Niedersachsen: Polizei darf keine Daten von Corona-Infizierten erhalten

Barbara Thiel
Niedersachsens Datenschutzbeauftragte Barbara Thiel sieht keine Rechtsgrundlage, um Gesundheitsdaten an die Polizei zu übermitteln. Quelle: Heike Göttert

Die niedersächsischen Gesundheitsämter dürfen keine Adressdaten von Corona-Infizierten an die Polizei geben. Das hat die Datenschutzbeauftragte des Bundeslandes, Barbara Thiel, am 3. April 2020 entschieden. Patientendaten an die Polizei zu übermitteln sei unverhältnismäßig und verstoße gegen die Datenschutzbestimmungen.

Da die Daten zudem der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen, mache man sich durch die Übermittlung strafbar, teilte die Datenschutzbehörde der Nachrichtenseite Netzpolitik.org mit.

Mehrere Polizeidirektionen in Niedersachsen sollen demnach bereits Adressdaten von Corona-Infizierten erhalten haben. In einem dem NDR vorliegenden Erlass des Sozialministeriums vom 31. März heißt es: “Die Anschriften der unter häuslicher Quarantäne stehenden Personen nach einem positiven Test auf Corona sind seitens der Gesundheitsämter an die Polizei zu übermitteln”. Der Erlass sieht vor, dass die Daten nach Ablauf der Quarantäne gelöscht werden müssen.

Krisenstab hält Regeln für gerechtfertigt

Die stellvertretende Leiterin des niedersächsischen Corona-Krisenstabes, Claudia Schröder, hatte die Regeln gegenüber dem NDR gerechtfertigt: Die Polizei müsse wissen, wer unter Quarantäne steht, um diese aufrechterhalten zu können – etwa bei einem Einsatz gegen eine infizierte Person. Zudem müssten sich Polizeibeamtinnen und -beamte schützen können, wenn sie in einen Haushalt mit Infizierten gerufen werden.

Dem Bericht des NDR zufolge hatte sich das Sozialministerium auf den Paragrafen 41 des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (NPOG) bezogen. Der erlaubt es Verwaltungsbehörden, untereinander personenbezogene Daten zur Gefahrenabwehr auszutauschen. Gegenüber dem NDR sagte die Datenschutzbeauftragte Thiel aber, diese Rechtsgrundlage lasse sich nicht auf Gesundheitsdaten anwenden. Zudem heißt es in dem Schreiben des Ministeriums wohl, dass Thiel an dem Erlass beteiligt war. Dem widerspricht die Datenschutzbeauftragte.

Datenübermittlung soll aufrechterhalten werden

Trotz Thiels Anweisung sollen jedoch weiter Daten an die Polizei fließen. Am 5. April wurde ein Behördenvermerk öffentlich, der zur parlamentarischen Rechtfertigung der Datenübermittlung dienen soll. Hierin wird die Praxis wieder durch das NPOG, aber zusätzlich auch durch das Strafgesetzbuch (StGB) legitimiert.

Paragraf 34 des StGB regelt einen rechtfertigenden Notstand. Wenn sich demnach eine Gefahr “für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut” nicht anders abwenden lässt, dann ist eine daraus entstehende Tat nicht rechtswidrig. Voraussetzung ist, dass “die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden”. In diesem Fall wäre die Tat also die Übermittlung von Daten, die der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen.

Ansteckungsgefahr für Polizisten

So wird in dem Behördenvermerk auch die Schlussfolgerung gezogen, dass “das Offenbaren des Geheimnisses einziges Mittel zum Schutz erheblich höherwertiger Interessen ist”. Dabei geht es auch um die Ansteckungsgefahr für Polizisten: “Diese Interessen sind damit eindeutig höher zu bewerten als das Privatgeheimnis des Patienten”, heißt es weiter.

Kritik kommt von der Piratenpartei Niedersachsen. Diese verweist ebenfalls auf die ärztliche Schweigepflicht und auf Paragraf 203 StGB, nach dem Verstöße gegen diese Schweigepflicht strafbar sind.

“Das bedeutet, dass für jeden Betroffenen entweder ein Gerichtsbeschluss vorliegen muss, oder der Polizist als höherwertiges Rechtsgut angesehen wird, zu dessen Schutz es eigentlich nur der notwendigen Schutzkleidung bedürfte. Mit der Begründung, dass diese fehlt, könnten dann auch Daten von Influenzaerkrankten weitergereicht werden”, so Thomas Ganskow, Vorsitzender der Partei.

Laut Innenministerium werden die Gesundheitsdaten derzeit weiter übermittelt, berichtet die Nachrichtenseite Heise Online. Die Datenschutzbehörde teilte der Nachrichtenseite dazu mit: “Wir halten die weiterlaufende Datenübermittlung für rechtswidrig. Unsere Forderung, die Übermittlung an die Polizei umgehend zu beenden, bleibt bestehen.” Die Voraussetzungen für den rechtfertigenden Notstand sieht die Behörde nicht als erfüllt an.

Weitere Bundesländer gaben Daten an Polizei

Neben Niedersachsen haben in den vergangenen Wochen auch Gesundheitsämter in Bremen, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern Daten von Corona-Patienten in Quarantäne an die Polizei übermittelt, berichtet Netzpolitik.org. Allerdings wurden die Daten in Bremen offenbar mittlerweile wieder gelöscht.

Baden-Württemberg will bis kommende Woche eine Rechtsverordnung erarbeiten, um in Einzelfällen weiter Gesundheitsdaten an die Polizei zu leiten, berichtet der SWR. Auch hier beruft man sich auf die Ansteckungsgefahr für Beamte. Die Daten sollen nach vier Wochen gelöscht werden.

Mit der Ansteckungsgefahr wird die Datenweitergabe auch in Mecklenburg-Vorpommern begründet. In dem Bundesland wird eine Lösung noch diskutiert, aktuell wollen dort nicht alle Städte und Landkreise die Daten an die Polizei übermitteln.

In den übrigen Bundesländern erhält die Polizei keine Daten von Corona-Infizierten. Das hatten die Innenministerien der Länder auf Anfrage von Netzpolitik.org erklärt.

Gesundheitsdaten besonders sensibel

Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder hat sich derweil auf “Datenschutz-Grundsätze bei der Bewältigung der Corona-Pandemie” geeinigt. “Gesundheitsdaten zählen zu den besonders sensiblen Daten”, heißt es darin. Auch in Krisenzeiten dürften personenbezogene Daten nur auf einer gesetzlichen Grundlage verarbeitet werden. (js)