EU-Parlament untersucht Einsatz von Pegasus
Das Europäische Parlament wird den Einsatz der Spionagesoftware Pegasus innerhalb der EU untersuchen. Die Abgeordneten haben am Mittwochabend mit großer Mehrheit für einen Untersuchungsausschuss gestimmt. Der Ausschuss soll nun prüfen, ob die Spähsoftware beispielsweise gegen Journalisten und Politiker eingesetzt wurde.
Die Konferenz der Präsidenten des EU-Parlaments hatte in der vergangenen Woche bereits einen Vorschlag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vorgestellt, der nun vom Parlament angenommen wurde. Unter anderem die Fraktion Renew Europe hatte zuvor eine Untersuchung gefordert.
Der Untersuchungsausschuss soll sich aus 38 Mitgliedern zusammensetzen – diese werden voraussichtlich in zwei Wochen benannt. Ihren Abschlussbericht sollen sie in einem Jahr vorlegen. Dabei wird sich der Ausschuss nicht nur mit dem Einsatz von Pegasus beschäftigen, sondern auch von “ähnlicher Überwachungs- und Spähsoftware”.
Ausschuss wird Rechtsverstöße prüfen
Der Ausschuss wird prüfen, ob EU-Mitgliedsstaaten mit dem Einsatz von Spähsoftware gegen Unionsrecht verstoßen haben – beispielsweise gegen die europäische Grundrechtecharta oder den Datenschutz. Dabei soll auch überprüft werden, ob Pegasus zu “politischen, wirtschaftlichen oder anderen ungerechtfertigten Zwecken” eingesetzt wurde, um beispielsweise Journalisten, Politiker, Diplomaten und zivilgesellschaftliche Akteure auszuspionieren.
Gegenstand der Untersuchung ist außerdem, ob der Einsatz von Pegasus zu Menschenrechtsverletzungen geführt oder Wahlen in der EU beeinträchtigt hat. Auch ob bei der Überwachung von Smartphones mit Pegasus oder anderer Spähsoftware personenbezogene Daten an Regierungen von Drittländern abgeflossen sind, soll untersucht werden – und, ob solche Daten an den Pegasus-Hersteller NSO übermittelt wurden.
Ferner soll der Ausschuss untersuchen, ob der EU-Kommission Belege für den Einsatz von Pegasus gegen Personen vorlagen und welche Rolle die Regierung Israels bei der Lieferung von Überwachungssoftware an Mitgliedsstaaten gespielt hat. Zudem wird er der Frage nachgehen, auf welcher Rechtsgrundlage die Mitgliedstaaten Pegasus angeschafft haben.
Saskia Bricmont, belgische Grünen-Abgeordnete im Parlament, begrüßte die Einrichtung des Untersuchungsausschusses am Donnerstag. Sie schrieb, es handle sich um einen “entscheidenden Schritt”. Grundrechtsverletzungen dürften nicht toleriert werden.
Die Fraktion Renew Europe forderte, die für die illegale Überwachung von Bürgern Verantwortlichen müssten zur Verantwortung gezogen werden.
Journalisten und Oppositionelle in der EU ausspioniert
Hintergrund sind Enthüllungen der Organisationen Forbidden Stories und Amnesty International sowie mehrere internationaler Medien: Sie hatten im vergangenen Sommer aufgedeckt, wie weltweit Medienschaffende, Menschenrechtler und Oppositionelle mit der Spionagesoftware Pegasus überwacht wurden.
Was ist Pegasus?
Pegasus ist eine Spionagesoftware der israelischen Firma NSO Group. Die Spähsoftware kann ein infiltriertes Gerät komplett übernehmen und beispielsweise die Kamera und das Mikrofon unbemerkt anschalten – oder sämtliche Daten kopieren. Auch Standortdaten lassen sich abrufen und Passwörter auslesen. Das Überwachungsprogramm steht seit Jahren im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen in der Kritik.
Auch in der EU sollen Regierungen die Spähsoftware illegal verwendet haben: So wurden in Ungarn beispielsweise Journalisten ausgespäht. Der Vorsitzende des ungarischen Ausschusses für Verteidigung und Strafverfolgung, Lajos Kosa, hatte den Kauf der Spionagesoftware durch das ungarische Bundesinnenministerium im vergangenen November bestätigt.
Sicherheitsforscher des Citizen Labs an der Universität Toronto hatten Ende Dezember außerdem bestätigt, dass in Polen die Mobiltelefone einer regierungskritischen Staatsanwältin, eines Oppositionsanwalts und des Senatsabgeordneten Krzysztof Brejza mit Pegasus überwacht wurden. Brezja hatte im Jahr 2019 die Kampagne der Oppositionsallianz geleitet; die Regierungspartei PiS hatte die Wahl gewonnen. Weil sein Telefon im Jahr 2019 über 30-mal mit Pegasus infiltriert wurde, vermutet Brezja, dass interne Details zur Wahlkampfstrategie der Opposition abgegriffen wurden und die Wahl nicht fair abgelaufen sei. Auch eine Assistentin von Brezja wurde überwacht.
Im Januar hatte der Chef der polnischen Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński, den Kauf von Pegasus eingeräumt – die Überwachung von Oppositionellen aber dementiert. In Polen untersucht derzeit eine Untersuchungskommission die Vorfälle.
Hinweise auf Missbrauch in weiteren EU-Ländern
Die niederländische Europa-Abgeordnete Sophie in ’t Veld von der Fraktion Renew Europe hatte sich in der vergangen Woche auf einer Pressekonferenz zu den Untersuchungsplänen geäußert. Dabei sagte sie, nicht nur die polnische und die ungarische Regierung hätten ihre Bürger ausspioniert. Es gebe inzwischen Hinweise auf weitere EU-Länder, die Pegasus illegal eingesetzt hätten – als Beispiel nannte sie Bulgarien.
Die Einrichtung von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen auf EU-Ebene ist im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union geregelt. Ein solcher Ausschuss kann Dokumente anfordern und Zeugen laden. Die Mitgliedsstaaten können jedoch aus Gründen der Geheimhaltung oder der öffentlichen oder nationalen Sicherheit die Kooperation verweigern.
In ’t Veld sagte, trotz dieser begrenzten Möglichkeiten sei es möglich, Fehlverhalten ans Licht zu bringen. In einer Demokratie sei es inakzeptabel, dass Regierungen ihre Bürger für politische Zwecke überwachen.
Datenschutzbeauftragter fordert Verbot
Nach den Enthüllungen hatten die USA im November Sanktionen gegen den Pegasus-Hersteller NSO verhängt. Anfang Dezember hatten 81 Organisationen – darunter Access Now, Amnesty International, Human Rights Watch und Reporter ohne Grenzen – sowie unabhängige Fachleute die EU aufgerufen, ebenfalls Sanktionen gegen NSO zu verhängen.
International fordern inzwischen verschiedene Menschenrechtsorganisationen ein Moratorium für den Verkauf und die Weitergabe von Überwachungstechnologien.
Mitte Februar hatte sich zudem der Europäische Datenschutzbeauftragte, Wojciech Wiewiórowski, für ein Verbot von Spionagesoftware mit den Fähigkeiten von Pegasus in der EU ausgesprochen. Solche Programme gefährdeten die Grundrechte und -freiheiten der Menschen, aber auch die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ihre Verwendung sei daher mit den demokratischen Werten der EU unvereinbar. (js)