Russland erklärt kremlkritischen Sender zu unerwünschter Organisation
Russland hat den unabhängigen Online-Sender “TV Rain” (alias “Doschd” oder “Dozhd”) auf die Liste sogenannter unerwünschter Organisationen gesetzt. Russische Bürger, die weiterhin mit dem Medium zusammenarbeiten oder Geld überweisen, droht nun eine Haftstrafe von bis zu sechs Jahren. Das berichtete unter anderem Human Rights Watch am Freitag. Um Unterstützer und Zuschauer aus Russland nicht zu gefährden, kündigte TV Rain an, keine Spenden mehr aus Russland anzunehmen und Abonnements von Russinnen und Russen zu kündigen. Auch steht es nun unter Strafe, Inhalte des Senders auf anderen russischen Plattformen oder Webseiten zu verlinken.
Die russische Generalstaatsanwaltschaft hatte dem Sender in seiner Entscheidung vergangene Woche vorgeworfen, die russischen Behörden “diskreditiert”, “falsche Informationen” über den Krieg verbreitet, “ausländische Agenten” unterstützt und Inhalte anderer “unerwünschter” Medien zitiert zu haben.
Dozhd-Chefredakteur Tikhon Dzyadko erklärte gegenüber der russischsprachigen Nachrichtenseite Meduza, man habe die Entscheidung bereits erwartet. “Der einzige Zweck dieser Entscheidung besteht darin, dem Kanal Spenden zu entziehen, unseren Zugang zu Rednern einzuschränken und unsere Zuschauer einzuschüchtern”, so Dzyadko.
TV Rain erklärte: “Wir wurden als ‘unerwünscht in Russland’ bezeichnet, aber das sind wir nicht: 13 Millionen Zuschauer in Russland im letzten Monat bestätigen das.” Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge können die Menschen in Russland TV Rain via YouTube schauen – auch die neue Einstufung ändere nichts daran. Bislang ist die Google-Plattform in dem Land weiterhin erreichbar und eine wichtige Quelle unabhängiger Informationen in Russland.
Gegen unerwünschte Berichterstattung
Auf der Liste unerwünschter Organisationen finden sich bereits viele weitere unabhängige, regierungskritische Medien wie Meduza, IStories und Novaya Gazeta Europe. Die meisten haben ihre Redaktionen mittlerweile von Russland ins Ausland verlegt, weil den Mitarbeitenden sonst Gefängnisstrafen gedroht hätten.
Unter anderem dürfen Inhalte dieser Medien in Russland nicht geteilt oder veröffentlicht werden. Human Rights Watch zufolge sind zwischen 2022 und 2023 mindestens fünf Personen wegen der Veröffentlichungen von Inhalten “unerwünschter” Medien verurteilt worden; zwei weitere Verfahren seien anhängig.
“Die Einstufung von Doschd als ‘unerwünscht’ bedeutet ein komplettes Verbot des Senders in Russland”, erklärte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF), gegenüber Posteo. Der Schritt zeige, dass der Kreml im Kampf gegen unabhängige Informationen auch weiterhin jedes Mittel nutzt. Die Organisation forderte am Mittwoch eine Rücknahme der Einstufung. “Doschd ist keineswegs unerwünscht, wie Millionen Zuschauer jeden Tag zeigen”, so RSF.
Zuvor hatten die russischen Behörden bereits die Gründerin von TV Rain, Natascha Sindeewa zur “ausländischen Agenten” erklärt.
Mitarbeiter in Gefahr
Seit seiner Gründung im Jahr 2010 setzt Doschd, auf Deutsch “Regen”, dem russischen Staatsfernsehen eine unabhängige Stimme entgegen. 2014 wurde TV Rain aus den russischen Kabelsendernetzwerken entfernt und war seitdem weitgehend nur noch über das Internet in dem Land verfügbar. In Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine hatte die russische Kommunikationsaufsichtsbehörde Roskomnadzor im März 2022 dann bekanntgegeben, die Webseite von TV Rain zu blockieren. Sie warf dem Medium vor, “absichtlich falsche Informationen über die Aktionen russischer Militärangehöriger” verbreitet zu haben.
Chefredakteur Dzyadko und weitere führende Redaktionsmitglieder verließen im Zuge der staatlichen Online-Sperre im März 2022 Russland. “Nach der illegitimen Blockierung der Internetseite von Doschd, des Doschd-Accounts in einer Reihe sozialer Netzwerke und Drohungen gegen einige Mitarbeiter ist augenscheinlich, dass die persönliche Sicherheit von einigen von uns in Gefahr ist”, erklärte Dzyadko damals.
Zuvor waren laut RSF etliche Journalisten im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung über den Krieg verhaftet worden. Am 3. März 2022 strahlte der Sender seine letzte Sendung aus Moskau aus.
Juristische Mittel wirkungslos
Seitdem arbeiten die russischen Journalistinnen und Journalisten vom Ausland aus, unter anderem in Amsterdam, Paris und Tiflis.
Ob TV Rain die Entscheidung der russischen Behörden juristisch anfechten wird, ist laut Chefredakteur Dzyadko noch nicht entschieden. Viele Betroffene hätten bereits versucht, vor Gericht ähnliche staatliche Anordnungen anzufechten. Sie hätten dann nur die gleichen vagen Formulierungen erhalten, die zuvor das Justizministerium zu den Fällen getätigt hatte. In dem aktuellen Fall lägen auch dem Sender selbst bislang nur die abstrakt gehaltenen Aussagen vor, die in der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft zu lesen sind. (hcz)