Regierungen in Lateinamerika nutzen zunehmend Gesichtserkennung

Überwachungskamera
Access Now sieht die Öffentlichkeit durch die Überwachungstechnologien einem inakzeptablen Risiko ausgesetzt. (Quelle: Pixabay)

In Argentinien, Brasilien und Ecuador setzen Behörden vermehrt Überwachungstechniken wie Gesichtserkennung ein. Das geht aus einem neuen Bericht hervor, den die Bürgerrechtsorganisation Access Now gemeinsam mit drei lokalen Partnerorganisationen am Montag veröffentlicht hat. Sie fordern ein Verbot von biometrischer Massenüberwachung und mehr Transparenz von den Herstellern der Systeme.

Für den Bericht “Surveillance Tech in Latin America” haben die beteiligten Organisationen öffentliche Quellen und Medienberichte ausgewertet, Informationsfreiheitsanfragen gestellt und Interviews geführt. Sie kritisieren, die biometrische Überwachung ermögliche es den Behörden, Menschen zu identifizieren und auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Die Technik untergrabe die Rechte auf Privatsphäre, Datenschutz, Gleichheit und Nicht-Diskriminierung sowie auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Die drei untersuchten Länder würden verschiedene Überwachungsmethoden einsetzen, mit denen ein Risiko auf Menschenrechtsverletzungen einhergehe.

Mobile Gesichtserkennung in Argentinien

So habe Argentinien bereits 2011 mit dem Aufbau einer nationalen Biometriedatenbank begonnen, in der unter anderem Fotos und Fingerabdrücke aller Bürgerinnen und Bürger gespeichert seien. Auch die Daten von Besuchern des Landes würden darin erfasst. Landesweit dürften alle Behörden der Exekutive und Judikative ohne richterlichen Beschluss auf die Datenbank zugreifen.

Die biometrische Überwachung habe seit der Einführung der Datenbank zugenommen: So setzen die Städte Buenos Aires und Tigre seit 2019 Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ein. In der argentinischen Provinz Mendoza verfügt die Polizei bereits seit 2017 über mobile Gesichtserkennungssysteme und Fingerabdruckscanner. Auch Kennzeichenscanner kämen zum Einsatz.

Brasilien überwacht Kinder und Jugendliche

In Brasilien sei Gesichtserkennung an vielen Schulen verbreitet, um die Anwesenheit von Schülerinnen und Schülern zu kontrollieren. Und auch der öffentliche Raum werde mithilfe der Technik überwacht: Im Bundesstaat Bahia fänden sich Kameras auf öffentlichen Plätzen, Straßen und in Flughäfen, U-Bahnen und Stadien.

Zwischen Dezember 2018 und August 2020 war es in Bahia zu über 200 Verhaftungen gekommen, nachdem Menschen per Gesichtserkennung identifiziert wurden. Unklar sei, wie viele Falscherkennungen es gab. Die Behörden hätten sich dazu auch auf Anfrage nicht geäußert. Dabei gelten Gesichtserkennungssysteme als unzuverlässig – und erkennen beispielsweise Menschen mit dunkler Hautfarbe häufiger falsch.

Im Bundesstaat Ceará nutze die Polizei außerdem eine Smartphone-App, mit der sie Fotos von Personen aufnehmen und dann mit einer Datenbank abgleichen kann.

In São Paulo sei Gesichtserkennung während des Karnevals im Jahr 2020 zum Einsatz gekommen. Außerdem sei geplant, U-Bahn-Stationen so zu überwachen. Die Organisationen kritisieren, davon wären täglich etwa 3,5 Millionen Menschen betroffen.

Umfassendes Kameranetzwerk in Ecuador

Auch Ecuador setzt auf Überwachung im öffentlichen Raum: Das eigentlich für Notrufe aufgebaute System ECU911 umfasst laut Access Now auch ein landesweites Netzwerk aus Überwachungskameras. Die Städte Guayaquil und Quito hätten zudem selbst Kameras installiert und diese in das Netzwerk eingebunden – insgesamt stünden den ecuadorianischen Behörden über 6600 Kameras zur Verfügung. Zur Ausstattung der Kamerassysteme mit Gesichtserkennungstechnik existieren unterschiedliche Angaben: Die für ECU911 zuständige Behörde sagte den Organisationen, dass sie keine Kameras mit Gesichtserkennungsfunktion habe. Mehrere offizielle Ankündigungen deuten jedoch darauf hin: So hatte der zuständige Generaldirektor bereits im April 2019 angekündigt, die Kameras zu erneuern und über 400 von ihnen mit Funktionen zur Gesichts- und Körpererkennung auszustatten.

Bereits im Jahr 2019 war bekannt geworden, dass mit dem System Oppositionelle überwacht wurden. Damals hatte auch der Inlandsgeheimdienst direkten Zugriff auf die Kameras.

Die Regierungen rechtfertigen den Einsatz der Überwachungstechnologien häufig mit Kriminalitätsbekämpfung. Doch Gaspar Pisanu von Access Now kritisierte: “Vage Ausreden im Zusammenhang mit der ‘öffentlichen Sicherheit’ sollten nicht dazu führen, dass die Grundrechte von Millionen von Menschen auf der Strecke bleiben.”

Alle drei Länder erkennen internationale Menschenrechtskonventionen an. Argentinien und Brasilien hätten zudem seit längerem Datenschutzgesetze. In Ecuador wurde ein solches Gesetz erst im Mai 2021 beschlossen, nachdem im Jahr 2019 die persönlichen Daten fast aller Ecuadorianer offen im Netz standen. Allerdings sei in dem Gesetz der Einsatz von Überwachungstechnologien nicht geregelt. In Argentinien und Brasilien erlauben verschiedene Gesetze explizit den Einsatz von Gesichtserkennung.

Verbot biometrischer Überwachung gefordert

Access Now fordert ein Verbot von biometrischer Massenüberwachung. Sollte biometrische Überwachung in Einzelfällen zum Einsatz kommen, müssten die Regierungen eine menschenrechtliche Folgeabschätzung erstellen und transparent über die Pläne informieren. Auch müssten Vertreter der Zivilgesellschaft in Beratungen über die potenziell schädlichen Auswirkungen der Technik einbezogen werden.

Zudem sollten die Regierungen keine Technik von Unternehmen mit schlechter Menschenrechtsbilanz verwenden. Denn die Länder kauften die Systeme von Firmen aus China, Japan, Israel, Frankreich, Großbritannien und den USA, die teilweise bereits in Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren. Argentinien und Brasilien würden Systeme zweier Firmen einsetzen, die auch in der autonomen Region Xinjiang in China zur Unterdrückung der Minderheit der Uiguren genutzt werden. Geschäfte mit diesen Unternehmen setzten auch die Menschen in Lateinamerika einem inakzeptablen Risiko aus.

Die Firmen fordert Access Now dazu auf, die Menschenrechte zu achten und zu prüfen, welche Auswirkungen ihre Produkte auf diese haben.

Aber auch an die Medien hat Access Now Forderungen: Diese würden in den drei Ländern im Zusammenhang mit der Kriminalitätsbekämpfung zu häufig nur das Narrativ der Regierungen wiedergeben. Stattdessen müssten sie helfen, ein Bewusstsein für die Gefahren biometrischer Überwachung zu schaffen – und nicht aufhören, Fragen zu stellen. (js)