Reporter ohne Grenzen verklagt Facebook
Reporter ohne Grenzen (ROG) hat in Paris Klage gegen Facebook eingereicht, wie die Organisation am Dienstag mitteilte. ROG wirft dem sozialen Netzwerk betrügerische Geschäftspraktiken im Umgang mit Desinformationen und Hassrede vor: Facebook verspreche rechtsverbindlich ein sicheres digitales Umfeld. Trotzdem lasse die Plattform zu, dass sich Falschinformationen zur Corona-Pandemie sowie Hasskommentare und Drohungen gegen Medienschaffende ungehindert verbreiten.
Die Klage wurde in Frankreich eingereicht, da Verbraucherinnen und Verbraucher dort über starke Mittel verfügen, ihre Rechte einzuklagen. Verletzungen des Verbraucherschutzes können neben erheblichen Geldstrafen auch Haftstrafen für die Verantwortlichen nach sich ziehen.
Reporter ohne Grenzen verweist auf Facebooks Nutzungsbedingungen: In diesen untersagt das Unternehmen, Inhalte zu teilen, die “rechtswidrig, irreführend, diskriminierend oder betrügerisch” sind. In den Gemeinschaftsstandards verpflichtet sich das Unternehmen zudem, “die Verbreitung von Falschmeldungen auf Facebook zu reduzieren”.
Facebook hält Versprechen nicht
Anhand von Expertenanalysen, Zeugenaussagen und Zitaten ehemaliger Facebook-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter will ROG nachweisen, dass diese verbindlichen Zusagen größtenteils nicht eingehalten werden. Desinformationen würden sich auf der Plattform teils Monate nach Veröffentlichung noch ohne Kennzeichnung oder Einordnung verbreiten. Hasskommentare gegen Journalistinnen und Journalisten habe das Unternehmen nicht entfernt, obwohl diese Auswirkungen auf die Sicherheit der Betroffenen haben könnten.
Im Hinblick auf die Bekämpfung von Hass im Netz liefert ROG zwei im französischen Rechtssystem übliche gerichtliche Feststellungsprotokolle: So hat die Organisation dutzende Kommentare dokumentiert, die im September 2020 auf der Facebook-Seite des französischen Satiremagazins “Charlie Hebdo” gepostet wurden und Beleidigungen, Drohungen oder Aufrufe zur Gewalt gegen das Magazin und seine Mitarbeiter enthielten.
Außerdem hat die Organisation auf Facebook veröffentlichte Hasskommentare und Drohungen gegen Journalisten der französischen Fernsehsendung “Quotidien” sowie Hassbotschaften gegen die Regionalzeitung “L’Union” protokolliert. Ein Fotograf der Zeitung wurde im Februar 2021 angegriffen und schwer verletzt.
“Am wenigsten sichere” Plattform
Weitere Klagedokumente sollen zeigen, wie wenig Facebook gegen Beiträge mit Desinformationen zu Covid-19 unternimmt. Alleine fünf Postings eines als verschwörungstheoretisch eingestuften Films seien innerhalb von zwei Monaten mehr als 4,5 Millionen Mal angesehen worden.
Reporter ohne Grenzen verweist hier auch auf die Organisation First Draft, die gegen Fake News vorgeht. Sie hatte Facebook im November als “Drehscheibe für Impfstoff-Verschwörungstheorien” im französischsprachigen Raum bezeichnet. Im Dezember erklärte die UNESCO, Facebook sei die “am wenigsten sichere” Social-Media-Plattform.
Facebook hatte Anfang 2021 in einer französischen Werbekampagne behauptet, “präzise Informationen in Echtzeit zu bieten, um die Pandemie besser zu bekämpfen”. In den Anzeigen habe das Unternehmen auch erklärt, mit Regierungen und internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten, um “zuverlässige Informationen über Covid-19 zu teilen”.
Die Klage richtet sich sowohl gegen Facebook Frankreich, als auch gegen den europäischen Hauptsitz des Unternehmens in Irland.
Starker Verbraucherschutz
ROG will mit der Klage aufzeigen, dass Facebook nicht genügend Verantwortung für die gesellschaftlichen Folgen seines Handelns übernimmt. Für Frankreich als Gerichtsstand habe man sich entschieden, da das dortige Verbraucherschutzstrafrecht besonders starke Mittel enthalte, um Verbraucherrechte einzuklagen. In Frankreich gelte eine Geschäftspraxis als betrügerisch, “wenn sie auf falschen Behauptungen, Aussagen oder Darstellungen beruht oder geeignet ist, irrezuführen”, insbesondere im Hinblick auf “die wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung” oder “den Umfang der Versprechen des Werbenden”. Ein solches Vergehen könne mit einer Geldstrafe von bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes geahndet werden.
Reporter ohne Grenzen verspricht sich von einem Erfolg weitreichende Konsequenzen, da die Facebook-Nutzungsbedingungen weltweit identisch sind. Die Organisation erwägt daher, auch in anderen Ländern ähnliche Klagen einzureichen. (js)