Nach Bericht: Größter CO2-Zertifizierer überarbeitet Konzept

Regenwald
Selbst Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mit Verra zusammengearbeitet haben, kritisieren die Methoden der Organisation. (Quelle: Madhaabiii – CC BY-SA 4.0)

Ende Januar hatten gemeinsame Recherchen des Guardian, der Zeit und der Rechercheplattform SourceMaterial für Aufsehen gesorgt: Sie hatten ergeben, dass 94 Prozent der vom größten Anbieter Verra ausgestellten CO2-Zertifikate wohl wertlos sind – und in Wirklichkeit kaum Treibhausgasemissionen ausgleichen. Internationale Konzerne wie VW, Shell, Disney und Apple hatten bei Verra Zertifikate in Millionenhöhe gekauft, um sich ein grüneres Image zuzulegen.

Die Preise und Nachfrage nach den Zertifikaten sind laut The Guardian nach der Berichterstattung im Januar zurückgegangen. Etliche Unternehmen kündigten zudem an, bereits gekauft Verra-Zertifikate und die dahinter stehenden Projekte zu überprüfen. Einige Firmen werben inzwischen zudem nicht mehr mit “CO2-Neutralität”.

Nun hat Verra Konsequenzen aus den Rechercheergebnissen angekündigt: Bis Mitte 2025 will die Organisation ihr bisheriges Regenwaldschutzprogramm auslaufen lassen und neue Regeln einführen, nach denen Schutzprojekte zertifiziert werden. Diese sollen nun entwickelt werden, berichtete The Guardian am Freitag.

Die Zeitung bezieht sich auf Aussagen der für das Regenwaldschutzprogramm verantwortlichen Verra-Mitarbeiterin Julie Baroody. Bei einem Treffen mit Experten aus Wissenschaft und Industrie vergangene Woche sei sie auf die Probleme eingegangen, die die Zeitungsberichte aufgedeckt hatten und kündigte tiefgreifende Reformen an: “Wir müssen uns von den derzeitigen Ansätzen entfernen, und das tun wir.”

Kunden von Verra (Auswahl)

Shell
Gazprom
Apple
Netflix
SAP
Nestlé
Unilever
Volkswagen
Boeing
dm
Zalando
Gucci
Allianz
Fjällräven

Die Non-Profit-Organisation arbeitet seit 2021 an Änderungen, wie The Guardian berichtet. Ergebnisse wurden aber noch nicht bekannt gegeben. Bis Juli 2025 sollen alle Projekte auf ein neues System umgestellt werden.

In der Zwischenzeit will Verra grundsätzlich an seinen bisherigen Methoden zur Zertifizierung festhalten. Auch mit den aktuellen Zertifizierungsregeln sehe man sich momentan als “Klassenbester”, so Baroody weiter.

“Wir werden bestimmte Teile davon in Zukunft überarbeiten, bis wir die neue Methodik eingeführt haben. Dann werden wir die aktuellen Methoden auslaufen lassen“, sagte Baroody.

Mitte Februar hatte die Organisation angekündigt, “Klarstellungen” und “kleinere Aktualisierungen” an den bestehenden Methoden vorzunehmen und alle Projekte dahingehend umzustellen. Ab dem dritten Quartal 2023 sollen diese Aktualisierungen vollzogen sein.

Britaldo Soares-Filho, Professor für Umweltmodellierung an der Bundesuniversität von Minas Gerais in Brasilien, übt Kritik an Verras Reformplänen. Seine Software wird von einigen Verra-Projekten dazu verwendet, Änderungen an der Landnutzung festzustellen. Er sagte dem Guardian: “Verra hat Kompensationen mit schändlichen Methoden validiert und jetzt sagen sie, dass sie alles ändern werden. Diese Kompensationen sind meistens heiße Luft. Was wird mit den Projekten passieren? Es bleiben viele offene Fragen.”

Klimaschutz: Fehlanzeige

Verra ist mit 75 Prozent Marktanteil der größte CO2-Zertifizierer weltweit. Die Organisation legt die Regeln fest, nach denen Schutzprojekte ihren Beitrag zum Klimaschutz bewerten lassen können. Für diesen erhalten sie Zertifikate, die sie über Händler an Firmen verkaufen. Zu den Käufern von Verra-Zertifikaten zählen zahlreiche global tätige Konzerne wie Shell, Apple, Allianz und Volkswagen.

Die Redaktionen der Zeit, des Guardian und von SourceMaterial hatten mit Unterstützung von Expertinnen und Experten monatelang interne Projektunterlagen von Verra geprüft und Studien internationaler Forscherteams ausgewertet.

29 Projekte hatten die Journalisten für Ihre Veröffentlichung auf den Prüfstand gestellt. Nur bei acht wurden Hinweise auf eine bedeutende Verringerung der Entwaldung festgestellt; bei 21 fehlte der Nutzen fürs Klima. Ein Großteil der Projekte soll den Recherchen zufolge zudem systematisch und massiv seinen positiven Einfluss auf das Klima überbewertet haben – im Schnitt um das Zehnfache. Kritisiert wurde auch, dass die Regelwerke von Verra dies überhaupt zuließen.

Auch an den Projekten beteiligte Personen hatten in Interviews mit dem Rechercheteam Missstände beschrieben. Der Ökologe Lucio Pedroni beispielsweise hatte eines der Regelwerke für Verra verfasst, mit denen die Effektivität der zu zertifizierenden Projekte beurteilt wird. Er gab gegenüber den Redakteuren zu: “Leider wurde das System, das Verra aufgebaut hat, von einigen missbraucht, was bei einigen Pro­jekten zu überhöhten Prognosen geführt hat.”

David Antonioli, Geschäftsführer bei Verra hatte die Kritik an den Methoden Verras im Januar noch versucht abzuwehren, die Zeitungsberichte als “sensationslüstern” bezeichnet und die Behauptungen darin als “haarsträubend”.

Die Auswirkungen der fehlerhaften Zertifizierungsmethoden sind indes immens: 89 Millionen Tonnen CO2 sollen nur auf dem Papier eingespart worden sein – das entspricht in etwa dem jährlichen Ausstoß von Griechenland und der Schweiz zusammen. Die Zahl bezieht sich nur auf die untersuchten Projekte – die tatsächliche Menge an nicht kompensierten Emissionen dürfte daher weit höher liegen.

Menschenrechtsverletzungen

Kritik hatte es im Januar auch an Verra-zertifizierten Projekten gegeben, weil die Projektbetreiber oder zuständige Behörden offensichtlich Menschenrechte verletzt haben. So hatte der Guardian Mitte Januar von Kaffeebauern und ihren Familien berichtet, die 2021 im Nationalpark Alto-Mayo dauerhaft aus ihren Wohnunterkünften vertrieben wurden, weil diese in einem Waldschutzgebiet standen. Ihre Häuser wurden abgerissen; Polizisten hätten die Familien mit Kindern angewiesen, nicht zurückzukehren.

Die für das Projekt zuständige NGO Conservation International gab gegenüber dem Guardian an, dass ihr gegenüber versichert worden sei, dass nur unbewohnte Gebäude von den Behörden zerstört wurden.

Den Recherchen zufolge hätten für das Schutzprojekt in Alto-Mayo tatsächlich 720.000 wirksame CO2-Zertifikate vergeben werden können – Verra gab allerdings 7,5 Millionen aus. (hcz)