Streaming-Tipp: Die Megamacht der Mikrochips

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“Die Geopolitik der letzten fünf Jahrzehnte richtete sich nach den Erdölreserven aus. Wo die Mikrochips herkommen, wird in den nächsten fünf Jahrzehnten viel entscheidener sein.” (Quelle: IMAGO / photothek)

Der Nvidia-CEO Jen-Hsun Huang brachte es auf den Punkt: “Wir [Menschen] brauchen also Wasser und TSMC.” Denn TSMC sei die einzige Firma auf der Welt, von der jeder mindestens ein Produkt habe. Im Großen und Ganzen wird er mit dieser steilen Behauptung recht gehabt haben. Denn TSMC ist der größte und mit Abstand wichtigste Auftragsfertiger von Mikroprozessoren weltweit. Ob Auto, Smartphone oder Fernseher – überall finden sich von TSMC gefertigte Bauteile. Ohne die unvorstellbar kleinen Schaltkreise würden essenzielle Teile der heutigen Gesellschaft schlichtweg nicht mehr funktionieren: Verkehr, Kommunikation, Militär, Finanzwesen sind nur ein paar der Sektoren, in denen ohne Mikrochips nichts mehr ginge.

Die Arte-Dokumentation “Die Megamacht der Mikrochips” betrachtet die geopolitischen Zusammenhänge des “unendlich Kleinen”. Im Fokus des 50-minütigen Beitrags stehen die Schlüsselstellen der Chipindustrie: Da wären zum einen die Unternehmen TSMC und ASML, die jeweils einmalige Technologien anbieten und bei der Chip-Herstellung unersetzbar sind. Zum anderen zeigt die Dokumentation, wie die Industriestaaten aktuell versuchen, ihre Versorgung mit Computerchips sicherzustellen und sich im Rahmen der geopolitischen Spannungen in möglichst vorteilhafte Positionen bringen.

Kleines Land, große Macht

Im Zuge der Globalisierung in den 90er-Jahren haben die USA und Europa ihre Chipproduktion zum allergrößten Teil in ein einziges Land ausgelagert: Taiwan. Die Bedeutung der Insel rund 160 Kilometer vor der Küste Festlandchinas ist für die Weltwirtschaft somit immens – China, USA und Europa sind im Vergleich technologisch abgeschlagen und müssen aus Taiwan importieren. Taiwan hingegen baut seit bereits 30 bis 40 Jahren seine Chipproduktion aus und ist führend in der Industrie. Hier konzentrieren sich 30 Prozent der globalen Mikrochipproduktion – allerdings 90 Prozent der Produktion von Hochleistungsprozessoren.

Verantwortlich für die einzigartige Position Taiwans in der Chipproduktion ist vor allem ein Mann: Morris Chang. Der 1931 geborene Ingenieur gilt auf der Insel als Nationalheld – und selbst im US-amerikanischen Silicon Valley verehren ihn viele für seine Leistungen. Er gründete Ende der 80er-Jahre den Chiphersteller TSMC.

Mit finanzieller Unterstützung der Regierung baute er früh Produktionsstätten in Taiwan. Die Idee dahinter war, keine eigenen Chips herzustellen, sondern für andere Unternehmen zu produzieren. Zu den Kunden zählen heute Branchengrößen wie Apple, AMD, Nvidia oder Qualcomm. Das machte TSMC zum größten Auftragsfertiger für Halbleiter weltweit.

Die gigantischen Chipfabriken von TSMC in Taiwan gelten als Hochsicherheitsbereiche: Aufnahmen von Innenräumen sind untersagt, Mitarbeitende dürfen keine Interviews geben. Das unterstreicht die strategische Bedeutung des Unternehmens. Denn: die Firma hätte die Macht, die ganze Welt lahmzulegen, so der Filmbeitrag. Sowohl Konzerne als auch ganze Staaten sind in ihrer (wirtschaftlichen) Existenz von TSMC abhängig.

Eine Kostprobe darauf, was passiert, wenn Taiwan nicht mehr liefert, gab die Corona-Krise und die folglich gestörten Lieferketten. Die Preise für Chips schossen in die Höhe, ebenso wie die Lieferzeiten. Spätestens als Autohersteller ihre Fabriken in Folge des Chipmangels schlossen, Smartphonehersteller Milliardenverluste hinnehmen mussten und neue Spielekonsolen erst nach Monaten beim Kunden ankamen wurde allen bewusst, wie unverzichtbar Taiwans Chipproduktion ist – und dass internationale Handelsketten durch Pandemien, Kriege oder ähnliches tatsächlich zusammenbrechen können.

“Mikrochips sind zur strategischen Ressource geworden”, fasst ASML-Geschäftsführer Peter Wennink die Situation zusammen und zieht in der Dokumentation Parallelen zum Stellenwert von Öl.

