Taliban gehen weiter gegen Medien vor

Moderatorin im TV-Studio in Herat
Human Rights Watch berichtet, Journalistinnen und Journalisten müssen sich Berichte vor Veröffentlichung von den Taliban genehmigen lassen. (Quelle: IMAGO / Xinhua)

Afghanische Journalistinnen und Journalisten werden weiter von den Taliban bedroht. Besonders Frauen sind von neuen Richtlinien betroffen, berichtet die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW).

So schreibt das “Ministerium für die Förderung der Tugend und Verhütung des Lasters” Moderatorinnen und Reporterinnen vor, vor der Kamera einen Hidschab zu tragen – sie müssen also ihren Kopf bedecken. Die am 21. November veröffentlichte Anordnung verbietet zudem die Ausstrahlung von Unterhaltungsprogrammen und Seifenopern, in denen Darstellerinnen zu sehen sind. Filme, die aus Sicht der Machthaber gegen “islamische oder afghanische Werte” verstoßen, dürfen auch nicht mehr gezeigt werden.

Nach Angaben von Human Rights Watch hätten Taliban Journalistinnen und Journalisten, die sie zuvor kritisiert hatten, mit dem Tode bedroht. Außerdem sei verlangt worden, Berichte vor Veröffentlichung zur Genehmigung vorzulegen. Mehrere Journalisten berichteten zudem, dass sie von örtlichen Beamten vorgeladen wurden, unmittelbar nachdem sie von Übergriffen der Taliban berichtet hatten. So hatte ein Journalist beispielsweise einen Bericht über Hausdurchsuchungen gesendet – anschließend wurde ihm gedroht, er würde aufgehängt, sollte er dies wiederholen.

Zensur durch die Taliban

Andere Medienschaffende wurden von schwer Bewaffneten in ihren Büros aufgesucht und angewiesen, nicht das Wort “Taliban” in ihren Berichten zu verwenden, sondern sich auf das “Islamische Emirat” zu beziehen. Dieses hatten die Taliban nach der Machtübernahme im August ausgerufen. In einer Provinz wurden die lokalen Medien angewiesen, das Wort “Selbstmordattentäter” durch “Märtyrer” zu ersetzen. Zuvor hatten Medien darüber berichtet, dass der neue Innenminister Sirajuddin Haqqani die Familien von Selbstmordattentätern geehrt hatte.

Patricia Gossman, stellvertretende Asien-Direktorin bei Human Rights Watch, urteilte: “Die neuen Medienvorschriften der Taliban und die Drohungen gegen Journalisten spiegeln die umfassenden Bemühungen wider, jegliche Kritik an ihrer Herrschaft zum Schweigen zu bringen.” Den schwindenden Raum für abweichende Meinungen und die verschärften Einschränkungen für Frauen in den Medien bezeichnete sie als “verheerend”.

HRW berichtet weiter, insbesondere in den Provinzen hätten die Taliban Journalisten gezwungen, von ihnen gewünschte Berichte und Interviews zu veröffentlichen. Viele Medien hätten aus Angst ihre Büros geschlossen und berichteten nur noch online. Die Chefredakteurin eines von Frauen geführten Medienbüros sagte der Organisation, ihre Mitarbeiterinnen nutzten Pseudonyme, weil sie von den Taliban beschuldigt wurden, angeblich westliche Werte zu fördern. Eine früher als Journalistin tätige Frau kritisierte, vor allem im Fernsehen würden Frauenfragen nicht mehr behandelt. “Die Bildungs- und Unterhaltungsprogramme wurden alle eingestellt.”

Angst vor dem Klopfen an der Tür

Die “Atmosphäre der Angst” habe dazu geführt, dass sich Menschen nicht trauten, Informationen beispielsweise über Angriffe der Taliban weiterzugeben. Die Behörden würden Anfragen von Journalisten zudem routinemäßig ignorieren oder Vorfälle abstreiten.

Patricia Gossman kritisierte: “Trotz der Versprechen der Taliban, Medien zuzulassen, die ‘islamische Werte’ respektieren, leben Journalisten in Angst vor einem Klopfen an der Tür oder einer Vorladung durch die Behörden. Dies trägt zu einem Informations-Blackout bei, bei dem die Übergriffe der Taliban zunehmend im Verborgenen und ohne Rechenschaftspflicht stattfinden.”

Die neuen Machthaber in Afghanistan hatten Ende September “Elf Regeln für den Journalismus” vorgestellt. Reporter ohne Grenzen hatte diese als gefährlich kritisiert: Sie könnten zur Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten genutzt werden und ebneten den Weg für Zensur.

Die Regeln verbieten es beispielsweise, “führende Persönlichkeiten des Landes zu beleidigen” oder die “Privatsphäre zu verletzen”. Diese Grundsätze basieren lose auf dem bestehenden afghanischen Mediengesetz. Das habe allerdings die Einhaltung internationaler Normen wie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vorgeschrieben. In den neuen Regeln fehle jeglicher Verweis darauf. Es sei auch unklar, durch wen und auf welcher Grundlage bestimmt wird, dass ein Kommentar oder Bericht eine führende Persönlichkeit beleidigt. Daher könnten sie missbraucht oder willkürlich ausgelegt werden. Durch weitere Vorschriften werde zudem eine Rückkehr zur Nachrichtenkontrolle oder gar zur Vorzensur ermöglicht, die es in Afghanistan seit 20 Jahren nicht mehr gegeben habe.

Dramatische Menschenrechtslage

Seit der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban am 15. August mehren sich die Berichte über Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit. Frauen leiden besonders unter der Willkür. Sie verschwinden zunehmend aus der Medienlandschaft, weil die Taliban sie gezielt in ihren Freiheitsrechten einschränken. Die Organisation Amnesty International hatte im September von gezielten Menschenrechtsverletzungen berichtet und die Lage als dramatisch bezeichnet.

RSF führt Afghanistan auf der Rangliste der Pressefreiheit noch auf Platz 122 von 180 Staaten – die Liste wurde allerdings vor der Machtübernahme durch die Taliban veröffentlicht. Die Organisation schreibt, in Afghanistan sei “einer der größten Feinde der Pressefreiheit weltweit an der Macht”. Die Zukunft der in den vergangenen 20 Jahren entstandenen durchaus pluralen Medienlandschaft sei “mehr als ungewiss”. (js)