Großbritannien: Polizei soll mit Gesichtserkennung nach Ladendieben suchen
Die britische Polizei soll künftig auch bei Ladendiebstählen vermehrt mit Gesichtserkennungstechnik nach Täterinnen und Tätern suchen. Finanziert wird das teils von Einzelhandelskonzernen. Doch es gibt Kritik an dem Vorhaben.
Das britische Innenministerium hatte die als “Project Pegasus” bezeichnete Kooperation in der vergangenen Woche offiziell vorgestellt. Vorgesehen ist unter anderem, dass die Polizei Einsatzfahrten zu Geschäften priorisiert, wenn es bei Ladendiebstählen zu Gewalt gegen Angestellte kommt oder Täter vom Sicherheitspersonal festgehalten werden. An als Brennpunkten für Diebstähle angesehenen Orten soll die Polizei zudem häufiger patrouillieren. Außerdem soll eine neue Polizeieinheit aufgebaut werden, die in der Abteilung für organisierte Beschaffungskriminalität angesiedelt wird.
“Project Pegasus” ist dabei eine Partnerschaft zwischen dem Innenministerium und 13 Einzelhandelskonzernen, darunter Primark, Marks & Spencer und die Supermarktkette Co-op, die gemeinsam finanziert wird. Insgesamt 840.000 britische Pfund an Finanzmitteln haben alle Beteiligten zugesagt – laut BBC zahlen alleine die Einzelhändler fast 800.000 britische Pfund dieser Summe.
Für deutliche Kritik sorgt nun aber, dass die Polizei auch Gesichtserkennungstechnik bei ihren Ermittlungen zu Ladendiebstählen einsetzen soll. Wie das Innenministerium mitteilte, sollen die Einzelhändler Aufnahmen von Überwachungskameras an die Behörde übermitteln. Diese gleiche die Bilder anschließend mithilfe von Gesichtserkennung mit der nationalen Polizeidatenbank ab, um Straftäter zu identifizieren. Einem im Mai erschienen Bericht der Organisation Big Brother Watch zufolge, befinden sich in dieser Datenbank mehr als 16 Millionen Fotos. Diese werden von einzelnen Dienststellen hochgeladen, beispielsweise wenn Personen festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt werden.
Menschenrechtsorganisationen protestieren
Wie der Guardian am Samstag berichtete, haben 14 Menschenrechtsorganisationen – darunter Amnesty International, Liberty und Big Brother Watch – die Handelskonzerne nun aufgefordert, sich aus dem Projekt wieder zurückzuziehen. Sie warnen, bestehende Ungleichheiten könnten durch den Einsatz von Gesichtserkennungstechnik verstärkt werden.
Die Organisationen kritisieren unter anderem, dass Gesichtserkennungssoftware Menschen mit dunkler Hautfarbe häufiger falsch erkennt. Dies könne dazu führen, dass bereits marginalisierte Gruppen eher von der Polizei angehalten und kontrolliert oder von Mitarbeitenden in den Läden während ihrer Einkäufe überwacht werden.
So sind aus den USA beispielsweise mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Schwarze fälschlicherweise Straftaten bezichtigt wurden, nachdem Gesichtserkennungssysteme sie falsch identifiziert hatten.
Die britischen Organisationen fordern außerdem die Regierung auf, das Projekt zu stoppen und stattdessen die Ursachen von Ladendiebstahl zu bekämpfen – aus ihrer Sicht handle es sich dabei in vor allem um Armut und steigende Lebensunterhaltskosten. “Die Realität ist, dass wir uns nicht mit Polizei und Überwachung aus einer Lebenshaltungskostenkrise, niedrigen Löhnen, einem unzureichenden Sozialversicherungssystem, steigenden Wohnkosten und explodierenden Lebensmittelpreisen herauswinden können”, erklärten die NGOs laut Guardian-Bericht.
Wie die BBC berichtet, hat die Polizei in England und Wales zwischen Januar und Juni 2023 insgesamt 365.164 Ladendiebstähle registriert – das sei ein Anstieg von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Zahlen befänden sich damit jedoch weiter unter dem Niveau vor der Corona-Pandemie. Einige Händler sprechen dennoch von einer “Epidemie der Ladendiebstähle”. Berichten zufolge hatte es in diesem Zusammenhang auch wiederholt Kritik an mangelnder Polizeipräsenz gegeben. Aktivisten entgegen jedoch, dass der aktuelle Anstieg der Diebstähle auf steigende Lebenshaltungskosten zurückzuführen sei – Menschen würden aus Verzweiflung stehlen.
NGOs bemängeln fehlende Rechtsgrundlage
Emmanuelle Andrews von der Menschenrechtsorganisation Liberty erklärte gegenüber dem Guardian, der Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie in Supermärkten und anderen Geschäften bedrohe die Rechte von Einzelnen – und habe “auf unseren Straßen und in unseren Geschäften nichts zu suchen”.
Die Aktivisten kritisieren laut Guardian außerdem, dass es keine Rechtsgrundlage für den Einsatz von Gesichtserkennung durch die Polizei gebe. In Südwales habe ein Gericht im Jahr 2020 entschieden, dass der Einsatz der Technik durch die dortige Polizei gegen das Recht auf Privatsphäre verstoßen habe und damit rechtswidrig war.
Der für die britische Polizei zuständige Minister Chris Philp will den Einsatz der Technik hingegen ausweiten: Wie das Innenministerium am Sonntag mitteilte, soll die Polizei bis Mai 2024 die Zahl der Suchen mit nachträglicher Gesichtserkennung verdoppeln, aber auch Live-Gesichtserkennung solle in größerem Umfang eingesetzt werden.
Madeleine Stone von der NGO Big Brother Watch bezeichnete Live-Gesichtserkennung gegenüber dem Guardian als “dystopisches Instrument zur Massenüberwachung”. Die Organisation kritisiert den Einsatz der Technik seit langem. (js)