US-Senatoren kritisieren KI-System zur Erkennung von Schüssen

ShotSpotter auf Bildschirmen der Polizei in Chicago
Mehrere Städte in den USA wollen ShotSpotter wieder abschaffen – und begründen den Schritt teils mit ernsthaften Problemen der Technik. (Quelle: IMAGO / ZUMA Wire)

Das US-amerikanische Department of Homeland Security soll seine Finanzierung des Schusserkennungssystems “ShotSpotter” untersuchen – und prüfen, ob der Einsatz der umstrittenen Überwachungstechnik zu Bürgerrechtsverletzungen geführt hat. Das fordern US-amerikanische Senatoren in einem Brief an das Ministerium, auf den die Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) am Montag aufmerksam gemacht hat.

Die Firma SoundThinking verkauft ihr System ShotSpotter an Ermittlungsbehörden, die damit Schüsse im öffentlichen Raum erkennen wollen. Zu diesem Zweck werden Mikrofone beispielsweise an Laternen befestigt, um verdächtige Geräusche zu erfassen. Mithilfe von Algorithmen soll das System dann analysieren, ob es sich tatsächlich um Schüsse oder um andere Geräusche wie Feuerwerkskörper handelt. Meint das System, Schüsse erkannt zu haben, wird die Polizei alarmiert.

Wie die Senatorin Elizabeth Warren, die Senatoren Ed Markey und Ron Wyden sowie die Abgeordnete des Repräsentantenhauses, Ayanna Pressley, in ihrem Brief an den Generalinspektor des Ministeriums schreiben, stellt das Department of Homeland Security Kommunen “erhebliche” Finanzmittel für den Einsatz des Systems zur Verfügung. Sie fordern das Ministerium auf, zu untersuchen, ob es sich um eine “angemessene Verwendung von Steuergeldern” handle.

Ungenaue Erkennung

In dem Brief heißt es, SoundThinking verspreche eine sehr geringe Fehlerquote. Doch es gebe erhebliche Zweifel an der Genauigkeit und Zuverlässigkeit des Schusserkennungssystems.

Die Verfasser des Briefes verweisen unter anderem auf eine aktuelle Untersuchung der American Civil Liberties Union Massachusetts (ACLUM). Darin heißt es: “ShotSpotter ist eine unzuverlässige Technologie, die eine erhebliche Bedrohung für die Bürgerrechte und die bürgerlichen Freiheiten darstellt.” Betroffen seien fast ausschließlich Menschen in Wohnvierteln, die ohnehin ständig überwacht würden.

Die Bürgerrechtsorganisation hat mehr als 1300 Berichte der Polizei von Boston überprüft. Demnach haben die Beamten in fast 70 Prozent der von ShotSpotter ausgegebenen Warnungen keinerlei Hinweise auf Schüsse gefunden. In einem Fall sei sogar eine Warnung durch eine Piñata auf einer Geburtstagsfeier ausgelöst worden – eine mit Süßigkeiten gefüllte, traditionelle Figur, die häufig aus Pappmaché hergestellt und mit Stöcken zerschlagen wird.

Auch in Cambridge, ebenfalls im US-Bundesstaat Massachusetts, sei schon früher über eine Fehlerquote von etwa 82 Prozent berichtet worden.

Manipulierte Daten

Eine Recherche der Nachrichtenagentur AP hatte 2021 ebenfalls ergeben, dass ShotSpotter tatsächlich abgegebene Schüsse nicht erkenne oder andere Geräusche als Schüsse einordne. Zudem könnten Angestellte die Ursache eines Geräusches ebenso manuell verändern wie den Ort, wo diese erfasst wurden. Laut der AP-Recherche war in Chicago im Jahr 2020 ein Mann aufgrund solch manipulierter Daten fälschlicherweise unter Mordverdacht geraten. Er wurde festgenommen und erst nach elf Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen. Nachdem die Staatsanwaltschaft die ShotSpotter-Analyse als Beweismittel zurückgezogen hatte, wurde das Verfahren eingestellt.

Die Probleme mit ShotSpotter hätten Folgen für die Strafverfolgung und die Prävention von Waffengewalt, kritisieren die Senatoren. Sie verweisen auf eine Studie des Journal of Public Health aus dem Jahr 2021, wonach es kosteneffizientere Wege gibt, Schusswaffengewalt zu reduzieren.

Zudem gebe es Bedenken hinsichtlich Bürgerrechtsverletzungen und Diskriminierung. SoundThinking zufolge teilen die Polizeidienststellen dem Unternehmen mit, welches Gebiet sie mit ShotSpotter überwachen wollen – die genauen Standorte der Sensoren würden aber geheimgehalten.

Überwachte Stadtteile

Das US-Magazin Wired hatte jedoch Anfang des Jahres eine Liste von Sensoren-Standorten veröffentlicht – die vom Anbieter des Systems bestätigt wurde. Demnach sind die Sensoren vor allem in Stadtteilen mit einer ärmeren und mehrheitlich nicht-weißen Bevölkerung verbaut. Bürgerrechtler kritisieren schon lange, dass Betroffene unbegründeten Polizeieinsätzen ausgesetzt seien, nur weil die Sensoren in ihrer Gegend installiert sind. Die Senatoren fordern das Department of Homeland Security daher auch auf, mögliche Bürgerrechtsverletzungen durch die Technik zu untersuchen.

Auch die ACLUM-Untersuchung bestätigt, dass ShotSpotter-Warnungen bereits zu unrechtmäßigen Verhaftungen und vermehrten Polizeikontrollen geführt haben. Die EFF warnt, es könne zu gefährlichen Situationen kommen, weil die Polizei bei Schusswarnungen beispielsweise mit gezogenen Waffen an den vermeintlichen Tatorten auftauche. In Chicago sollen Beamte Anfang des Jahres sogar auf einen Jugendlichen geschossen haben, nachdem die Technik Feuerwerkskörper für Schüsse gehalten hatte – der Jugendliche soll unverletzt geblieben sein.

Ein früherer Fall aus Chicago ging hingegen nicht so glimpflich aus: Im Jahr 2021 hatte die Polizei bei ihrem Einsatz nach einem ShotSpotter-Alarm einen 13-Jährigen erschossen. Laut dem Bürgermeister von Chicago, Brandon Johnson, hatte die Technik in diesem Fall eine “entscheidende Rolle” gespielt. Die Stadt hat ihren Vertrag mit SoundThinking inzwischen gekündigt – er läuft im September aus. Auch andere Städte sind laut dem Senatoren-Brief diesem Beispiel gefolgt und haben ihre Verträge gekündigt.

Die Bürgerrechtsorganisation EFF fordert das Department of Homeland Security auf, den Einsatz der Überwachungstechnik nicht weiter zu fördern. Es gebe zudem immer mehr Gründe die dafür sprächen, dass Städte das System abschaffen sollten. Die Organisation warnt, die Technik gefährde Menschenleben, beeinträchtige die Privatsphäre und habe diskriminierende Auswirkungen. (js)