Tunesien: Staatliches Fernsehen schließt Kritiker aus

Saied in einer TV-Sendung
Seit September reagiert der tunesische Präsident Kais Saied per Dekret. Teile der Verfassung hat er außer Kraft gesetzt. (Quelle: IMAGO / PanoramiC)

Tunesiens Präsident Kais Saied hat das staatliche Fernsehen unter seine Kontrolle gebracht, kritisiert die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Kritische Stimmen würden zunehmend eingeschränkt. Das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) beobachtet eine erhebliche Verschlechterung der Pressefreiheit.

Im vergangenen Juli hatte Präsident Saied den Direktor des staatlichen Fernsehsenders Wataniya ausgetauscht. HRW berichtet, seitdem würden in Talkshows des Senders keine Gäste mehr eingeladen, die den Präsidenten kritisieren. So gebe es auch keine Auftritte mehr, in denen das Vorgehen des Präsidenten als “Staatsstreich” bezeichnet wird.

Seit dem Arabischen Frühling im Jahr 2011 hatte das staatliche Fernsehen Sendungen ausgestrahlt, in denen Politiker und Kommentatoren verschiedener Strömungen auftraten. Darunter seien auch Linke und Menschenrechtsaktivisten gewesen, die vor der Revolution im Gefängnis oder Exil waren, so HRW.

Recht auf unabhängige Medien

Wegen der zunehmenden Einschränkungen mache sich nun Unmut unter den Angestellten des Senders breit. Sie verweisen auf das Redaktionsstatut aus dem Jahr 2012: Demnach ist die Aufgabe des Senders, “das Recht der Bürger auf freie und unparteiische Medien zu erfüllen”. Der Sender müsse unabhängig von jeglichem politischen und wirtschaftlichen Druck arbeiten können. Die Unabhängigkeit werde als Freiheit definiert, Themen und Gäste ohne äußere Einflüsse auszuwählen.

Bereits im Januar hatte die tunesische Journalistengewerkschaft kritisiert, seit Saied im Juli die Regierungsgeschäfte an sich gezogen habe, sei Mitgliedern politischer Parteien der Zutritt zu den Gebäuden des staatlichen Fernsehens verwehrt worden. Die Pressefreiheit sei dadurch “ernsthaft bedroht”. Zwar berichteten die Nachrichtensendungen auch über Proteste gegen den Präsidenten – politische Gäste würden jedoch nicht mehr auftreten.

Kais Saied wurde im Oktober 2019 zum Präsidenten gewählt. Am 25. Juli 2021 setzte er mithilfe eines Notstandsartikels der Verfassung den damaligen Regierungschef Hichem Mechichi ab und die Arbeit des Parlaments aus. Am folgenden Tag stürmte die Polizei das Büro des Senders Al-Jazeera in der Hauptstadt Tunis und konfiszierte Ausrüstung.

Im September 2021 setzte der Präsident Teile der Verfassung außer Kraft und kündigte an, in Zukunft per Dekret zu regieren. Die institutionellen Kontrollen seiner Entscheidungen habe der Präsident abgebaut, kritisiert HRW. In dem Land kam es in der Folge zu Demonstrationen gegen den Präsidenten. Auch ehemals Verbündete werfen ihm einen “Putsch” vor. Im Juli soll in Tunesien über eine neue Verfassung abgestimmt werden. Für Dezember sind Parlamentswahlen geplant – Grundlage dafür soll das in der neuen Verfassung festgelegte Wahlsystem sein.

Lage der Pressefreiheit verschlechtert sich

HRW berichtet, die Journalistengewerkschaft habe inzwischen einen Streik angedroht, sollten sich die Bedingungen nicht ändern. Sie spricht von Zensur und fordert, diese zu beenden.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation seien oppositionelle Stimmen zwar weiterhin im staatlichen Radio und im Privatfernsehen vertreten. Doch die Organisation Komitee zum Schutz von Journalisten spricht von einer sich verschlechternden Lage der Pressefreiheit seit vergangenem Juli.

So hatte die Organisation erst am Montag die Festnahme eines Journalisten in Tunesien kritisiert. Der Mitarbeiter der unabhängigen Nachrichtenseite Mosaique FM hatte über die Zerschlagung einer terroristischen Organisation in der Stadt Kairouan berichtet. Daraufhin habe ihn die Polizei verhaftet, stundenlang verhört und die Preisgabe seiner Quellen gefordert. Anschließend habe die Staatsanwaltschaft ihn der Verbindung zu einer terroristischen Gruppe beschuldigt und Untersuchungshaft angeordnet.

Das CPJ fordert seine sofortige Freilassung. Die Behörden müssten zudem aufhören, Medienschaffende unter Druck zu setzen. Das Anti-Terrorgesetz des Landes sichere ihnen Immunität vor Strafverfolgung zu, wenn sie sich bei der Berichterstattung über Terrorismus weigerten, ihre Quellen preiszugeben.

Sender mussten Betrieb einstellen

Bereits im Oktober mussten laut dem CPJ zwei regierungskritische Sender den Betrieb einstellen, nachdem die Studios von der Polizei durchsucht und Ausrüstung beschlagnahmt wurde. Der Fernseh- und der Radiosender hätten ihren Betrieb zuvor jahrelang ohne Sendelizenz aufrechterhalten.

Die Organisation kritisiert, die Behörden nutzten das Vergabeverfahren für Sendelizenzen als Mittel, Meinungsäußerungen im Fernsehen und Radio zu kontrollieren.

Am 11. März hatten zudem 13 Bürger- und Menschenrechtsorganisationen – darunter Amnesty International und HRW – einen Gesetzentwurf zur Regulierung zivilgesellschaftlicher Organisationen kritisiert. Das geplante Gesetz würde den Behörden ermöglichen, in die Funktion und Tätigkeit der Gruppen einzugreifen. Auch könnten ihre Möglichkeiten eingeschränkt werden, sich öffentlich zu äußern.

Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF) steht Tunesien auf Platz 73 von 180. RSF berichtet, nach der Revolution von 2011 habe sich eine vielfältige Medienlandschaft gebildet. Nach der Wahl im Jahr 2019 habe sich das Klima jedoch deutlich verschlechtert – vor allem rechte Politiker würden Medien offen angreifen. (js)