Tunesien: Regierung will immer mehr Bürgerdaten speichern
Die tunesische Regierung plant, Ausweise mit biometrischen Merkmalen einzuführen. Die NGO Access Now warnt in diesem Zusammenhang vor möglichen Datenlecks mit schweren Folgen für die Bevölkerung. Auch eine geplante Plattform zur Auszahlung finanzieller Hilfen an Teile der Bevölkerung kritisiert die Organisation. Bei den Vorhaben fehle es an Transparenz und es könne der Weg zur Massenüberwachung geebnet werden.
Wie Access Now berichtet, sollen tunesische Ausweise künftig mit einem Chip ausgestattet werden, auf dem Fingerabdrücke und Gesichtsbilder gespeichert werden. Die Organisation spricht von einem “schlafenden Monster”, weil der Plan erstmals bereits im Jahr 2016 vorgestellt wurde – im vergangenen Jahr habe das Innenministerium angekündigt, die Arbeit daran wiederaufzunehmen. Bereits im Jahr 2016 hatten Menschenrechtsorganisationen wie die “Tunisian League for Human Rights” Kritik an den Plänen geübt.
Nach Angaben von Access Now müssen in Tunesien alle Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahre einen Personalausweis besitzen – die Regierung würde also biometrische Daten aller ausweispflichtigen Tunesier sammeln. Besondere Kritik erntet das Vorhaben, weil die biometrischen Daten laut Innenministerium auch in einer zentralen Datenbank gespeichert werden sollen – also nicht nur auf dem Chip im Ausweis vorhanden sein werden.
Biometrische Daten sind besonders sensibel. Weil sie sich nicht verändern lassen, können Personen ein Leben lang darüber identifiziert werden. Die Organisation befürchtet, dass die Biometrie-Datenbank Ziel von IT-Angriffen sein wird und die persönlichen Daten von Millionen Menschen gestohlen werden könnten.
Fehlende Transparenz
In den bisher veröffentlichten Gesetzentwürfen sei völlig unklar geblieben, wie die biometrische Datenbank geschützt werden soll, wie lange die Daten gespeichert und wer darauf zugreifen können soll. Sowohl Access Now als auch tunesische NGOs hätten der Regierung diese Fragen in den vergangenen Jahren wiederholt gestellt – ohne Antwort darauf zu erhalten. Den aktuellen Entwurf des Gesetzes hätten die Behörden bisher nicht veröffentlicht – weshalb Access Now ihnen zudem mangelnde Transparenz vorwirft.
Die Regierung begründet die geplante Einführung der neuen Ausweise mit den Vorgaben der internationalen Zivilluftfahrtbehörde ICAO für maschinenlesbare Reisedokumente, die Tunesien bis Ende 2024 einführen will. Access Now weist jedoch darauf hin, dass dieser Standard nur für Dokumente wie Reisepässe gelte – nicht aber für nationale Ausweise. Die neuen Ausweise in Verbindung mit einer biometrischen Datenbank könnten laut Access Now zur Überwachung der Bevölkerung verwendet werden und das Recht auf Privatsphäre verletzen.
Sozialhilfe nur gegen Daten
Bedenken äußert Access Now zudem in Hinblick auf eine geplante Online-Plattform im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Reformen. Demnach plant die Regierung, staatliche Subventionen für Waren wie Brot aufzuheben und stattdessen Gelder direkt an Bedürftige auszuzahlen. Laut der Organisation hätten etwa 70 Prozent der knapp 12 Millionen Bewohner des Landes Anspruch auf diese Hilfen. Um den Anspruch von Bürgerinnen und Bürgern zu prüfen, sollen sich diese laut Access Now auf einer neuen Online-Plattform registrieren, über die Daten zu Einkommen, Beschäftigungsverhältnissen und auch zur familiären Situation gesammelt würden.
Die Organisation warnt, so würden zahlreiche personenbezogene Daten gesammelt, die bei einem IT-Angriff gestohlen werden könnten. Anders als vorgeschrieben, habe die Regierung bei dem Vorhaben auch nicht mit der nationalen Datenschutzbehörde zusammengearbeitet.
Access Now hatte bereits im Februar 2023 gemeinsam mit lokalen Organisationen wie der “Tunisian Association for the Support of Minorities” gefordert, das Projekt müsse ausgesetzt werden, bis eine Datenschutzfolgeabschätzung durchgeführt und veröffentlicht wurde. Auch die möglichen Auswirkungen auf die Menschenrechte müssten untersucht werden. Es dürfe außerdem nicht verpflichtend werden, die Plattform zu nutzen.
Soziale Ungleichheiten
Weitere Kritik gilt der sogenannten “Mobile ID”, die sich bereits in einer Testphase befindet: Dabei handle es sich um eine elektronische Identität auf Basis der Mobilfunknummer. Bürgerinnen und Bürger können die Mobile ID nutzen, um bestimmte Behördengänge online zu erledigen. Beim Login bekommen sie ein Einmalpasswort per SMS an ihre registrierte Telefonnummer gesendet.
Access Now kritisiert, auch im Rahmen des Mobile-ID-Programms würden zahlreiche sensible Daten von Bürgerinnen und Bürgern gesammelt. Die Organisation befürchtet, diese Daten könnten bei einem IT-Angriff gestohlen und missbraucht werden. Die Regierung habe bisher keine Fragen zum Datenschutz beantwortet – es handle sich um eine “Black Box”.
Bis Ende 2022 hätten sich nur etwa 37.500 Menschen für die Mobile ID angemeldet.
Ruf nach aktualisiertem Datenschutzrecht
Die Organisation sieht aber nicht nur Datenschutzprobleme, sondern befürchtet zusätzlich, dass sich soziale Ungleichheiten in Tunesien verstärken könnten. Denn nur Menschen mit Zugang zum Internet profitieren von den digitalen Angeboten der Regierung.
Access Now sieht auch das tunesische Datenschutzrecht aus dem Jahr 2004 als Problem: Es sei veraltet und werde nicht durchgesetzt. Die Organisation fordert die Regierung daher auf, das Gesetz zu aktualisieren. Außerdem müsse es einen Austausch mit der Zivilgesellschaft und unabhängigen Expertinnen und Experten geben, um sicherzustellen, dass Rechte respektiert und die Menschen im Mittelpunkt der Pläne stehen.
Access Now kritisiert, die Vorhaben der Regierung würden ohne öffentliche Aufsicht umgesetzt und ohne, dass notwendige Datenschutz- und Menschenrechtsgarantien entwickelt würden. Die Organisation fürchtet daher, es werde der Weg zur Massenüberwachung geebnet. Die tunesischen Behörden müssten daher schnell handeln, um die personenbezogenen Daten sowie die Privatsphäre der Bevölkerung zu schützen. (js)