Neues Gesetz bedroht Meinungsfreiheit in Kirgistan

Parlamentsgebäude in Bischkek, Kirgistan
Das Gesetz sieht auch eine Registrierungspflicht für alle Internetznutzerinnen und -nutzer vor. (Quelle: IMAGO / ITAR-TASS)

Das vom Parlament verabschiedete Gesetz würde es der Regierung Kirgistans ermöglichen, Webseiten ohne Gerichtsbeschluss zu blockieren. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) sieht dadurch die Meinungsfreiheit in dem zentralasiatischen Land mit rund 6,5 Millionen Einwohnern bedroht. Sie fordert Präsident Sadyr Japarov daher auf, das Gesetz nicht zu unterzeichnen.

Das Parlament hatte das Gesetz über “Falschinformationen” am 28. Juli beschlossen. Es sieht vor, dass eine nicht benannte staatliche Stelle die Blockade von Internetseiten veranlassen kann, die als “falsch” oder “ungenau” eingestufte Informationen enthalten. Darunter sollen Äußerungen fallen, die die Ehre und Würde einer Person oder eines Unternehmens verletzen oder deren Ruf untergraben. Tätig werden soll die Behörde nach Beschwerden von Betroffenen.

HRW fürchtet, das neue Gesetz könnte auf Äußerungen angewendet werden, die nicht den Tatbestand der Verleumdung erfüllen. Dieser sei ohnehin schon von bestehenden Gesetzen abgedeckt.

Syinat Sultanalieva, Zentralasien-Forscherin bei Human Rights Watch, kritisierte: “Das neue Gesetz über ‘Falschinformationen’ stellt eine ernsthafte Bedrohung für die freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit in Kirgistan dar und würde den Ruf des Landes im Bereich der Menschenrechte zutiefst beschädigen.” Es ebne den Weg für staatlich gelenkte Zensur und stehe im Widerspruch zu nationalen und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen.

Registrierungspflicht für Internetnutzer

Das Gesetz sieht zudem vor, dass sich sämtliche Internetnutzerinnen und -nutzer in Kirgistan namentlich registrieren lassen. Internetprovider sollen diese Daten an ein staatliches System übermitteln. HRW kritisiert, diese Regelung verletze das Recht auf Privatsphäre und erweitere die Möglichkeiten der Behörden, einzelne Nutzer zu überwachen, zu verfolgen und zu zensieren. Die Organisation befürchtet daher, dass das Gesetz eine abschreckende Wirkung auf Regierungskritiker haben könnte.

Aus dem Gesetz gehe weder hervor, welche staatliche Stelle für dessen Umsetzung zuständig ist, noch seien Strafen festgelegt.

Human Rights Watch wirft dem Parlament außerdem vor, das Gesetz unter Missachtung der Vorschriften zur Gesetzgebung verabschiedet zu haben. Denn bereits im Juli 2020 hatte der damalige Präsident Sooronbai Dscheenbekow sein Veto gegen das geplante Vorgängergesetz eingelegt. Das Parlament hatte sich daraufhin entschieden, einen Vermittlungsausschuss einzuberufen. Dafür hätte es zehn Tage Zeit gehabt – setzte das Vorhaben aber erst über ein Jahr später im Mai 2021 um.

Anwälte der lokalen Medienorganisation Media Policy Institute zeigten sich außerdem besorgt, dass weder Vertreter aus der Zivilgesellschaft noch Medienschaffende eingeladen wurden. Dies sei nach dem Veto des Präsidenten erforderlich gewesen.

Das Gesetz habe Ende Juni im Parlament nicht die nötige Mehrheit erhalten. Letztlich sei es erst verabschiedet worden, nachdem der im Januar gewählte Präsident Japarov Parlamentsabgeordnete in seine Residenz eingeladen hatte: 97 Abgeordnete stimmten danach dafür – nur fünf dagegen.

Autokratische Entwicklung befürchtet

HRW berichtet, das Parlament habe damit zum wiederholten Mal sein Mandat überschritten, um ein weitreichendes Gesetz zu verabschieden, das gegen internationale Menschenrechtsstandards verstößt. Kirgistan habe den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert, der unter anderem das Recht auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit garantiert.

Präsident Japarov ist umstritten: Er ist mehrfach verurteilt und gilt als Anhänger des 2010 gestürzten autoritären Regimes.

Im April wurde zudem eine von Japarov in einem Referendum angestoßene Verfassungsänderung angenommen. Sie gibt dem Präsidenten mehr Macht: So kann er etwa die Vorsitzenden des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichtshofs ernennen und entlassen. Kritiker hatten im Vorfeld vor der Entwicklung hin zu einer Autokratie gewarnt.

Weitere Einschränkung von Medien- und Meinungsfreiheit befürchtet

Die neue Verfassung verbietet auch Veranstaltungen sowie die Verbreitung von Informationen, die “den moralischen und ethischen Werten und dem öffentlichen Bewusstsein des kirgisischen Volkes” widersprechen. Der neue Artikel soll angeblich dem Schutz von Kindern dienen. Human Rights Watch hatte schon im März gewarnt, die Bestimmung sei unvereinbar mit den grundlegenden Menschenrechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Der Begriff des “öffentlichen Bewusstseins des Volkes” sei besorgniserregend, weil er weit gefasst und unzureichend definiert sei – und sich somit missbrauchen lasse.

HRW fordert Präsident Sadyr Japarov nun auf, sein Veto gegen das Gesetz über “Falschinformationen” einzulegen. Die Europäische Union und die USA sollten dem Präsidenten gegenüber ebenfalls ihre Besorgnis über die Bedrohung der Meinungs- und Medienfreiheit zum Ausdruck bringen.

Kirgistan rühme sich damit, dass es im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten mehr Medien- und Meinungsfreiheit gebe. Sultanalieva warnte vor weiteren Einschränkungen, sollte das Gesetz in Kraft treten: “Dieses Gesetz würde Kirgistan auf den Weg bringen, diese Freiheiten zu verweigern.” (js)