Streaming-Tipp: Ungarn - Propaganda gegen Pressefreiheit

Viktor Orbán
Auch deutsche Firmen profitieren von schwachen Arbeitnehmerrechten, hohen Subventionen und der Korruption unter Viktor Orbán. (Quelle: IMAGO / Le Pictorium)

Am 3. April wird Ungarn ein neues Parlament wählen. Der amtierende und viel kritisierte Ministerpräsident Viktor Orbán wird sich mit seiner rechtspopulistischen Fidesz-Partei wieder zur Wahl stellen – und beabsichtigt, zu gewinnen. Dabei unterstützen ihn fast ausnahmslos die zahlreichen Medien des Landes. Denn die Regierung unter Orbán kontrolliert rund 80 Prozent der Medienlandschaft.

Die TV- und Radiosender, Tageszeitungen und Nachrichtenseiten geben sich alle Mühe, Orbán in einem guten Licht dastehen zu lassen. Die Opposition erwähnen sie hingegen kaum – und wenn, dann nur, um sie zu diffamieren.

“Wie frei können Wahlen überhaupt in einem solchen Umfeld sein?” Mit dieser Frage beginnt die Fernseh-Reportage “Ungarn – Propaganda gegen Pressefreiheit”, die in der ZDF-Mediathek verfügbar ist. Die Dokumentarfilmer Bence Máté und Áron Szentpéteri sprechen mit jungen Journalistinnen und Journalisten, von denen einige früher Teil der Staatsmedien waren. Andere der Interviewten arbeiten investigativ und versuchen, die Öffentlichkeit über die korrupten Machenschaften des Amtsinhabers und der verbündeten Oligarchen aufzuklären. I

Neben ihrem Engagement für die Demokratie verbindet die interviewten Medienmacher, dass sie alle unter Druck stehen. Einige haben inzwischen gekündigt oder wurden entlassen.

Journalisten täglich unter Druck

Krisztina war Journalistin und Moderatorin bei einem öffentlich-rechtlichen Sender in Budapest. “Für mich war das ein Privileg”, erzählt sie. Anfangs hätte sie über witzige Themen aus dem Kulturbereich geschrieben. Doch irgendwann seien auch diese politisch geworden.

Im Jahr 2015 durchquerten viele Flüchtlinge Ungarn. Die Redakteurin habe in dieser Zeit nach Migranten-Geschichten suchen müssen. “Ich sollte berichten, dass sie Krankheiten mitbringen, die wir längst nicht mehr hier haben”, berichtet Krisztina. Untermauern sollte sie diese Botschaft mithilfe der Aussage eines Arztes – zumindest in Budapest sei aber kein Mediziner dazu bereit gewesen.

Während der Flüchtlingsbewegungen hätten Redakteure aller Sender die Anweisung erhalten, keine Kinder in den Bildern zu zeigen, erzählt der Fernsehjournalist András. Es habe kein Mitleid bei den Zuschauern erzeugt werden sollen. Stattdessen habe die Botschaft sein müssen: “Es kommen nur junge Männer, die Europa überrennen wollen.”

András arbeitet als Redakteur bei einem öffentlich-rechtlichen TV-Sender. Er erklärt: “Ich muss mich wegen meines Jobs regelmäßig rechtfertigen.” In Gesprächen mit Freunden und Verwandten versuche er, sich von seinem Arbeitgeber zu distanzieren.

Er berichtet, dass die Redaktionen Listen mit Schlüsselwörtern von Ministerien erhielten, über die sie berichten sollen. Begriffe wie Migration, Terrorismus und Angriffe gegen Brüssel fänden sich auf diesen Listen. Es seien Feindbilder gewünscht. Sie sollten möglichst gesichtslos sein, damit sich die Zuschauer nicht mit ihnen identifizieren können, berichtet András.

