Amnesty: Taliban demontieren Menschenrechte

Checkpoint der Taliban
Die Taliban behindern die Arbeit von Menschenrechtlern und Medienschaffenden. (Quelle: IMAGO / Xinhua)

In Afghanistan kommt es zu gezielten Menschenrechtsverletzungen durch die radikalislamischen Taliban. Das haben Amnesty International, die Internationale Liga für Menschenrechte und die Weltorganisation gegen Folter in einem neuen Bericht dokumentiert. Sie berichten unter anderem von der Tötung von Zivilisten und der Einschränkung von Frauenrechten sowie der Meinungsfreiheit.

Die Islamisten hätten bereits gezeigt, “dass sie den Schutz und die Achtung der Menschenrechte nicht ernst nehmen”, kritisierte Dinushika Dissanayake, stellvertretende Direktorin für Südasien bei Amnesty.

Für den Bericht haben die Organisationen Interviews mit Journalistinnen und Journalisten, Menschenrechtlern, einem früheren Regierungsmitarbeiter und einem Forscher geführt. Außerdem haben sie Videos, Fotos, Satellitenaufnahmen und Medienberichte seit der Machtübernahme der Taliban Mitte August ausgewertet.

Unterdrückung von Protesten

In den vergangenen Wochen war es in Afghanistan wiederholt zu Demonstrationen gegen die Taliban gekommen – auch von Frauen. Einige dieser Proteste haben die Taliban gewaltsam aufgelöst: Friedlich Demonstrierende wurden geschlagen, es wurde Tränengas eingesetzt und die Teilnehmer seien mit Waffen bedroht worden. Anfang September hatten die Taliban Proteste verboten.

Die Organisationen warnen, der erneute Angriff auf die Meinungsfreiheit habe in Afghanistan gerade erst begonnen. Dieses Recht werde nicht nur vom Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, sondern auch von der afghanischen Verfassung garantiert.

Aus Angst vor den Taliban würden viele Frauen mittlerweile eine Burka tragen und das Haus nicht mehr ohne männliche Begleitung verlassen. Amnesty kritisiert, dass an der von den Taliban eingesetzten Übergangsregierung keine Frauen beteiligt sind. Dadurch werde das Recht von Frauen auf politische Beteiligung untergraben. Außerdem kritisiert die Organisation, dass das Ministerium für Frauenangelegenheiten nicht mehr existiert – es habe in den vergangenen Jahren eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Frauenrechte gespielt. Der Zugang zu Bildung für Mädchen und Frauen wurde bereits eingeschränkt und Frauen seien daran gehindert worden, ihrer Arbeit nachzugehen. Viele Frauen hätten ihre Arbeit vorsichtshalber nicht mehr angetreten.

Die Organisationen warnen zudem vor der Gefahr für LGBTQ-Personen: Jede Person, die in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung vermutet werde, könnte die Todesstrafe drohen.

Der Bericht dokumentiert zudem die Tötung von Zivilisten durch die Taliban: So sei beispielsweise eine schwangere ehemalige Polizistin getötet und der Sänger Fawad Andarabi erschossen worden. Im Panjshir-Tal wurden mindestens 20 Zivilisten von den Taliban umgebracht. Bereits Ende Juli hätten die Taliban zudem den bekannten Komiker Nazar Mohammed ermordet. Hilfslieferungen in das umkämpfte Panjshir-Tal würden blockiert. Die Morde und die blockierten Hilfslieferungen verurteilt Amnesty International als Völkerrechtsverbrechen.

Es sei für die Menschen in Afghanistan weiterhin schwierig bis unmöglich, das Land zu verlassen. Einige seien nach Fluchtversuchen gefoltert worden.

Menschenrechtler in Gefahr

Die Organisationen berichten, mittlerweile sei es fast unmöglich, sich in Afghanistan für Menschenrechte einzusetzen: Angriffe auf Menschenrechtler hätten seit Mitte August zugenommen – es herrsche ein “Klima der Angst”. Es habe Durchsuchungen in Wohnungen und Büros gegeben, wodurch viele Aktivistinnen und Aktivisten gezwungen seien, sich zu verstecken. Auch von Drohanrufen wird berichtet. Menschenrechtler seien außerdem geschlagen worden. Aus Angst vor weiteren Repressalien seien jedoch nur wenige bereit, die Angriffe öffentlich anzuprangern. “Sie leben unter der ständigen Bedrohung durch Verhaftung, Folter oder Schlimmerem”, mahnte Delphine Reculeau von der Weltorganisation gegen Folter.

Zwar hatten die Taliban behauptet, die Pressefreiheit zu achten. Doch auch die Situation von Medienschaffenden habe sich weiter verschlechtert. So haben zwei Journalistinnen den Organisationen berichtet, dass die Taliban nach ihnen suchen. Eine der beiden habe daraufhin die Hauptstadt Kabul verlassen, die andere das Land.

Weitere Journalistinnen wurden daran gehindert, ihrer Arbeit nachzugehen. Medienschaffende seien verhaftet und geschlagen worden – insbesondere wenn sie von Protesten berichtet hatten. Im Zusammenhang mit Protesten hätten die Taliban im August und September Internetsperren in Teilen Kabuls und in anderen Landesteilen angeordnet.

Dramatische Menschenrechtslage

Die Menschenrechtslage in Afghanistan sei bereits wenige Wochen nach der Machtübernahme dramatisch, schreiben die Organisationen in ihrem Bericht. Dabei habe man nur eine kleine Anzahl der Vorfälle dokumentieren können, da Menschen aus Angst nicht berichteten und es in einigen Provinzen keinen Mobilfunkempfang gebe.

Amnesty International, die Internationale Liga für Menschenrechte und die Weltorganisation gegen Folter fordern die Taliban auf, die Menschenrechte zu respektieren und zu schützen. Der UN-Menschenrechtsrat und der UN-Sicherheitsrat müssten die Situation überwachen und die Einhaltung von Menschenrechtsstandards sicherstellen.

Julia Duchrow, Stellvertreterin des Generalsekretärs von Amnesty International in Deutschland, forderte die Bundesregierung auf, “alles in ihrer Macht stehende” zu unternehmen, um den durch die Taliban gefährdeten Menschen Schutz in Deutschland zu ermöglichen. Die Bundesregierung müsse “die Betroffenen jetzt schnell über die vergangene Woche beschlossenen 2600 Aufnahmezusagen informieren, sie bei der Ausreise aus Afghanistan unterstützen und sicherstellen, dass die Botschaften der Nachbarländer mit Hochdruck Visaverfahren durchführen und die Menschen von dort evakuiert werden können. Wir fordern von der Bundesregierung, sich auch über die Aufnahmezusagen hinaus in Zukunft für Personen einzusetzen, die im Visier der Taliban stehen.” (js)