Reibungszone der Supermächte

Wo sich so viel Macht und Abhängigkeiten konzentrieren wie in Taiwan lauern fast zwangsläufig Konflikte. Die Volksrepublik China erhebt schon seit 1949 Anspruch auf die Insel und Staatsoberhaupt Xi Jinping bekräftigte diesen Anspruch im Oktober 2022 erneut auf dem 20. Kongress der kommunistischen Partei: Um eine friedliche Lösung des Konflikts werde sich bemüht, aber den Einsatz von Gewalt schloss Xi explizit nicht aus. Ein Krieg um Taiwan wäre also möglich.

“Würde China die Kontrolle über Taiwans Mikrochipproduktion übernehmen, würde die Weltwirtschaft zusammenbrechen”, sind sich die Experten im Beitrag einig. Ein militärischer Konflikt um Taiwan hätte ebenso katastrophale Folgen für China wie für den Rest der Welt. Taiwans Außenminister Joseph Wu warnt davor, dass China nach einer Invasion Taiwans und der Übernahme der Chipproduktion, diese als Waffe einsetzen könnte, indem es den Export in Demokratien verknappt oder gar stoppt.

Taiwan betrachtet seine einzigartige Chipindustrie deswegen als Schutzschild: Wu geht davon aus, dass von den Chipimporten abhängige westliche Staaten eingreifen würden, sollte China tatsächlich einen offenen gewaltsamen Konflikt um Taiwan starten. Die USA unter Präsident Joe Biden haben öffentlich zugesagt, in einem solchen Fall militärisch einzugreifen. Zentrale Motivation für diese folgenreiche Zusage bilden die wirtschaftlichen Interessen – vor allem auf dem Gebiet der Halbleiter.

Der Taiwan-Konflikt und der dahinter stehende “Chipkrieg” haben also das Potenzial, die beiden Supermächte USA und China in eine direkte militärische Konfrontation miteinander zu treiben. “Die Geopolitik der letzten fünf Jahrzehnte richtete sich nach den Erdölreserven aus. Wo die Mikrochips herkommen, wird in den nächsten fünf Jahrzehnten viel entscheidender sein”, meint Pat Gelsinger, Geschäftsführer von Intel.

Auf der Suche nach Unabhängigkeit

Seit der Pandemie und dem aktuellen Handelskrieg zwischen den USA und China hinterfragen westliche Regierungen die Abhängigkeiten vom Produktionsstandort Taiwan. Um diese abzuschwächen, stellten die Großmächte China, USA und Europa im Jahr 2022 jeweils eigene Pläne zum Ausbau der Mikrochipproduktion vor. So bauen die USA und Europa zunehmend Chip-Fabriken in den eigenen Gefilden auf – oft in Zusammenarbeit mit TSMC. In Arizona beispielsweise entsteht das weltweit größte Werk von TSMC.

Europa will seine Produktionskapazitäten ebenfalls massiv erhöhen und baut beispielsweise in Dublin für 17 Milliarden Euro die modernste Chipfabrik des Kontinents. Doch solche Projekte brauchen Zeit: Zwei Jahre dauert der Bau, ein Jahr die Ausstattung mit Maschinen und ein weiteres Jahr dauert es, eine solche Fabrik in Betrieb zu nehmen. Eigentümer ist zudem die US-Firma Intel – neue Abhängigkeiten treten an die Stelle der alten.

Der aktuell einzige europäische Branchenriese im “Chipkrieg” ist die niederländische Firma AMSL, dem einzigen Hersteller von High-End-Lithographiegeräten. Sie sind für die Chipproduktion unentbehrlich und so nimmt ASML global eine ähnlich Einhorn-artige Position ein wie TSMC.

China investiert seit 40 Jahren massiv in die eigene Halbleiterindustrie, hat gegenüber Taiwan und den USA technologisch aber noch nicht aufgeholt. Bis 2025 will sich das Land selbst versorgen. Ob der Plan aufgeht, ist noch offen.

Die Arte-Dokumentation erklärt kompakt und dennoch nicht oberflächlich viele zentrale globale Zusammenhänge. Das Konfliktpotenzial der Taiwan-Frage kann vollends nur verstanden werden mit Wissen über den Stellenwert der Halbleiterindustrie. In dem Konflikt um Taiwan geht es für die USA und seine Verbündeten vorrangig kaum um die Verteidigung demokratischer Werte, sondern viel mehr um existenssichernde wirtschaftliche Interessen – gleiches gilt für China und seine “Ein-China-Politik”. Die Dokumentation vermittelt nachvollziehbar, welche einzigartige strategische Bedeutung die Chipindustrie heute hat und warum kein Industrieland der Welt die kommenden Jahrzehnte darauf verzichten können wird, seine Versorgung mit der Ressource Mikrochip zu sichern.

“Die Megamacht der Mikrochips” ist bis einschließlich 12. Mai 2023 kostenlos und werbefrei in der Arte-Mediathek, der zugehörigen App und auf YouTube verfügbar. (hcz)