Soziale Netzwerke unternehmen zu wenig gegen Antisemitismus
Die großen sozialen Netzwerke versagen weitgehend beim Vorgehen gegen antisemitische Inhalte. Das geht aus einem in der vergangenen Woche veröffentlichten Bericht der Organisation Center for Countering Digital Hate (CCDH) hervor, die sich gegen Hass und Desinformationen im Internet einsetzt. Facebook, Instagram, Twitter, YouTube und TikTok ließen demnach durchschnittlich 84 Prozent der beanstandeten Inhalte online.
Forscherinnen und Forscher des CCDH haben für ihren Bericht “Failure to Protect” zwischen Mai und Juni 2021 insgesamt 714 englischsprachige, antisemitische Beiträge gesammelt und an die Plattformen gemeldet. Diese waren bis dahin insgesamt 7,3 Millionen Mal aufgerufen worden. Das CCDH hat nicht untersucht, wie zuverlässig Algorithmen solche Inhalte automatisiert ausfiltern, sondern wie die Plattformen auf gemeldete Beiträge reagieren. Alle beanstandeten Inhalte hätten dabei klar gegen die Regeln der Netzwerke verstoßen – und eigentlich entfernt werden müssen.
Facebook löscht am wenigsten
Am schlechtesten schnitt Facebook in der Untersuchung ab: Von 129 gemeldeten Beiträgen löschte die Plattform nur 13. Bei acht von ihnen sperrte die Plattform auch gleich den dazugehörigen Nutzer-Account. In einem Fall kennzeichnete Facebook einen Beitrag, der den Holocaust leugnete, als Falschinformation, löschte ihn aber nicht. Dies führe dazu, dass entsprechende Postings weiterhin Hunderttausende Nutzerinnen und Nutzer erreichen, kritisiert CCDH.
Kaum besser sah es bei Twitter aus: Der Kurznachrichtendienst löschte lediglich 15 von 137 Meldungen. TikTok reagierte in 22 von 119 Fällen, Facebooks Bilderplattform Instagram löschte 52 von 277 beanstandeten Beiträgen.
YouTube entfernte 11 von 52 Videos und erreichte mit 21,2 Prozent die höchste Löschquote. Die verbliebenen 41 Videos waren aber im Schnitt bereits sechs Jahre auf der Plattform und waren zusammen rund 3,5 Millionen Mal aufgerufen worden. CCDH fordert, dass Plattformen Hassinhalte selbstständig aufspüren und auf Beschwerden reagieren müssen, bevor diese ein breites Publikum erreichen können.
Verschwörungsmythen und extremistische Inhalte
Die Forschenden haben auch untersucht, wie die Plattformen auf unterschiedliche Arten von antisemitischen Inhalten reagieren: Bei fast einem Drittel der 714 Beiträge handelte es sich demnach um Verschwörungsmythen, beispielsweise mit Bezug auf den US-amerikanischen Investor George Soros. 89 Prozent dieser Beiträge blieben online. Das sei deutlich mehr als in anderen Kategorien.
Doch auch bei “extremistischem Hass gegen Juden” hätten die Plattformen in Dreiviertel der Fälle nichts unternommen. Zu dieser Kategorie zählen die Forscher unter anderem die Leugnung des Holocausts, Aufrufe zur Gewalt gegen Juden, rassistische Karikaturen und Nazisymbolik. Alarmierend sei dabei, dass die Plattformen besonders selten auf Beiträge reagiert hätten, die den Holocaust leugnen oder verharmlosen: Bei 80 Prozent dieser gemeldeten Postings hätten die Plattformen nicht reagiert.
Auf Instagram, TikTok und Twitter seien zudem antisemitische Hashtags erlaubt. Alleine auf Instagram seien unter fünf einschlägigen Hashtags – in verschiedenen Variationen – 350.000 Beiträge auffindbar gewesen.
Der Bericht kritisiert auch Facebooks Umgang mit öffentlichen und geschlossenen Gruppen. Denn viele der an Facebook gemeldeten Inhalte stammten aus solchen Gruppen. Facebook habe bis zum Erscheinen des Berichts keine dieser Gemeinschaften gesperrt.
Plattformregeln verbieten Hassrede
Für die Untersuchung haben sich die Forscher an den Regeln der Plattformen orientiert. Diese verbieten Hasskommentare gegen Personen oder Gruppen aufgrund von Merkmalen wie ethnischer Herkunft, Nationalität oder Religion. Zudem sind Hasssymbole und die Leugnung von Völkermorden nicht erlaubt. Nur Facebook und Instagram erwähnen darüber hinaus explizit gängige Formen von Antisemitismus in ihren Gemeinschaftsstandards.
“Dieser Bericht zeigt, wie Social-Media-Unternehmen versäumen, gegen antijüdischen Hass auf ihren Plattformen vorzugehen. Weil sie ihre eigenen Regeln nicht durchsetzen, sind [sie] zu sicheren Orten für die Verbreitung von Rassismus und Propaganda gegen Juden geworden”, kritisiert CCDH-Chef Imran Ahmed die Anbieter im Vorwort des Berichts.
CCDH fordert die Plattformen auf, mehr Moderatoren einzustellen. Das Beispiel Facebook zeige, dass klare Richtlinien gegen Antisemitismus nicht automatisch zu deren Umsetzung führen. Es brauche dafür entsprechend geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Die sozialen Netzwerke sollten zudem antisemitische Gruppen und Nutzerkonten löschen. Auch der Einsatz von antisemitischen Hashtags müsse unterbunden werden.
Ein Facebook-Sprecher sagte dem Guardian als Reaktion auf den Bericht: “Wir haben zwar Fortschritte bei der Bekämpfung von Antisemitismus auf Facebook gemacht, aber unsere Arbeit ist noch nicht getan.” Auch Twitter und TikTok erklärten, mehr unternehmen zu wollen. YouTube sprach von “erheblichen Fortschritten” in den letzten Jahren; man wolle weiter gegen Hassrede vorgehen. (js)