Türkei: Human Rights Watch kritisiert geplante Kohlekraftwerk-Erweiterung

Rauch steigt aus einem großen Schornstein auf
Die Türkei hat laut HRW weniger strenge Grenzwerte für Luftverschmutzung, als von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen. (Symbolbild) (Quelle: IMAGO / Jochen Tack)

Die Organisation Human Rights Watch (HRW) fordert das türkische Umweltministerium auf, den geplanten Bau von zwei weiteren Blöcken des Kohlekraftwerks “Afşin-Elbistan A” nicht zu genehmigen. Die durch das Kraftwerk entstandene Luftverschmutzung habe der Bevölkerung in der Provinz Kahramanmaraş bereits schweren gesundheitlichen Schaden zugefügt.

Wie HRW berichtet, ist die Erweiterung des 1984 in Betrieb genommenen Kraftwerks um zwei Blöcke geplant. Dieses Vorhaben soll umgerechnet etwa eine Milliarde Euro kosten. Derzeit ist nur ein Teil des Kraftwerks A in Betrieb, nachdem es in Folge zweier Erdbeben im Februar 2023 beschädigt wurde.

Die Organisation kritisiert, bereits jetzt sei die Luftverschmutzung in der Nähe des Kraftwerks A und dem zwei Kilometer entfernten und moderneren Kraftwerk B gefährlich hoch. Anwohner würden unter gesundheitlichen Problemen leiden, die Wissenschaftler auf Luftverschmutzung zurückführen. Einer Greenpeace-Studie aus dem Jahr 2022 zufolge könnte die geplante Erweiterung des Kraftwerks während einer 30-jährigen Laufzeit zu etwa 1900 vorzeitigen Todesfällen führen.

Hugh Williamson von HRW konstatierte: “Giftige Luft aus Kohlekraftwerken tötet in der Türkei jedes Jahr Tausende Menschen, während die Behörden wenig gegen das Problem unternehmen und die Menschen auch nicht vor Gesundheitsschäden warnen.” Anstatt den Ausbau von umweltschädlichen Kohlekraftwerken zu genehmigen, sollte die Regierung die Grenzwerte für Luftqualität verschärfen, forderte er.

Anwohner berichten von Gesundheitsproblemen

Eigenen Angaben zufolge hat HRW 28 Menschen befragt, die in der Nähe des Kraftwerks wohnen oder arbeiten – darunter ältere Menschen, ein Bürgermeister und Mitarbeitende im Gesundheitswesen. Zusätzlich hat die Organisation aktuelle Daten zur Luftqualität von einer staatlichen Messstation sowie Satellitendaten zur Luftverschmutzung ausgewertet.

Ein 57-Jähriger, der nur 500 Meter von dem Kohlekraftwerk entfernt lebt, leidet demnach seit 13 Jahren an Atemwegserkrankungen. Er sagte HRW: “Ich habe Asthma und mein Arzt sagt, ich brauche sauber Luft. Aber es gibt keine saubere Luft. Wir sind hier alle krank.”

Auch eine 70-Jährige, die ebenfalls dicht an dem Kraftwerk lebt, berichtete von schwerem Asthma. Ihr Arzt sei überrascht gewesen, dass sie nie in ihrem Leben geraucht habe und er habe sich gewundert, weshalb sie dann so krank geworden sei.

Laut HRW befinden sich in der Nähe des Kraftwerks auch Schulen. Eine Fachkraft aus dem Gesundheitswesen sagte gegenüber der Organisation, sie habe insbesondere bei Kindern eine hohe Zahl an Atemwegserkrankungen beobachtet. Auch weitere medizinische Angestellte gaben an, in der Umgebung der Anlagen seien vermehrt solche Krankheiten festgestellt worden.

Anwohnerinnen und Anwohner berichteten auch von Todesfällen, die sie der Luftverschmutzung durch das Kohlekraftwerk zuschreiben.

