NGOs klagen gegen Ausländerzentralregister
Gemeinsam mit elf geflüchteten Menschen erhebt die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) Verfassungsbeschwerde gegen das novellierte Gesetz zum Ausländerzentralregister (AZR). Auch Pro Asyl und der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) sind an der Klage beteiligt. Sie kritisieren, das Register verletze grundlegende verfassungsrechtliche und europarechtliche Datenschutzstandards. Betroffen davon sei eine besonders vulnerable Personengruppe, die in Deutschland Schutz vor Krieg und Verfolgung suche.
Mit der Klage soll erreicht werden, dass das Bundesverfassungsgericht die grundrechtlichen Grenzen für die Speicherung von Daten geflüchteter Menschen klar zieht.
Im Ausländerzentralregister werden Personen registriert, die ohne deutsche Staatsbürgerschaft mindestens drei Monate lang in Deutschland leben. Zu den gespeicherten Daten zählen beispielsweise Name, Geburtsdatum und -ort, Geschlecht und Staatsangehörigkeit sowie Fotos. Aber auch teils hochsensible Daten wie Asylbescheide werden gespeichert, die etwa Angaben zur Fluchtgeschichte enthalten können. Daten von EU-Bürgern dürfen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes nur eingeschränkt erfasst werden – beispielsweise werden keine Bilder gespeichert.
Zahlreiche Behördenzugriffe
Laut Bundesinnenministerium waren im Jahr 2020 rund 26 Millionen personenbezogene Datensätze im Ausländerzentralregister gespeichert. Es handle sich um eines der “umfangreichsten automatisierten Register der öffentlichen Verwaltung”, so die GFF. Auf dieses können etwa 16.000 öffentliche Stellen und mehr als 150.000 Mitarbeitende aus deutschen Behörden zugreifen. Neben den Ausländerbehörden zählen dazu auch Jobcenter, Jugendämter, Polizei und Nachrichtendienste. Laut GFF haben Behörden alleine im Jahr 2020 im Schnitt 260.000 Datenabfragen pro Arbeitstag im Register durchgeführt.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich konkret dagegen, dass Asylbescheide und Gerichtsentscheidungen im AZR im Volltext gespeichert werden. Dies ist seit einer Gesetzesänderung der Fall, die im Jahr 2021 beschlossen wurde. Schon damals waren die Änderungen von Expertinnen und Experten kritisiert worden.
Die GFF erklärte, Asylbescheide und Gerichtsentscheidungen enthielten häufig “hochsensible Informationen etwa zur individuellen Verfolgung, politischen Überzeugung oder sexuellen Orientierung”.
Sarah Licoln, Rechtsanwältin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF, konstatierte: “Der Umfang der im Ausländerzentralregister gespeicherten Daten ist völlig unverhältnismäßig. Wofür soll es erforderlich sein, die Asylbescheide mitsamt hochsensiblen Angaben zu Flucht, psychischer Verfassung oder politischer Verfolgung zentral zu speichern und tausenden Behörden zugänglich zu machen?”
Verstoß gegen verfassungs- und europarechtliche Vorgaben
Nach Ansicht der Klagenden verstoßen weite Teile des Ausländerzentralregistergesetzes gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Diskriminierungsverbot und europarechtliche Vorgaben zum Datenschutz. Insbesondere sei die Datensammlung nicht auf ein erforderliches und verhältnismäßiges Maß beschränkt. Die Speicherung von Asylbescheiden verletze dabei “in besonders krasser Weise” das Verhältnismäßigkeitsprinzip – denn in aller Regel seien Entscheidungen im Wortlaut nicht erforderlich und enthielten sensible Daten.
Philipp Braun aus dem Bundesvorstand des LVD a erklärte: “Queere Geflüchtete müssen fürchten, dass künftig zahlreiche Behördenmitarbeitende ihre sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identität und intimste Details ihrer Lebens- und Verfolgungsgeschichte nachlesen können. Das verletzt ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.”
