Skandal um Softwarefehler: Britische Postmitarbeiter sollen Entschädigung erhalten
In Großbritannien wurden Hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Post zwischen 1999 und 2015 fälschlicherweise strafrechtlich verfolgt. Ihnen war Diebstahl oder Betrug vorgeworfen worden. Tatsächlich aber waren Softwarefehler Schuld. Nun ist der Skandal auch Thema in der Politik – wegen einer TV-Serie.
“Dies ist einer der größten Justizirrtümer in der Geschichte unseres Landes”, sagte der britische Premierminister Rishi Sunak in der vergangenen Woche im Parlament in London. “Die Leben und der Ruf von Menschen, die hart gearbeitet haben, um ihren Gemeinden zu dienen, wurden ohne eigenes Verschulden zerstört. Die Opfer müssen Gerechtigkeit und Entschädigung erhalten.”
Hintergrund dieser Äußerungen ist der sogenannte Post-Office-Skandal, der auch als Horizon-Skandal bezeichnet wird. Horizon ist der Name einer Buchhaltungssoftware des japanischen Herstellers Fujitsu, die vom Staatskonzern Post Office, der die Postfilialen in Großbritannien betreibt, im Jahr 1999 eingeführt wurde.
Durch Fehler in der Software wies die Bilanz in einigen Filialen Fehlbeträge auf. Laut der BBC betrugen diese Fehlbeträge teils mehrere Tausend Pfund. Filialleiterinnen und -leiter hätten sich schon damals über die Fehler beschwert. Einige hätten auch versucht, die Lücken mit ihrem eigenen Geld zu stopfen, weil in ihren Verträgen festgelegt war, dass sie für etwaige Differenzen verantwortlich waren.
Mehr als 700 Verurteilungen
Die britische Post hatte Tausenden Filialbetreibern Betrug, Diebstahl oder Unterschlagung vorgeworfen. Hunderte wurden zwischen den Jahren 1999 und 2015 strafrechtlich verfolgt – und mehr als 700 auch verurteilt.
Einige der Verurteilten mussten ins Gefängnis. Andere wurden zu gemeinnütziger Arbeit oder dem Tragen von elektronischen Fußfesseln verpflichtet. Viele hatten nach ihrer Verurteilung mit finanziellen Problemen zu kämpfen oder waren sogar zahlungsunfähig.
Betroffene haben auch von zerstörten Ehen berichtet. Einige Familien führen zudem gesundheitliche Probleme, Abhängigkeiten und vorzeitige Todesfälle auf den durch die Verfahren entstandenen Stress zurück. Und auch mindestens vier Suizide werden mit dem Skandal in Verbindung gebracht.
Bekannt ist der Fall eigentlich schon lange: Das Computermagazin Computer Weekly hatte etwa bereits im Jahr 2009 über Softwarefehler bei der Post berichtet. Und der britische High Court hatte im Jahr 2019 festgestellt, dass Computerfehler und nicht Straftaten die Ursache für die Fehlbeträge waren. Bis heute wurden jedoch nur 93 der Verurteilungen aufgehoben; ein Teil der Betroffenen erhielt Entschädigungszahlungen.
“Mr Bates vs The Post Office”
Dass der Skandal nun wieder große Aufmerksamkeit erlangt, liegt an der Anfang Januar ausgestrahlten Serie “Mr Bates vs The Post Office” des Senders ITV, die für einen öffentlichen Aufschrei sorgte. Die Regierung geriet so unter Handlungsdruck.
Nun will die britische Regierung ein Gesetz verabschieden, um alle Verurteilungen aufzuheben und den Betroffenen finanzielle Entschädigungen zukommen zu lassen.
Die Ankündigung stieß auf überwiegend positive Reaktionen. Der ehemalige Postangestellte Chris Head sagte laut Guardian, es handle sich um eine “fabelhafte Neuigkeiten”. Er fügte aber auch hinzu: “Aber wieso bedurfte es eines öffentlichen Aufschreis, damit die Regierung keine andere Wahl hatte, als zu handeln? Die Geschichte ist seit 20 Jahren bekannt. Wir hätten uns schon viel früher damit befassen können.”
Kritik gibt es auch, weil verantwortliche Postmitarbeiter bisher nicht rechtlich zur Verantwortung gezogen wurden. Allerdings ermittelt die Polizei nun in dem Fall. Und die ehemalige Postchefin Paula Vennells hat in Folge des Skandals ihren königlichen Orden zurückgegeben.
Unterdessen setzt auch ein im Jahr 2020 eingerichteter Untersuchungsausschuss seine Arbeit fort. Fujitsu-Europa-Chef Paul Patterson, erklärte dort in dieser Woche, sein Unternehmen habe eine “moralische Verpflichtung”, sich an den Entschädigungen zu beteiligen – und gab auch zu, dass Fujitsu seit den 1990er Jahren von Fehlern im Horizon-System wusste.
Auch die britische Post war offenbar früh informiert. Wie der Guardian berichtet, hatten Filialbetreiber bereits im Jahr 1999 nach einem Testbetrieb von Horizon auf Probleme aufmerksam gemacht – und vor einer möglichen “Tragödie” gewarnt. Zu diesem Zeitpunkt kam die Software noch nicht im gesamten Filialnetz zum Einsatz.
Die Horizon-Software wird aber auch heute noch in den Postfilialen verwendet – Post Office beschreibt die aktuelle Version als “robust”. In Zukunft soll das Programm jedoch durch ein neues System ersetzt werden. (js)