Redakteuren, die sich nicht an die Vorgaben aus der Politik halten wollen, würden leitende Redakteure offen empfehlen, zu kündigen. András belegt das im Film mit einer Tonaufnahme, die er heimlich aufzeichnete. Der außenpolitische Nachrichtenchef gibt dort in einer Redaktionssitzung vor der EU-Parlamentswahl klar zu verstehen: “Es wird für niemanden eine Überraschung sein, dass unsere Institution nicht die politische Opposition unterstützen wird.” Wer von den Redakteuren nicht begreife, was die Erwartungen sind, sei entweder dumm oder lüge.

Krisztina zog aus den Repressalien ihre Konsequenzen; sie kündigte bei ihrem Sender und arbeitet nun als Kellnerin. Auf die Frage, ob es nicht entwürdigend ist, als Journalistin zu kellnern, antwortet sie: “Ich nehme lieber das in Kauf, als eine Person zu sein, die ich im eigenen Land nicht sein möchte.” Auch András hat bei öffentlich-rechtlich Fernsehen gekündigt, nachdem er seine internen Informationen über Missstände öffentlich gemacht hat. Er arbeitet nun bei einem unabhängigen Medium.

Gegner werden kaltgestellt

Jemand, der sich nicht an Propaganda-Richtlinien hält bei seiner Berichterstattung, ist der Fotograf Dániel Németh. Er beobachtet beispielsweise Luxusyachten an der Adriaküste und dokumentiert, wer dort wen trifft. Denn viele der Schiffe gehören Oligarchen aus Ungarn und werden für geschäftliche Treffen genutzt, die nicht im Lichte der Öffentlichkeit ablaufen sollen.

So erwischte er beispielsweise Außenminister Péter Szijjártó inklusive seiner Familie während des Urlaubs auf der Jacht des Unternehmers László Szíjj – einem der größten Empfänger öffentlicher Aufträge und der viertreichste Geschäftsmann Ungarns. Németh dokumentierte den Aufenthalt mit Fotos, die mehrere unabhängige Medien veröffentlichten. Während sich der Minister nachweislich auf der Jacht befand, erweckte er auf seinem Facebook-Profil den Eindruck, als arbeite er fleißig in seinem Büro.

Nachdem der Fall öffentlich bekannt wurde, nannte Minister Szijjártó seinen Besuch einen “Familienausflug” und wollte sich nicht weiter zu dem Sachverhalt äußern. Folgen hatte die Affäre nicht etwa für den Beamten, sondern für den Fotografen: Während sich Szijjártó bis heute im Amt befindet, wurde Németh aus dem führenden staatlichen Fotografieinstitut entlassen.

EU schaut weg

Neben den persönlichen Geschichten der Medienschaffenden gibt die Reportage einen Einblick, wie es Viktor Orbán und den Oligarchen gelang, die ungarische Medienlandschaft innerhalb von zwölf Jahren unter Kontrolle zu bringen. Mit korrumpierten Geldern kauften Orbán und seine Unterstützer ein Medium nach dem anderen auf – und bündelten sie später sogar in einer staatlichen Stiftung.

Die Dokumentation zeigt, wie mithilfe von Geld, Skrupellosigkeit und Korruption eine Demokratie unterwandert werden kann – in einem Mitgliedsland der EU. Dabei lenken die Autoren ihre Kritik schlussendlich auch auf die EU und ihre Mitgliedstaaten, die dem Treiben Orbáns und seiner rechtspopulistischen Fidesz-Partei bis heute kaum etwas entgegensetzen.

So profitieren beispielsweise auch deutsche Autobauer massiv von der Korruption, ohne direkt daran beteiligt zu sein. Die “deutsche Elite” sei nicht daran interessiert, hart gegen Orbán vorzugehen, heißt es in dem Film.

In Ungarn lässt sich die Reportage über die Nachrichtenseite 444.hu ansehen und heißt dort “Fünf Lektionen über die Eliminierung der Realität”. Die Süddeutsche Zeitung meldete, dass bereits über 350.000 Zuschauer den Film dort gesehen hätten.

Hierzulande ist die 45 Minuten lange Reportage “Ungarn – Propaganda gegen Pressefreiheit” in der ZDF-Mediathek abrufbar. (hcz)