Staatengemeinschaft kann sich nicht auf Tiefseebergbauregeln einigen
Die Weltgemeinschaft hatte zwei Jahre Zeit, sich auf gemeinsame Regeln zu einigen und den Tiefseebergbau international zu regulieren. Die Frist wird versäumt, sie verstreicht am Sonntag – es dauert einfach zu lange, sich in den vielen Detailfragen zu einigen.
Ab Montag können dann bei der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) erstmals Anträge auf kommerziellen Abbau von Rohstoffen am Boden internationaler Gewässer gestellt werden. Deutschland und einige weitere Länder wollen, dass die nicht genehmigt werden, bis mehr über die Umweltfolgen bekannt ist. Andere Staaten wollen vorpreschen. Weil es kein Regelwerk gibt, ist nicht abzusehen, wie das ausgehen wird.
Darum geht es bei einer zweiwöchigen Sitzung des ISA-Rats ab Montag auf Jamaika. “Nach unserem Verständnis, das wir in einem gemeinsamen deutsch-niederländischen Papier niedergelegt haben, könnte der ISA-Rat nur mit qualifizierter Mehrheit eine vorläufige Genehmigung erteilen. Das ist eine hohe Hürde”, sagt Franziska Brantner, parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, der Deutschen Presse-Agentur. “Viele ISA-Mitgliedstaaten teilen unser Verständnis. Andere meinen, dass eine Art Automatismus zu Gunsten der Genehmigungserteilung Anwendung finden könnte. Mit diesen ISA-Mitgliedstaaten werden wir weiter verhandeln.”
Staaten und Firmen machen Druck
Umstritten ist dabei die Rolle der ISA, die mit Inkrafttreten des UN-Seerechtsübereinkommens (Unclos) 1994 geschaffen worden war. In einem Brief an ISA-Generalsekretär Michael Lodge zum Beginn der vorherigen Ratssitzung im März äußerte Brantner im Namen der Bundesregierung Besorgnis, dass Lodge eine von ihm bevorzugte Interpretation des Unclos vorgestellt und aktiv Stellung zu Positionen einzelner Delegationen bezogen habe. Sie erinnerte ihn an seine Neutralitätspflicht. Lodge wies den Vorwurf zurück.
Nach einem Bericht der “New York Times” gaben mehrere ISA-Ratsmitglieder an, der Brite mache Druck, den Tiefseebergbau voranzutreiben. Die US-Zeitung hatte zuvor berichtet, die ISA habe dem kanadischen Konzern The Metals Company (TMC) durch die Weitergabe von Informationen bei dessen Tiefseebergbau-Vorhaben geholfen. Als Sponsor von TMC kündigte der pazifische Inselstaat Nauru Ende Juni 2021 an, einen Antrag auf Tiefseebergbau zu stellen – und löste damit nach einer Unclos-Klausel die Zweijahresfrist zum Erstellen eines Regelwerks aus.
Ökosystem umgepflügt
Konkret geht es derzeit um den Abbau sogenannter Manganknollen auf dem Meeresboden in 4000 bis 6000 Metern Tiefe. Sie entstehen über Millionen Jahre aus Ablagerungen und enthalten wertvolle Rohstoffe wie Mangan, Kobalt, Kupfer und Nickel. Auf ihnen wachsen Schwämme und Korallen, die Lebensraum für zahlreiche weitere Tiere bieten. Für TMC sind Manganknollen "Batterien in einem Stein" – einige der enthaltenen Rohstoffe werden für die Batteriefertigung gebraucht.
TMC behauptet, der Abbau der Knollen sei der “sauberste Weg zu Elektrofahrzeugen”. Untersuchungen des europäischen Forschungsprojekts MiningImpact zu den Bergbautests von TMC und dem belgischen Unternehmen GSR am Meeresboden in der Clarion-Clipperton-Zone zwischen Mexiko und Hawaii stellen das infrage. Für den Abbau werden große Maschinen, sogenannte “Kollektoren”, eingesetzt. Sie saugen demnach nicht nur die Knollen auf, sondern auch alle Organismen, die auf ihnen sowie in und auf dem Sediment leben. Zudem richte die entstehende Sedimentwolke großflächige Schäden an.
Eine Studie von der britischen Universität Exeter und Greenpeace ergab mögliche Gefahren für Wale durch Unterwasserlärm beim Tiefseebergbau. Forscher vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven berichteten im Mai in der Zeitschrift “Scientific Reports”, natürlich vorkommende Uranisotope in Manganknollen gäben beim Zerfall Strahlen ab, die ernste Gesundheitsrisiken bergen könnten.
“Über die Auswirkungen des Tiefseebergbaus auf das Ökosystem Meeresboden ist noch viel zu wenig bekannt, zum Beispiel mit Blick auf die sehr relevanten CO2-Speicher”, sagt Brantner. Etwa 90 Prozent der Tausenden Tierarten in der Tiefsee sind Experten zufolge wahrscheinlich noch unentdeckt.
Indigene Aktivisten aus verschiedenen Ländern reichten im März bei der ISA eine Petition ein, den Tiefseebergbau zu verbieten. “Die Tiefsee ist unser heiliger Ort der Schöpfung”, erzählte Solomon Pili Kahoʻohalahala über die Mythologie der Ureinwohner seiner Heimat Hawaii. “Wenn Bergbauunternehmen beginnen, den Meeresboden aus Profitgründen zu nutzen, dann tun sie dies in dem Wissen, dass sie damit heilige und kulturelle Verbindungen dezimieren.”
Planungen laufen
Nach Berichten des Öko-Instituts im Auftrag von Greenpeace und der Umweltstiftung WWF ist der Tiefseebergbau für die Energie- und Verkehrswende nicht unbedingt nötig. Einige Konzerne wie BMW, Volkswagen, Google und Philips haben sich einem WWF-Aufruf für ein Moratorium angeschlossen und sich verpflichtet, keine Rohstoffe vom Tiefseeboden zu verwenden und Tiefseebergbau nicht zu finanzieren.
Neben Deutschland haben sich unter anderen auch Frankreich, die Schweiz, Neuseeland und Chile für ein Moratorium, eine vorsorgliche Pause oder ein Verbot des Tiefseebergbaus ausgesprochen.
Allerdings haben sich viele andere Länder nicht klar positioniert. Die USA sind kein ISA-Mitgliedstaat. China hat signalisiert, auf Tiefseebergbau setzen zu wollen. Norwegens Regierung schlug vor wenigen Wochen vor, eine Fläche der eigenen Gewässer fast von der Größe Italiens zu nutzen, um Rohstoffe für die Energiewende zu gewinnen.
Dieser Plan sei besorgniserregend, sagt Greenpeace-Meeresexperte Till Seidensticker. “Kurz vor dem Ablauf der Zweijahresregel steht das Tor für den Beginn des Tiefseebergbaus gefährlich offen.” Er betont: “Es ist jetzt an der internationalen Gemeinschaft, ein klares Nein zum Beginn des Tiefseebergbaus zu vereinbaren.” (dpa / hcz)