichkeiten für Frauen.
Zwar setzten sich Frauen in Katar immer stärker für ihre Rechte ein, vor allem im Internet. Gesetze, die die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschränken, Einschüchterungen durch die Regierung und Belästigungen im Internet sind hierbei laut HRW aber ein großes Problem. Zudem gebe es in Katar keine unabhängige Frauenrechtsorganisation.
“Durch die Umsetzung der Regeln zur männlichen Vormundschaft lässt Katar die Frauen im Stich und fällt hinter seine Nachbarländer zurück, obwohl es einst in einigen Aspekten Vorreiter war”, sagte Begum. Sie fordert die Regierung zur Nachbesserung auf: “Katar sollte alle Regeln, die Frauen diskriminieren, aufheben, diese Änderungen öffentlich machen, ein Antidiskriminierungsgesetz verabschieden und sicherstellen, dass Frauen die Möglichkeit haben, ihre Rechte einzufordern.” (js)