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich außerdem gegen den uneingeschränkten Zugriff von Polizei und Geheimdiensten auf die im Ausländerzentralregister gespeicherten Daten.
Licoln erklärte, bei hunderttausenden Zugriffberechtigten sei es für Geheimdienste aus Verfolgerstaaten oder für rassistische Straftäter mit Verbindungen in deutsche Behörden “ein Leichtes, an das Profil eines Geflüchteten samt Adresse zu gelangen”.
Sie kritisierte: “Geflüchtete suchen in Deutschland Schutz vor Verfolgung. Mit ihren persönlichen Daten müssen wir besonders vorsichtig umgehen. Stattdessen präsentieren wir sie möglichen Verfolgern auf dem Silbertablett.”
Aus Sicht der Organisationen wird durch das Gesetz auch der Grundsatz verletzt, dass Daten nur unter engen Voraussetzungen zweckentfremdet werden dürfen. Denn Sicherheitsbehörden würden auf das Ausländerzentralregister beispielsweise auch zu Zwecken der Gefahrenabwehr zugreifen. Schon bei vagen Verdachtsmomenten sei es für sie möglich, “umfangreiche personenbezogene Daten über eine Person und ihr familiäres und soziales Umfeld abzurufen”.
Die Polizei kann auch sogenannte Gruppenauskünfte einholen – wobei das Register alle Personen mit den jeweils gesuchten Merkmalen ausgibt.
Die Nutzung einer zentralen Datensammlung zu Zwecken der Gefahrenabwehr und Kriminalitätsbekämpfung sei zudem eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Einen sachlichen Grund gebe es dafür nicht, kritisieren die Klagenden. Beide Aufgabenfelder stünden, anders als die Migrationsverwaltung, nicht generell in einem Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeit.
Parallel zur Verfassungsbeschwerde klagen die NGOs gemeinsam mit zwei Geflüchteten vor dem Verwaltungsgericht Ansbach auf Unterlassung der Weitergabe ihrer Daten an Polizei und Geheimdienste.
“Laxer Umgang” mit Daten
Das Ausländerzentralregister existiert bereits seit 1953 – damals noch als Karteikartenregister. Im Jahr 1967 wurde es auf eine automatische Datenverarbeitung umgestellt. Rechtsgrundlage ist das Ausländerzentralregistergesetz, das erst im Jahr 1994 erlassen wurde. Seitdem wurde es mehr als 40 Mal geändert.
In der Kritik steht das Register schon lange. Die GFF hatte es in einer Studie im Jahr 2022 als “Datensammlung außer Kontrolle” bezeichnet und vor dem Missbrauchspotenzial gewarnt.
Auch das Netzwerk Datenschutzexpertise hatte im Jahr 2022 in einem Gutachten festgestellt, das zugrundeliegende Gesetz verstoße gegen das deutsche Grundgesetz, die europäische Grundrechtecharta und gegen die europaweit geltende Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Der Gesetzgeber habe “grundrechtliche und rechtsstaatliche Standards” ignoriert.
Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise hatte damals kritisiert, die Bundesregierung verweigere sich seit über 25 Jahren einer grundlegenden Überarbeitung des Ausländerzentralregisters, “obwohl die verfassungsrechtlichen Mängel von Anfang an bekannt” seien. Das Netzwerk Datenschutzexpertise hatte daher eine Reform des Registers und des zugrundeliegenden Gesetzes gefordert.
Die GFF, Pro Asyl und der LSVD werfen der Bundesregierung vor, das Ausländerzentralregister auch weiterhin “massiv” auszubauen und dabei insbesondere gegenüber Geflüchteten die “grundlegenden Anforderungen des Datenschutzes völlig außer Acht” zu lassen. Auch aktuell plant das Bundesinnenministerium eine erneute Erweiterung des Registers. Der “laxe Umgang” mit Daten von Geflüchteten sei jedoch verfassungswidrig, kritisieren die Organisationen. (js)