Hohe Feinstaubbelastung

HRW verweist auf wissenschaftliche Studien, wonach die von Kohlekraftwerken ausgestoßenen Feinstaubpartikel PM2,5 ein doppelt so hohes Sterberisiko zur Folge haben, wie Feinstaub aus anderen Quellen.

In den türkischen Kohleregionen herrsche eine starke Luftverschmutzung, die auch auf die Verwendung von Kohle für die Stromproduktion zurückzuführen sei. In der Umgebung der beiden Afşin-Elbistan-Kraftwerke seien beispielsweise hohe Schwefeldioxid-Werte gemessen worden. Die Belastung mit Feinstaub der Partikelgröße PM 2,5 war demnach zwischen Januar 2021 und Juni 2024 fünfmal höher als der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Jahreswert. Diese Partikel können teils bis in die Lungenbläschen und in die Blutbahn vordringen. Nach WHO-Angaben sterben jährlich rund sieben Millionen Menschen vorzeitig infolge von Luftverschmutzung. In der Türkei waren es demnach etwa 35.000 Todesfälle im Jahr 2019.

Bewohner aus den Dörfern in der Nähe der Kraftwerke beklagten, sie hätten keine Informationen über die von Kraftwerken ausgehenden Gesundheitsrisiken erhalten und wüssten nicht, wie sie sich schützen könnten.

Die Kohlemine, die die beiden Kraftwerke versorge, zähle zu den weltweit größten Projekten zur Förderung fossiler Brennstoffe. Obwohl das Land in erneuerbare Energien investiere, gebe es im nationalen Energieplan keinen Hinweis auf einen geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung.

HRW kritisiert, dass mehrere türkische Regierungen die Kraftwerke in Afşin-Elbistan – die zu den größten des Landes gehören – über vier Jahrzehnte gebaut und erweitert hätten. Dabei musste das Kraftwerk A im Jahr 2020 zeitweise abgeschaltet werden, weil es behördliche Auflagen nicht erfüllt haben soll. Laut HRW wurde die Anlage über Jahre ohne vorgeschriebene Filtertechniken betrieben. Bereits im Jahr 2002 hatte das Gesundheitsministerium vor einem künftigen Anstieg von Krebsfällen in der Umgebung gewarnt.

Die geplante Erweiterung gefährde außerdem die Energiewende in der Türkei – und die von dem Land im Rahmen des Pariser Klimaabkommens eingegangenen Verpflichtungen. Im Jahr 2015 hatten sich Staaten weltweit dazu verpflichtet, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Dafür darf nur noch eine begrenzte Menge klimaschädlicher Treibhausgase wie Kohlendioxid (CO2) in die Erdatmosphäre gelangen.

Menschenrechts-Verpflichtungen

Die Menschenrechtsorganisation fordert die türkische Regierung auf, gegen Luftverschmutzung vorzugehen, um die Menschenrechte auf Gesundheit, Leben und eine gesunde Umwelt zu wahren. So sollte die Regierung etwa konkrete Maßnahmen zum Ausstieg aus der Kohleverbrennung bis zum Jahr 2030 beschließen – und auf die Erweiterung bestehender Anlagen verzichten.

HRW fordert außerdem konkrete Schritte für eine bessere Überwachung der Luftqualität. Zudem sollten strenge Grenzwerte für PM2.5 in Übereinstimmung mit EU-Vorgaben eingeführt werden.

Williamson sagte: “Die Menschen in Afşin-Elbistan zahlen seit Jahrzehnten den Preis für die Kohleverstromung.” Die Regierung sollte Maßnahmen ergreifen, um ihr Leben und die Umwelt zu schützen, anstatt ein Kraftwerk zu erweitern.

Das türkische Gesundheitsministerium, die Muttergesellschaft des Kraftwerkbetreibers, die staatliche Stromgesellschaft und lokale Behörden haben auf Anfragen von HRW nicht reagiert. (js)