USA: Amazon-Angestelle müssen Überwachung zustimmen

Amazon Lieferwagen
Amazons Fahrer werden über den gesamten Arbeitstag hinweg beobachtet. (Quelle: IMAGO / ZUMA Wire)

Der Versandhändler Amazon baut die Überwachung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter aus: In den USA mussten Lieferwagenfahrer nun schriftlich einwilligen, sich während der Arbeit mit Kameras, Sensoren und KI-Analyse überwachen zu lassen. Das in die Lieferfahrzeuge eingebaute System soll die Angestellten auch per Gesichtserkennung identifizieren und automatisch in ihr Fahrerkonto einloggen.

Die Journalistin Lauren Kaori Gurley veröffentlichte einen Screenshot der digitalen Einverständniserklärung auf Twitter. In dieser heisst es, dass die Lieferfahrzeuge mit GPS-Geräten zur Erfassung des Standorts ausgestattet werden könnten. Zudem müssten die Fahrer mit Kameras für Video- und Fotoaufnahmen und nicht weiter definierten “Sensoren” rechnen. Diese erfassen unter anderem die Geschwindigkeit, Beschleunigung, Bremsmanöver und Kurvenfahrten.

Die Fahrzeuge würden sowohl von innen als auch außen mit Videokameras ausgestattet. Das System nimmt auf, sobald der Motor läuft und schaltet sich erst wieder ab, wenn er für 20 Minuten ausgeschaltet war. Den Einbau der Kameras des kalifornischen Herstellers Netradyne hatte Amazon im Februar angekündigt, um kurz darauf damit zu beginnen.

Die Fahrerinnen und Fahrer mussten bis zum 23. März schriftlich ihr Einverständnis geben. Laut Gurley werden Mitarbeiter entlassen, die nicht unterschrieben haben. In den USA sind 75.000 Angestellte von den neuen Überwachungsmaßnahmen betroffen. Die meisten der Fahrer sind nicht direkt bei Amazon angestellt, sondern bei Partnerlogistikunternehmen. Diese müssen sich aber an die Amazon-Vorgaben halten.

Vollüberwachung

Welche Daten gesammelt werden und wie Amazon die Informationen nutzt, hat der Konzern in einem Dokument zusammengefasst. Dort heißt es, dass das System beispielsweise feststellen könne, ob gegen Verkehrsregeln verstoßen wird. Etwa, wenn der Sicherheitsgurt nicht angelegt wurde oder der Fahrer das Geschwindigkeitslimit nicht einhält. Auch nehme das System wahr, ob der Fahrer abgelenkt oder schläfrig ist – eine Kamera ist stets auf Gesicht und Körper gerichtet.

Welche Daten tatsächlich gesammelt werden, unterscheidet sich laut The Verge von Wagen zu Wagen und sei davon abhängig, welche Überwachungsgeräte im jeweiligen Fahrzeug installiert sind. Amazons Lieferwagenflotte umfasst rund 30.000 Fahrzeuge. Wie viele davon bereits mit der neuen KI-Technik ausgestattet sind, ist unbekannt.

Laut Dokument speichert Amazon die hochsensiblen biometrischen Daten der Fahrer für maximal 30 Tage.

“Wir geben schon unser Bestes”

Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters bezeichnete ein betroffener 22-jähriger Fahrer Anfang März die installierten Kameras als “Eingriff in die Privatsphäre”. “Wir sind hier draußen und arbeiten den ganzen Tag und geben schon unser Bestes,” beschrieb er die Situation. Die Kameras seien nur eine weitere Möglichkeit, die Fahrer zu kontrollieren.

Ebenfalls Anfang März kommentierte Evan Greer, stellvertretende Leiterin der gemeinnützigen Organisation Fight for the Future: “Dies scheint die größte Ausweitung der Unternehmensüberwachung in der Geschichte der Menschheit zu sein. Wenn dies zur Norm wird, sprechen wir über das Aussterben der menschlichen Privatsphäre.”

Der Betreiber eines Lieferunternehmens im pazifischen Nordwesten der USA schilderte dem Online-Magazin Vice, dass er einen Angestellten tatsächlich entlassen musste, weil er oder sie die Einverständniserklärung nicht unterschreiben wollte. “Es ist ein herzzerreißendes Gespräch, wenn Ihnen jemand sagt, dass Sie seine Lieblingsperson sind, für die er je gearbeitet hat, aber Amazon ihn einfach zu sehr gängele”, berichtete der Vorgesetzte.

Amazons Rechtfertigung

Amazon selbst begründet die umfassende Überwachung in der Einverständniserklärung damit, dass es mit der Technik für die Angestellten einfacher werde, die Pakete “sicher und wohlbehalten” (“safely and securely”) auszuliefern. Außerdem soll die “Qualität der Auslieferungs-Erfahrung” für die Lieferpartner (wie Logistikunternehmen) und Kunden gesteigert werden.

“Das erste, was sie (Amazon) tun sollten, um die Sicherheit zu verbessern, wäre, nicht so unverschämte Lieferquoten zu haben, die die Leute in unsichere Bedingungen zwingen”, sagte Greer gegenüber Reuters. Sicherheitsprobleme könnten durch eine Verlangsamung des Arbeitstempos angegangen werden.

Doch Amazon geht es auch um das Sammeln von Daten: In der Einverständniserklärung heißt es, auch die Geschäftspartner des Online-Händlers wie die arbeitgebenden Logistikunternehmen sollten von den gesammelten Daten profitieren. Diese würden “alarmiert”, wenn Ablenkungen vom Fahren festgestellt wurden – beispielsweise, wenn ein Fahrer während der Fahrt das Smartphone nutzt.

Laut Greer gibt es in den USA keine Gesetze, die “bedeutsam einschränken, was Amazon mit dem gesammelten Filmmaterial machen kann”.

Ob ähnliche Pläne seitens Amazon hierzulande bestehen, ist bislang unbekannt.

Überwachung gehört zur Firmenkultur

Erst Mitte Februar hatte der US-Nachrichtensender CNBC über eine App berichtet, die Amazons Lieferanten installieren müssen. Das Programm “Mentor” muss dauerhaft während der Arbeitszeit auf einem Mobilgerät laufen und überwacht das Fahrverhalten der Angestellten. Ähnlich wie das nun bekannt gewordene System erfasst Mentor Ereignisse wie Kurvenfahrten, Bremsmanöver und den Standort des Fahrzeugs.

Aus den erfassten Daten generiert das Programm eine Punktwertung, die das Fahrverhalten des Angestellten widerspiegeln soll. Bei schlechten Bewertungen drohen Fahrern und ihren arbeitgebenden Lieferunternehmen Sanktionen. Die App soll schon seit mehreren Jahren im Einsatz sein, auch in Deutschland.

Fahrer berichteten dem US-Sender, dass Mentor unzuverlässig funktioniere und Bewegungen falsch interpretiert. Es würde immer wieder Fehlbewertungen vornehmen, weil beispielsweise das Smartphone bewegt wurde. Zudem erfasse Mentor die Verkehrssituation nicht vollumfänglich. Sie bewerte beispielsweise eine Notbremsung negativ, auch wenn sie nicht selbstverschuldet war, sondern notwendig, um Fußgängern auf der Straße auszuweichen. (hcz)