Ukraine: Selenskyj lässt regierungskritische Nachrichtenseite sperren

strana.news
Die Nachrichtenseite Strana ist inzwischen umgezogen. Vollständig erreichbar ist sie dennoch nicht. (Quelle: Posteo – Screenshot, maschinell übersetzt)

In der Ukraine hat Präsident Wolodymyr Selenskyj die einflussreiche regierungskritische Nachrichtenseite strana.ua sperren lassen. Ein entsprechendes Dekret wurde am Samstag veröffentlicht. Grundlage dafür seien vom Nationalen Sicherheitsrat verhängte Sanktionen gegen den seit 2018 im österreichischen Exil lebenden Chefredakteur Ihor Huschwa und dessen Unternehmen. Das Verbot erfolgte demnach gemäß einer Vorlage des Geheimdienstes SBU.

In einer Mitteilung bezeichnete der SBU die Journalisten als “prorussische Propagandisten”. Nähere Angaben zu den Gründen wurden aber unter Verweis auf Geheimhaltung nicht gemacht.

Außergerichtliche Entscheidung

Der Leiter des ukrainischen Journalistenverbandes, Serhij Tomilenko, kritisierte die Sperrung. “Die Verhängung von Sanktionen gegen Mitarbeiter der russischen Sicherheitsdienste ist kategorisch zu befürworten, aber eine außergerichtliche Sperrung oppositioneller Medien, die im ukrainischen Rechtsrahmen tätig sind, ist eine Ablehnung der gesetzlichen Garantien für die Unabhängigkeit der Presse von der Regierung”, sagte er gegenüber Strana.

Chefredakteur Huschwa kündigte an, die journalistische Arbeit trotz der Strafmaßnahmen fortzusetzen. “Das macht nichts. Unter [Petro] Poroschenko wurde ich ins Gefängnis gesteckt. Unter Selenskyj wird die Seite blockiert.” Poroschenko war vor Selenskyj Präsident.

Die Nachrichtenseite gehörte im Mai noch zu den fünf meist besuchten Online-Medien in der Ukraine. Die Adresse strana.ua ist auch aus Deutschland nicht mehr zu erreichen.

Die Seite zog vorerst auf die neue Domain strana.news um.

Auch Blogger und TV-Sender abgestraft

Sanktionen wurden auch gegen das im EU-Exil lebende Blogger-Ehepaar Anatolij und Olha Scharij erlassen. Ihnen wird vorgeworfen, eine prorussische Webseite mit Video-Blog zu betreiben. Außerdem wurden Sanktionen gegen 12 juristische Personen verhängt, darunter lokale Fernsehsender, Nachrichtenagenturen und Online-Publikationen von der Krim.

Mit Andrij Derkatsch wurde zudem bereits der dritte Parlamentsabgeordnete in die Sanktionsliste aufgenommen. Die Vermögenswerte der betroffenen Ukrainer werden drei Jahre lang eingefroren.

Juristen halten die seit Jahresbeginn von Selenskyj ohne gerichtliche Grundlage gegen ukrainische Staatsbürger erlassenen Sanktionen für rechtswidrig. Im Februar hatte der Staatschef bereits drei Fernsehsender geschlossen. Einem vierten russlandfreundlichen Nachrichtensender droht aktuell der Lizenzentzug. Umfragen zufolge unterstützen jedoch viele Ukrainer das Vorgehen gegen russlandfreundliche Parteien und deren Medien.

Reporter ohne Grenzen listet die Ukraine auf der Rangliste der Pressefreiheit aktuell auf Platz 97 von 180. Die Organisation kritisiert, dass Medienschaffende immer wieder bedroht und an ihrer Arbeit gehindert werden. Auch seien wegen des Krieges mit Russland zahlreiche russische Medien und Internetseiten in der Ukraine verboten. Die Medienlandschaft sei zwar vielfältig, fast alle Massenmedien würden aber Politikerinnen, Politikern oder Oligarchen gehören – und vor allem Mittel im Kampf um wirtschaftliche und politische Macht sein. (dpa / hcz)