Stille SMS: Zunahme von Handyortungen durch die Bundespolizei

Handyortung
Mit stillen SMS können Ermittler Mobiltelefone orten, ohne dass Betroffene davon etwas mitbekommen. (Quelle: Pixabay)

Im Jahr 2020 hat die Bundespolizei sogenannte stille SMS mehr als doppelt so häufig versendet wie im Vorjahr. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke hervor. Darin geht es um die Handyüberwachung durch Bundespolizei, Bundeskriminalamt (BKA), den Generalstaatsanwalt sowie die Nachrichtendienste und den Zoll.

Stille SMS sind spezielle Kurznachrichten, die ein Mobiltelefon nicht anzeigt oder anderweitig signalisiert. Das Gerät meldet sich jedoch bei der aktuellen Funkzelle, sodass Verbindungsdaten anfallen. Ermittler können so den ungefähren Standort von Personen bestimmen und bei mehrfacher Verwendung Bewegungsprofile erstellen.

Laut Bundesregierung hat allein die Bundespolizei im vergangenen Jahr 101.117 stille SMS in 50 Ermittlungsverfahren versendet. 2019 hatte die Behörde weniger als die Hälfte (47.930) dieser Kurznachrichten eingesetzt.

Das BKA hat 2020 insgesamt 44.444 heimliche Nachrichten zur Ortung verschickt. Im Jahr 2019 lag diese Zahl etwas darunter: damals waren es 41.240. Wie häufig betroffene Personen im Anschluss der Überwachungsmaßnahmen über diese informiert wurden, sei der Bundesregierung nicht bekannt. Für die Benachrichtigung seien die zuständigen Staatsanwaltschaften verantwortlich, heißt es in der Antwort.

Zahlen des Zolls sind Verschlusssache

Angaben zu weiteren Behörden macht die Bundesregierung nicht: Wie oft der Zoll die “stille SMS” verwendet, gilt bereits seit 2012 als Verschlusssache. Auch die Zahlen von Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und Militärischem Abschirmdienst sind als “geheim” eingestuft. Allerdings werden die Zahlen des Verfassungsschutzes erst seit dem zweiten Halbjahr 2018 nicht mehr veröffentlicht: Alleine im ersten Halbjahr 2018 hatte der Verfassungsschutz 103.224 stille SMS verschickt.

Der Bundesgerichtshof hatte den Einsatz stiller SMS 2018 für rechtmäßig erklärt. Allerdings hatten die Richter entschieden, dass sie nur nach richterlicher Anordnung eingesetzt werden dürfen. “Das konnte die ausufernde Überwachung bei der Bundespolizei offenbar nur kurze Zeit eindämmen”, sagte der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (Linke) auf Anfrage zu den aktuellen Zahlen.

Die Bundespolizei führte im Jahr 2020 darüber hinaus 77 Funkzellenauswertungen durch. Das BKA nutzte diese Methode nur einmal. Bei der Funkzellenauswertung fragen die Behörden alle Verbindungsdaten einer Funkzelle zu einem bestimmten Zeitpunkt ab. Im Jahr 2019 hatte die Bundespolizei noch 167-mal zu diesem Mittel gegriffen, das BKA dreimal.

Auch der Generalbundesanwalt nutzte 2020 in vier Ermittlungsverfahren fünf Funkzellenabfragen. Diese wurden vom BKA, dem Polizeipräsidium Oberbayern Süd und den Landeskriminalämtern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Die Geheimdienste dürfen diese Ermittlungsmethode nicht einsetzen. Die Angaben zum Zoll stuft das verantwortliche Bundesinnenministerium (BMI) nun auch an dieser Stelle als Verschlusssache ein – im Jahr 2019 hatte die Behörde noch 65 Funkzellenauswertungen vorgenommen. Andrej Hunko kritisierte “diese Heimlichtuerei aufs Schärfste”. Weil dadurch das parlamentarische Fragerecht ausgehöhlt werde, habe er beim BMI eine Beschwerde eingereicht.

BKA, Bundespolizei und Zoll haben laut Bundesregierung keine Standortdaten bei den Herstellern von Handys oder Betriebssystemen abgefragt. Aus den USA sind solche Fälle bereits bekannt geworden: Hier haben Ermittler Standortdaten erhalten, die Google über den Kartendienst “Google Maps” gesammelt hat. Ob der Verfassungsschutz diese Daten von Herstellern abfragt, beantwortet die Bundesregierung nicht mit Verweis auf die Schutzwürdigkeit der nachrichtendienstlichen Methoden.

IMSI-Catcher

Sogenannte IMSI-Catcher hat die Bundespolizei im vergangenen Jahr in 28 Fällen verwendet, das BKA in vier Fällen. IMSI-Catcher imitieren reguläre Mobilfunkzellen und versenden stärkere Signale als diese, sodass sich alle Mobiltelefone in der Umgebung dort einbuchen. Auch mit dieser Technik lässt sich der Standort von Personen bestimmen und zusätzlich die Kommunikation überwachen. Doch können auch Daten Unbeteiligter im Funknetzbereich erfasst werden, ohne dass diese davon etwas mitbekämen. Im Jahr 2019 hatte die Bundespolizei die Technik noch 52-mal genutzt.

Der Generalbundesanwalt hat 2020 in insgesamt 27 Fällen IMSI-Catcher durch das BKA oder andere Polizeibehörden einsetzen lassen. Zudem hat die Bundesregierung 2020 eine Exportgenehmigung für IMSI-Catcher erteilt: Sie wurden nach Ungarn geliefert. Das antragstellende Unternehmen könne jedoch nicht genannt werden.

Der Bundestagsabgeordnete Hunko stellt jedes Jahr kleine Anfragen zum Einsatz von stillen SMS und IMSI-Catchern: “Wie sehr das stört, merken wir auch bei der Antwort zu 2020: Plötzlich werden die Zahlen für Funkzellenabfragen des Zoll nicht mehr offen mitgeteilt. Das Gleiche gilt für umfangreiche Einsätze von stillen SMS der Zollkriminalämter, die der Öffentlichkeit verborgen bleiben sollen.” Grundsätzlich seien Handys zum Telefonieren gedacht, “nicht um sie zunehmend als Ortungswanzen zu missbrauchen.” (js)