Pilze weiterhin radioaktiv durch Tschernobyl belastet
Auch fast 40 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl können Wildpilze in Deutschland noch radioaktives Cäsium-137 enthalten, das bei der Havarie freigesetzt wurde. Darauf hat das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) am Montag anlässlich der laufenden Waldpilzsaison hingewiesen.
Der Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm könne weiterhin in Pilzen aus Regionen wie Bayern und Oberschwaben überschritten werden. Aus dem nun veröffentlichten Pilzbericht des BfS geht hervor, dass einige Pilzarten im Bayerischen Wald und in angrenzenden Gebieten, sowie in den Alpen und am Alpenrand teils sehr hohe Cäsium-137-Werte aufweisen. Dort hatte sich vor 37 Jahren besonders viel des Gefahrstoffes abgelagert.
Das BfS weist darauf hin, dass von gekauften Pilzen keine Strahlengefahr ausgeht. “Pilze im Handel müssen den Grenzwert für radioaktives Cäsium-137 von 600 Becquerel pro Kilogramm einhalten”, erklärte BfS-Präsidentin Inge Paulini. Auch Zuchtpilze wie Champignons und Austernseitlinge könnten bedenkenlos gegessen werden. Die Substrate, in denen sie wachsen, enthielten nur geringe Mengen Cäsium-137.
Wer allerdings selbst Pilze sammelt, sei nicht geschützt. Paulini rät daher dazu, sich vor dem Pilzgenuss zu informieren und selbst gesammelte Wildpilze vor allem in den genannten Gebieten nur in Maßen zu verzehren. “Der gelegentliche Verzehr höher belasteter Pilze führt zwar nur zu einer geringen zusätzlichen Strahlendosis. Sie lässt sich aber leicht vermeiden, wenn man potenziell besonders hoch belastete Pilzarten im Wald stehen lässt”, rät die BfS-Präsidentin.
Auf die Sorte kommt es an
Dem BfS zufolge sind aber auch in diesen Gebieten nicht alle Pilzarten gleich stark mit radioaktiven Stoffen belastet. Grenzwertüberschreitende 1000 Becquerel pro Kilogramm wurden beispielsweise bei verschiedenen Schnecklingsarten und Trompetenpfifferlingen gemessen. In den vergangenen drei Jahren hat die Behörde bei einigen Waldpilzsorten wie etwa dem Semmelstoppelpilz oder dem Rotbraunen Semmelstoppelpilz sogar über 4000 Becquerel pro Kilogramm Frischmasse festgestellt.
Zahlreiche andere Pilzarten wiesen hingegen selbst an den stärksten kontaminierten Standorten Werte von weniger als 10 Becquerel pro Kilogramm auf. Diese könnten aus Sicht des Strahlenschutzes “bundesweit bedenkenlos in beliebiger Menge verzehrt werden”.
Eine erwachsene Person, die jede Woche 200 Gramm Pilze mit 2000 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm verzehrt, nehme pro Jahr eine zusätzliche Strahlendosis von 0,27 Millisievert auf. “Das ist etwa so viel wie bei rund 20 Flügen von Frankfurt am Main nach Gran Canaria”, erklärt das Bundesamt.
Ein Aufzählung der – aus Sicht des Strahlenschutzes – unbedenklichen Pilzarten findet sich in der Mitteilung der Behörde.
Das BfS hat für seinen Bericht 165 Pilzarten untersucht, die an ausgewählten Standorten in Süddeutschland gesammelt wurden. Die Untersuchung findet jährlich statt.
Langlebiges Erbe
Auch das Umweltinstitut München hatte Anfang August vor Radioaktivität in Pilzen gewarnt. Die anhaltende Belastung von Waldprodukten erklärt sich der Organisation zufolge mit den speziellen Eigenschaften des Waldbodens. “Während Caesium-137 auf landwirtschaftlichen Flächen bereits in tiefere Bodenschichten ausgewaschen wurde oder an Minerale gebunden ist, hält sich im Wald der radioaktive Stoff länger und wird vom weit verflochtenen Myzel einiger Pilzsorten stark aufgenommen”, hatte Hauke Doerk, Referent für Radioaktivität am Umweltinstitut, erklärt. Risikogruppen wie Schwangere, Stillende und gesundheitlich gefährdete Menschen sollten generell lieber zu Zuchtpilzen greifen, rät das Umweltinstitut.
Zudem verringere sich die Belastung durch Cäsium-137 nur langsam, da die Halbwertszeit 30 Jahre beträgt. Immerhin bedeutet das auch, dass sich die Menge des damals abgelagerten Stoffes seit 1986 mehr als halbiert hat.
Auch die Messergebnisse des Umweltinstituts zeigten starke Schwankungen innerhalb von Regionen. Dies liege an den teils sehr kleinräumigen schauerartigen radioaktiven Regenfällen, die nach der Katastrophe 1986 niedergegangen waren.
Welche Gebiete seit der Havarie besonders stark belastet waren und sind, stellt das Umweltinstitut auf einer interaktiven Karte dar. Das Institut bietet von August bis Oktober kostenlos die Möglichkeit an, private Proben von Pilzen, Waldbeeren oder Wildfleisch auf deren radioaktive Belastung zu überprüfen. Denn auch Tiere wie etwa Wildschweine, die sich von belasteten Waldfrüchten ernähren, können viel Cäsium-137 aufnehmen.
Cäsium-137 ist ein radioaktives Isotop des Elements Cäsium, das nicht in der Natur vorkommt. Es entsteht unter anderem während der Kernspaltung in Atomkraftwerken. (hcz)